Fast im Stundentakt treffen in Caracas die Meldungen über beinahe verzweifelte politische Vorstöße zur Lösung der Dauerkrise ein. Venezolanische Bischofskonferenz, die Staaten der Lima-Gruppe, lateinamerikanische Spitzenpolitiker, europäische Politprominenz: Sie alle fordern eine Verschiebung der Präsidentschaftswahl am Sonntag. Es gebe keine Garantien für freie und faire Wahlen, heißt es unisono. Venezuelas sozialistischer Präsident Nicolas Maduro kontert, ihn interessiere die Meinung der europäischen Eliten nicht. Und die venezolanische Kirche muss Meldungen dementieren, sie habe zum Wahlboykott aufgerufen.
Tatsächlich mahnten die Bischöfe in einer Erklärung ihre Landsleute, die Wahlentscheidung gut zu überdenken. Die Ausgangslage ist klar: Das Oppositionsbündnis "Tisch der demokratischen Einheit" (MUD) hat keinen eigenen Kandidaten aufgestellt und bezeichnet den Wahlgang als Betrug. Oppositionelle Spitzenpolitiker stehen entweder unter Hausarrest, sitzen im Gefängnis, wurden mit einem Berufsverbot belegt oder leben im Exil. Darum fordert das MUD-Bündnis seine Anhänger auf, der Wahl am Sonntag fernzubleiben - der Wahlboykott als letzte Kampfansage an die Regierung. Die staatliche Wahlbehörde CNE drohte unterdessen all jenen Venezolanern Strafen an, die zum Boykott aufrufen.
Umfragen sehen Maduro vorn
Maduro führt derweil - laut Berichten regierungsnaher Medien - die Umfragen an. Rund 55 Prozent der Bürger wollen ihm demnach ihre Stimme geben, zwei Drittel wollen zur Wahl gehen. Einige Umfrageinstitute gehen gar von einem knappen Wahlausgang aus, sollten sich die regierungskritischen Wähler entschließen, dem einzigen ernsthaften Gegenkandidaten Henri Falcon ihre Stimme zu geben. Gegen den ehemaligen Sozialisten und Provinzgouverneur erhebt die Opposition allerdings schwere Vorwürfe. Seine Aufgabe sei es lediglich, den Wahlen einen demokratischen Anstrich zu verleihen, heißt es aus MUD-Kreisen.
Reiner Wilhelm, Venezuela-Experte des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, sieht das anders: "Jeder Gegenkandidat tritt nicht nur gegen den Präsidenten an, sondern gegen Militär, Justiz, Medien und den gesamten Staatsapparat. Wer kann es mit dieser Front korrumpierter Institutionen aufnehmen?", fragt er und fordert ein Einschreiten der internationalen Staatengemeinschaft. "Das Regime um Präsident Maduro, aber auch die Opposition sowie die internationale Weltgemeinschaft - alle Seiten bereichern sich auf Kosten des hungernden und leidenden Volkes", kritisiert Wilhelm.
Vor der Krise ist nach der Krise
Die Folgen: Das Rote Kreuz berichtet von einer Million Flüchtlinge aus Venezuela, die in den vergangenen zwei Jahren ins Nachbarland Kolumbien gegangen seien. Andere Länder wie Ecuador oder Peru melden hunderttausende Einwanderer aus Venezuela. Chile änderte jüngst sogar sein Einwanderungsgesetz, um den Exodus aus Venezuela in den Griff zu bekommen.
Die geschwächte Opposition bereitet sich unterdessen bereits auf die Zeit nach der Krise vor: Oppositionspolitikerin Maria Corina Machado geht von einem bevorstehenden Ende der Maduro-Regierung aus. Nicht aufgrund einer Wahlniederlage, sondern wegen einer fehlenden internationalen Akzeptanz des Wahlergebnisses. Zahlreiche lateinamerikanische Länder, darunter Kolumbien, haben angekündigt, das Ergebnis nicht anzuerkennen. Auch die venezolanischen Bischöfe wiesen auf die Mängel des Wahlvorganges hin. Zu Wochenbeginn stellten sie noch einmal klar, dass diesem Urnengang die demokratischen Grundlagen fehlten. So gilt auch nach der Wahl am Sonntag in Venezuela: Vor der Krise ist nach der Krise.