Über üble Gerüche, Sex und Geheimkulte im Alten Rom

"Man mag sich nicht ausmalen, wie es da gemüffelt hat"

"Das Geheime Leben der Römer" steht im Mittelpunkt von "Dark Rome", dem neuesten Buch des Oldenburger Althistorikers Michael Sommer.Warnung: Die Inhalte sind stellenweise nicht geeignet für empfindsame Leser.

Autor/in:
Joachim Heinz
Blick aufs Forum Romanum  / © Martin Biallas (DR)
Blick aufs Forum Romanum / © Martin Biallas ( DR )

KNA: Herr Professor Sommer, in den öffentlichen Toiletten im Alten Rom konnten bis zu 80 Menschen ihre Notdurft verrichten – ohne Trennwände oder gar Geschlechtertrennung. Hinterher reinigte man sich mit dem Xylospongium, einem gemeinsam genutzten Schwamm, der an einem Holzstab befestigt war. Wissen wir eigentlich, wie es in der Stadt außerhalb der Latrinen roch?

Professor Michael Sommer (Althistoriker): Wir stellen uns das alles immer so schön und hell und klar vor. Tatsächlich war es völlig anders. Fäkalien waren nur eine der olfaktorischen Zumutungen, mit denen die Menschen leben mussten. Es gab Betriebe, in denen Eisen verhüttet wurde, es wurden Leichen verbrannt, es gab Gerbereien, Abdeckereien. Da roch es natürlich nicht gut.

KNA: Immerhin verfügten die Römer über eine Kanalisation.

Sommer: Deftig formuliert: Die Scheiße blieb nicht da, wo die Leute waren, aber irgendwo musste sie hin. In Rom gelangten die Exkremente über die Cloaca Maxima in den Tiber. Und das in einer Stadt, die in ihrer besten Zeit sicher eine Million Einwohner hatte. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie es da gemüffelt hat.

KNA: Bleiben wir noch einen Moment bei körperlichen Vollzügen. Wie hielten es der Römer, die Römerin mit dem Sex?

Sommer: Die Frage ist immer: In welchem Raum befinden wir uns gerade?

KNA: Im Schlafzimmer

Sommer: Wenn wir uns die oberen Zehntausend in Rom anschauen, zählt erstmal eins: Die Familie muss in die nächste Generation fortgesetzt werden. Das geht nur über legitime Nachkommen. Um das sicherzustellen, braucht man eheliche Treue. Wobei die Betonung auf der Sittsamkeit von Frauen lag. Männer dagegen konnten sich durchaus die Hörner abstoßen. In reichen Familien standen Sklavinnen zur Verfügung, die dann dienstbar zu sein hatten.

KNA: Wie sah es in weniger betuchten Kreisen aus?

Sommer: Bei Otto Normalbürger spielte die Fortsetzung des Geschlechts in die nächste Generation überhaupt keine Rolle. Deswegen verhielt sich die einfache Bevölkerung dem Thema Sexualität gegenüber sehr viel unbefangener. Und dann gibt es noch den Raum des Fiktionalen.

KNA: Liebeslyrik und Roman!

Sommer: Da lehnte man sich sehr viel weiter aus dem Fenster als in der Realität. Papier ist geduldig. Auch im Raum der bildenden Kunst ist Sexualität allgegenwärtig.

KNA: Gab es Tabus?

Sommer: Kaum. Allerdings gibt es den Fall Ovid, der mit seinem offenherzigen Werk unter dem gestrengen Augustus anscheinend aneckte.

KNA: Ovid wurde später ins Exil verbannt.

Sommer: Was aber möglicherweise eine ganz andere Ursache hatte. Er spricht selbst von einem "error", einem Fehler, den er begangen hat. Das könnte sich auf einen Skandal bei Hofe beziehen, in den die Tochter des Augustus verwickelt war. Da wusste er eventuell einfach zu viel. Und deswegen erschien es opportun, ihn aus Rom zu entfernen. Er konnte jedoch weiter dichten und hat auch sein Vermögen behalten. Manch anderer, der ebenfalls ins Exil musste, kam nicht so glimpflich davon.

KNA: Kaiser Tiberius war sexsüchtig, Nero wahnsinnig, Caligula ein Tyrann, Pertinax ein Geizkragen – musste man als Kaiser im Alten Rom ein Psychopath sein?

Sommer: Man könnte durchaus denken: Mit so vielen Leuten an der Spitze, die eigentlich in die Klapsmühle gehören, wäre das Reich viel früher reif für den Zusammenbruch gewesen. Ich möchte überhaupt nicht ausschließen, dass Gestalten wie Caligula, Nero oder Commodus ausgesprochen unerfreuliche Zeitgenossen waren.

Professor Michael Sommer

"Die Senatoren machten den Kaiser entweder zum Gott oder verdammten ihn."

KNA: Aber?

Sommer: Wir dürfen auch nicht vergessen: Die römische Historiographie war den politischen Bedürfnissen der jeweiligen Epoche verpflichtet. Die Frage, die sich mit dem Tod jedes Kaisers stellte – war er ein guter oder schlechter Herrscher? – entschied der Senat. Die Senatoren machten den Kaiser entweder zum Gott oder verdammten ihn. Und dieses Urteil hatte der Geschichtsschreiber zu berücksichtigen.

KNA: Das heißt?

Sommer: Einer, der als schlechter Kaiser per Senatsbeschluss aus der Geschichte heraus gecancelt worden ist, den kann man als Geschichtsschreiber nicht zum Helden machen. Notorisch schlecht kommen übrigens immer die letzten ihrer Dynastie weg. Den Letzten beißen die Hunde. Denn die nächste Dynastie ist logischerweise daran interessiert, dass sich die öffentliche Meinung von dem Vorgänger distanziert, und diesen Schwenk vollzieht die Geschichtsschreibung dann mit.

KNA: Wie zeigte sich das?

Sommer: In Form von Stereotypen und Klischees, die diesen schlechten Kaisern vorgehalten werden. Zum klassischen Repertoire gehörte: Die müssen es sexuell bunt treiben, die sind grausam, verschlagen, nehmen ihre Rolle als Kaiser nicht ernst, dilettieren als Sänger oder als Gladiatoren. So wie Nero.

KNA: Wir sehen Peter Ustinov als Nero vor uns, der im Kinoklassiker "Quo vadis" mit irrem Blick den Brand Roms besingt.

Sommer: Das ist nachweislich falsch. Der Mann hat ein felsenfestes Alibi. Er war zu der Zeit 50 Kilometer weg, in Antium.

KNA: In Sachen Religion waren die Römer recht flexibel. Neben Jupiter und Co gab es zeitweilig einen Meteorgott Elagabal, Mysterienkulte, dazu Schwarze Magie und Geheimlogen – warum hat sich in der Spätantike ausgerechnet das Christentum durchgesetzt?

Professor Michael Sommer

"Das Christentum bekam Zulauf unter den Schichten, die für die anderen Religionen nicht sonderlich attraktiv waren."

Sommer: Das Christentum hatte gegenüber den anderen Kulten zwei handfeste Vorteile. Es verfügte über eine überörtliche Organisation, eine Hierarchie, die sogar die Reichsgrenzen überschreitend agieren konnte. Insofern vertrug sich das Christentum aufs Beste mit dem Universalismus des Römischen Imperiums. Der zweite Vorteil: Der Zugang zum Christentum ist extrem niederschwellig. Der soziale Status oder die Geschlechtsfrage – alles irrelevant. Man braucht eigentlich nur die Taufe und das Bekenntnis zu Jesus Christus. Deswegen gewinnt das Christentum Zulauf unter den Schichten, die für die anderen Religionen nicht sonderlich attraktiv sind, also Sklaven, Freigelassene, Frauen... Und es gewinnt Zulauf in Scharen dort.

KNA: Spione, Nachrichtendienste und Wunderwaffen gab es schon im Alten Rom - bei Krieg und Militär hat sich eigentlich nicht viel geändert, oder?

Sommer: In der Antike ist Krieg noch sehr viel stärker etwas, das Auge in Auge stattfindet. Bestimmte Waffen haben allerdings schon eine Tendenz, diesen Effekt zu verfremden. Zum Beispiel Katapulte, die den Gegner in zwei Kilometer Entfernung treffen können. Die Waffentechnik ist in der römischen Welt so fortschrittlich gewesen wie nirgends sonst in der damaligen Welt. Damit rückt dieser Bereich nahe an unsere Bilder vom Krieg.

KNA: Immer schon scheint der Mensch groß darin gewesen zu sein, seinen Nächsten zu töten. Zu einer ganz eigenen Meisterschaft auf diesem Gebiet brachten es im Alten Rom die Giftmischer. Was waren das für Menschen?

Sommer: In der Regel marginale Gruppen innerhalb der Bevölkerung, die Giftmischer, aber auch Drogisten und Heilmittelhersteller sein konnten. In Italien waren die in den Abruzzen lebenden Marser dafür bekannt. Grundsätzlich hat man gern auf Gifte zurückgegriffen, um missliebige Personen möglichst ohne Spuren ins Jenseits zu befördern. Locusta, die im ersten nachchristlichen Jahrhundert als Giftmischerin in Rom wirkte, ist von den Kaisern regelrecht umworben worden.

Quelle:
KNA
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