Rabbi Josh Franklin hat seine Gemeinde getestet. Vor einigen Wochen predigte er in der New Yorker Synagoge East Hampton über Vertrauen, Verletzlichkeit und Vergebung. "Raten Sie mal, wer die Predigt geschrieben hat?", fragte er danach die Besucher schelmisch. "Das war ein Plagiat", bekannte er mit Unschuldsmiene.
Die komplette Predigt, die die Thora zitiert und die Rettung der Israeliten thematisiert, habe ein ChatGPT geschrieben. Dennoch gefiel sie der Gemeinde - sehr sogar.
Fast perfekt und doch seelenlos
Das intelligente Sprach- und Textsystem verfasste die Predigt fast per Knopfdruck. Franklin gab das Thema vor, wünschte sich dazu noch ein Zitat einer Autorin und begrenzte den Text auf 1.000 Worte. Sein Experiment mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) verblüffte ihn selbst am meisten. Das Ergebnis sei zwar nicht in seinem Stil geschrieben, aber in der Sache nicht zu beanstanden.
Allerdings sei die KI-Predigt "wenig einfühlsam", so der Rabbiner. Sie zeige "keine Liebe, kein Mitgefühl; sie kann die Gemeinde nicht miteinander verbinden". Diese Erfahrung hat auch Hershael York gemacht. Einer Chatbot-Predigt fehle einfach die Seele, so der Professor für christliche Predigt am Southern Baptist Theological Seminary in Kentucky. Wenig fleißige Pfarrer könnten versucht sein, ChatGPT zu nutzen, so York; "aber nicht die, die das Predigen und ihre Gemeinde lieben".
Die Chancen und Risiken der KI
ChatGPT gilt als Prototyp eines Chatbots; eines Programms, das Textdaten verarbeiten kann, als habe ein Mensch sie verfasst. Das vom US-Unternehmen OpenAI entwickelte Programm, unter anderem von Tesla-Chef Elon Musk mitbegründet, ist seit Jahresende auf dem Markt.
Ein Milliardenprojekt, das allerdings noch weit davon entfernt ist, frei von Fehlern zu sein. Wissenschaftler warnen, dadurch seien Betrug und Falschinformationen möglich. Tatsächlich kann ChatGPT Aufsätze und Lebensläufe schreiben und wird auch schon gerne für Prüfungen genutzt.
Die Nutzung von KI könne natürlich nicht die Zukunft der Predigt sein, so der Chefredakteur von "Christianity Today", Russell Moore. Eine gute Predigt sei mehr als die Summe ihrer Teile. Chatbots fehle einfach die "gute Nachricht". Solche Botschaften müssten von einem Menschen überbracht werden; einem, der nicht nur Fakten referieren kann, sondern auch über Inspiration verfügt, so die Doktorandin für Predigten an der texanischen Baylor University in Waco, Alison Gerber.
Der KI fehlt die Glaubenspraxis
Sie hatte über ChatGPT eine Predigt zum Gleichnis vom verlorenen Schaf in Auftrag gegeben und war einfach perplex, als das System ihr Minuten später einen Text präsentierte, um den sie normalerweise tagelang ringen müsse. Allerdings: Dem Text fehlte jeder prophetische Ausblick. ChatGPT könne nur aus der Vergangenheit schöpfen; "nicht hoffen, sich nichts vorstellen, nicht träumen", so Gerber. "Würden Sie jemanden in ihrer Kirche predigen lassen, der zwar Predigten geschrieben, aber noch nie gebetet hat? Genau das ist ChatGPT - ein Predigtschreiber, der noch nie gebetet hat."
Eine ähnliche Erfahrung hat auch Todd Brewer gemacht, als er ChatGPT auf die Probe stellte. Im Dezember ließ sich der Experte für das Neue Testament eine Weihnachtspredigt verfassen. Er legte die Latte hoch und forderte passende Zitate von Karl Barth, Martin Luther, Barack Obama und anderen. "Besser als mehrere meiner eigenen Weihnachtspredigten der vergangenen Jahre", gab Brewer zu. ChatGPT scheine sogar zu verstehen, "was die Geburt Christi zu einer wirklich guten Botschaft" mache; aber: Der Predigt fehlte "jegliche menschliche Wärme".
Rachael Keefe, Pfarrerin der Living Table United Church of Christ in Minneapolis formuliert: "Die Fakten stimmen zwar; aber es fehlt etwas Tieferes." Wie Rabbi Franklin hatte auch sie ChatGPT als Predigtautor getestet. Das KI-Produkt habe zwar eine halbwegs kompetente Predigt hinbekommen; allerdings ohne dabei "die Leidenschaft einer echten Predigt" wiederzugeben. Das Ergebnis sei "etwas fade".
Kann ChatGPT Geistliche in Zukunft ersetzen?
Was die KI leiste, sei schon beeindruckend, erkennt Rabbi Josh Franklin an. Es mache ihm aber "definitiv Angst", dass die Macht der Technologie den Prediger irgendwann überflüssig machen könnte. "Ich dachte", fügte er ironisch hinzu, "Lkw-Fahrer würden lange vor dem Rabbi verschwinden, wenn es darum geht, unsere Arbeitsplätze an Künstliche Intelligenz zu verlieren." ChatGPT könne keine Beziehungen aufbauen. Daher werde es den Prediger vielleicht nicht ersetzen, so Franklin, "aber es wird uns unter Druck setzen".