Die düstere Ahnung hat sich bestätigt: Der sexuelle Missbrauch katholischer Ordensfrauen durch Geistliche ist in Afrika und Asien ein virulentes, aber bisher weitgehend unter der Decke gehaltenes Thema.
Das katholische Hilfswerk missio in Aachen hat bei kirchlichen Partnerorganisationen im globalen Süden nachgebohrt. Zwei Drittel von 101 Befragten aus 19 Ländern gaben an, dass der Missbrauch der Ordensfrauen durch Kleriker eine hohe bis sehr hohe Bedeutung habe.
Anlass war die Aussage von Papst Franziskus im vergangenen Jahr, dass "einige Priester und auch Bischöfe" sich an Ordensfrauen vergehen.
Keine wissenschaftlich belastbare Studie
Missio betont, dass es keine wissenschaftlich belastbare Studie über das konkrete Ausmaß des Missbrauchs vorlege. Dennoch misst missio-Präsident Dirk Bingener der eigenen Recherche einen klaren Aussagewert zu: "Die Umfrage macht deutlich, dass es sich hier nicht um Einzelfälle handelt." Es gehe um "ein Problem in der Breite". Die Teilnehmenden berichteten von Angst, Scham und der Vertuschung, denen missbrauchte Ordensfrauen in den Gesellschaften und Ortskirchen in Afrika oder Asien ausgesetzt seien.
Aus Ozeanien kam nur eine Antwort zurück, weshalb über diese Region (vorerst) keine Einschätzungen möglich sind. Aber die Rückmeldungen aus Afrika und Asien - besonders aus Indien - lassen deutliche Konturen erkennen: Dort wird der Missbrauch an Ordensfrauen durch Geistliche tabuisiert.
Wenn eine Schwester es wagt, offen darüber zu reden, muss sie Vergeltungsmaßnahmen wie den Ausschluss aus ihrer Gemeinschaft befürchten. Oder die Schwestern werden ein weiteres Mal zum Opfer, wenn sie als Verführerinnen abgestempelt werden. Überhaupt mangelt es laut missio an dem Bewusstsein, dass entwürdigende Umgangsformen gegenüber den weiblichen Ordensmitgliedern überhaupt als Missbrauch angesehen werden.
Schwestern leiden unter Angst und Scham
Die Schwestern ihrerseits leiden nicht nur unter dem Missbrauch selbst, sondern auch unter Angst und Scham. Aus kulturellen oder religiösen Gründen ordnen sie sich in der Regel den männlichen Klerikern unter - zumal Geistliche das Image der Unfehlbarkeit umgibt und im Falle eines Falles die Moralität der Opfer in Frage gestellt wird. Solche hierarchischen Machtstrukturen und die Tendenz der Priester zum "Klerikalismus" erschwerten es, den Missbrauch zu stoppen.
Das Hilfswerk missio, dass die Kirchen Afrikas, Asiens und Ozeanien in ihrer pastoralen und sozialen Arbeit unterstützt, will dazu beitragen, die "Kultur des Schweigens" zu brechen. "Wir müssen das Leid der missbrauchten Ordensfrauen sehen, anerkennen und es zum Thema in der Weltkirche machen, das ist eines der wichtigsten Anliegen unserer Partner", sagte Bingener.
Diese erwarteten von missio, bei der Stärkung der Rechte von Ordensfrauen und beim Aufbau von Netzwerken eine aktive Rolle zu übernehmen. "Wir werden dabei helfen, Schutzräume aufzubauen und Beschwerdestellen einzurichten", so Bingener. Entsprechende Projekte würden bevorzugt behandelt. Und wo Orden oder Bistümer die Aufarbeitung blockierten, würden zugesagte Gelder gestrichen.
Koordinationsbüro einrichten
Um all diese Ziele zu verwirklichen, will missio an seinem Sitz in Aachen ein Koordinationsbüro mit einer hauptamtlichen Kraft und einer Arbeitsgruppe einrichten, um den Kampf gegen Missbrauch zur Querschnittsaufgabe zu machen. Sie solle auf Bundes- wie auf Weltebene ein Netzwerk aufbauen und dabei auch die weltweit anderen rund 120 Päpstlichen Missionswerke für das Tabu-Thema sensibilisieren.
"Der größte Wunsch der Opfer ist, sie moralisch und spirituell zu unterstützen", sagte die Soziologin Josephine Beck-Engelberg, die die missio-Umfrage begleitete. Dazu und zu Therapien oder finanziellen Unterstützungen der Opfer wolle das Hilfswerk die Verantwortlichen in den Ortskirchen bewegen. Aber auch - wo möglich - bei einer Strafverfolgung mithelfen. So hat vor zwei Wochen im indischen Bundesstaat Kerala ein Vergewaltigungsprozess gegen den katholischen Bischof Franco Mulakkal begonnen. Das Verfahren haben laut missio-Auslandschef Frank Kraus nicht zuletzt auch Organisationen vorangetrieben, die das Hilfswerk fördert.