KNA: Frau Ristine, was steht hinter der Idee von Magdala?
Jennifer Ristine (US-amerikanische Autorin): Der Leiter der katholischen Gemeinschaft Legionäre Christi im Heiligen Land, Juan Solana, hatte 2006 die Idee, ein Pilgerhaus ähnlich dem Notre-Dame-Zentrum in Jerusalem zu errichten. Innerhalb von drei Jahren wurde das das Land mit Hilfe von Wohltätern erworben und mit den Arbeiten begonnen, bei denen eine Synagoge aus dem ersten Jahrhundert gefunden wurde. Es folgten archäologische Grabungen. So entwickelt sich ein Projekt mit mehreren Facetten, darunter der Idee eines multireligiösen Zentrums.
Magdala ist ein Kreuzweg jüdischer und christlicher Geschichte, bis heute kommen viele jüdische Besucher. Sie lernen hier kulturelle Elemente des christlichen Glaubens kennen. Das scheint insbesondere die ältere jüdische Generation zu interessieren. Das geht soweit, dass jüdische Reiseführer an uns herantreten.
KNA: Wieviele Menschen kommen?
Ristine: Die Zahlen steigen. Seit August 2014 hatten wir mehr als 300.000 Besucher. 2017 waren es 130.000 Besucher, in den ersten sechs Monaten 2018 bereits 114.000. Das historische Magdala zieht unterschiedlichste Menschen an: einheimische Juden, die wegen kulturellen, historischen und religiösen Aspekten zu der Synagoge aus dem ersten Jahrhundert und des jüdischen Ritualbads kommen, Christen, die guterhaltene Funde aus der Zeit sehen wollen...
KNA: Wie kam es zu dem Buch?
Ristine: Als Koordinatorin des Besucherzentrums wurden mir zahlreiche Fragen zu Maria Magdalena gestellt: Wer ist diese Frau? Ist sie die Frau Jesu, seine Mutter? Ist sie menschlich oder göttlich? Auch unter Christen herrscht oft Unwissenheit, was über sie in der Bibel steht.
Dann sah ich Frauen aus verschiedensten Traditionen, die Maria Magdalena als Rollenvorbild betrachten. Ich stellte fest, dass sie zu einer Ikone der Hoffnung für viele wurde. Viele sehen in ihr ein Zeichen der Stärkung der Frauen.
KNA: Warum gerade Maria Magdalena?
Ristine: Vermutlich wegen der «sieben Dämonen», von denen Jesus sie befreite, und dem, was viele Menschen darunter verstehen. In dem Buch gehe ich auf verschiedene Theorien hierzu ein. In jedem Fall sehen wir ein gebundenes Wesen mit der Not, von früheren Lebensumständen befreit zu werden. Genau das macht Jesus mit ihr. In diesem Sinne wird sie für Frauen in schwierigen Situationen zur Hoffnungsfigur.
Sie ist ein Vorbild dafür, dass es möglich ist, über sich hinauszuwachsen.
KNA: Wie kommt jemand mit nicht-christlichem, nicht-katholischem Hintergrund zu einem solchen Vorbild?
Ristine: Marias Geschichte ist medial sehr präsent. In gewisser Weise ist sie ein allgemeines religiöses wie säkulares Kulturgut. Es gibt jüdische Frauen, die in ihren Synagogengemeinschaften genau wie sie in die Lehre einbezogen werden wollen, ähnlich den Rabbinern. Sie sehen in Maria Magdalena eine Frau, die genau dies getan hat. Sie war die erste Zeugin der Auferstehung und wurde von Jesus beauftragt, die Botschaft weiterzutragen. Deshalb wird sie im 3. Jahrhundert von Kirchenvater Hippolytos als «Apostelin der Apostel» bezeichnet. Es ist die Idee einer Frau, die Zeugnis gibt in einer Kultur, die dem Zeugnis von Frauen keine Bedeutung beimaß. Menschen sehen sie daher als kühn und mutig. Sie spricht in zahlreichen Weisen zu den Menschen. Wir müssen dabei nur vorsichtig sein, dass unsere Mentalität des 21. Jahrhunderts nicht zu sehr überhandnimmt und wir sie ihrer tiefen Botschaft berauben.
KNA: Worin liegt diese Botschaft?
Ristine: In der Erlösung, der Hoffnung und der evangelisierenden Kraft von Frauen!
KNA: Worum geht es in Ihrem Buch?
Ristine: Ich würde es als multidisziplinäres Buch für Laien mit einem wissenschaftlichen Rahmen beschreiben. Dabei hatte ich diverse Leserschaften im Kopf, unter anderem Reiseführer hier im Land. Ich versuche, ihre Fragen und die Fragen der Besucher zu beantworten und die Symbolik des Ortes zu erklären. Im erste Teil geht es geografisch, historisch und archäologisch um Magdala. Teil zwei befasst sich mit Heiligen Schriften, die ich basierend auf den Fragen auslege. Ein dritter Teil gibt historische Perspektiven.
Nichtkanonische Schriften haben zu einer Reihe von Missverständnissen über Maria Magdalena geführt. In diesem Teil deute ich bestimmte Schriften von Kirchenvätern aus weiblicher Perspektive neu. Das Buch endet mit einem Kapitel über Einsichten des 21. Jahrhunderts aus dem antiken Magdala. Hier geht es unter anderem um Betrachtungen über die Bedeutung heiliger Stätten und heiliger Personen für unser Leben.
KNA: Aus einer nichtspirituellen Perspektive: Was bietet das Buch dem Leser?
Ristine: Die Idee, durch bedingungslose Liebe befreit zu werden, spricht zu den Menschen - die Botschaft der Heilung durch Liebe, Akzeptanz und Respekt vor ihrer Würde. Das gesamte Konzept der Erlösung und Befreiung ist eine Botschaft, die viele teilen.
Das Interview führte Andrea Krogmann und Tobit Nauheim.