Die ukrainisch-orthodoxe Kirche, die bis Mai dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. unterstand, ist ins Visier der Spionageabwehr geraten. Bei einer Razzia im Hauptsitz der Kirche in Kiew, dem Höhlenkloster, und zwei anderen kirchlichen Einrichtungen beschlagnahmte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU pro-russisches Propagandamaterial, wie er am Mittwoch mitteilte. Zudem seien Bargeld in Millionenhöhe und "dubiose" russische Staatsbürger entdeckt worden. In Zusammenarbeit mit der Polizei und der Nationalgarde habe er am Dienstag rund 350 Kirchengebäude und 850 Personen kontrolliert.
Die ältere der beiden orthodoxen Kirchen der Ukraine mit ihrem Oberhaupt Onufri hatte sich im Frühjahr als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg für unabhängig erklärt. Damit distanzierte sie sich vom Moskauer Patriarchen Kyrill I., der sich immer wieder ausdrücklich an die Seite von Kreml-Chef Wladimir Putin stellt. Doch bestehen offenbar Zweifel an der Haltung der Kirche, wie die Aktion des Geheimdienstes vermuten lassen.
Kommt ein Kirchenverbot?
Mehr als 50 Personen seien im Rahmen der Spionageabwehr eingehend befragt worden, unter anderem mit Hilfe eines Lügendetektors. Bei einigen vorgelegten ukrainischen Pässen gebe es Anzeichen, dass sie gefälscht seien. Die Prüfung laufe noch, so der Geheimdienst. In der konfiszierten "pro-russischen Literatur" für Priesterseminare und kirchliche Schulen werde die imperiale Lehre "russische Welt" (russkij mir) propagiert. Experten sollen das Material nun untersuchen. Der SBU hatte neben dem Kiewer Höhlenkloster im Nordwesten der Ukraine auch ein Kloster in Korez sowie die Bistumsverwaltung in Sarny durchsucht.
Unterdessen fordern Abgeordnete, dass das Höhlenkloster, ein Wahrzeichen der Hauptstadt, der Kirche entzogen und an die 2018 gegründete eigenständige (autokephale) orthodoxe Kirche der Ukraine übertragen wird. Dem Parlament liegt bereits ein entsprechender Antrag vor. Auch über ein landesweites Verbot der Kirche wird seit Monaten diskutiert.
Strafverfahren gegen 30 Geistliche
Am Mittwoch versammelte sich im Höhlenkloster - wie seit langem geplant - das oberste Leitungsgremium der ukrainisch-orthodoxen Kirche, der Heilige Synod unter Vorsitz von Metropolit Onufri. Mit Spannung wird erwartet, wie sie auf die Razzia reagiert. Die Kirche klagt seit langem über zahlreiche Anfeindungen und Schikanen.
Das 1051 gegründete Höhlenkloster "Petscherska Lawra" ist die bedeutendste Abtei der Ukraine und Amtssitz des Kirchenoberhaupts. Es liegt an einem Hang am Westufer des Dnjepr. Seit 1990 steht es auf der Unesco-Welterbeliste. Der ukrainische Inlandsgeheimdienst hat in diesem Jahr bereits Strafverfahren gegen mehr als 30 Geistliche der ukrainisch-orthodoxen Kirche eingeleitet. Darunter seien auch "klassische Agenten, die detaillierte Informationen sammeln", sagte Geheimdienst-Chef Wassyl Maljuk Ende Oktober. Zuletzt geriet das Höhlenkloster vor einer Woche ins Visier des SBU, weil dort ein pro-russisches Lied gesungen worden sei.
Provokationen und Terror
Der Kreml verurteilte die Razzia. "Die ukrainische Seite befindet sich seit langem im Krieg mit der russisch-orthodoxen Kirche", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Der ukrainische Inlandsgeheimdienst begründete die Kontrolle am Dienstag damit, man wolle verhindern, dass das Kloster als "Zentrum der russischen Welt" diene und die Bevölkerung durch Provokationen und Terroranschläge bedroht werde.
Die Mehrheit der Ukrainer ist orthodox. Sie gehören im Wesentlichen der Ende 2018 gegründeten eigenständigen (autokephalen) "Orthodoxen Kirche der Ukraine" (OKU) und der vormals dem Moskauer Patriarch unterstehenden "Ukrainischen Orthodoxen Kirche" (UOK) an. Laut Umfragen bekennen sich deutlich mehr Ukrainer zur neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine als zu Onufris Kirche.