Selten hat man einen Kardinalstaatssekretär so ratlos gesehen wie Pietro Parolin in den Tagen nach dem Angriff der Hamas auf Israel. Der Chefdiplomat des Papstes gab einen ungewöhnlich offenen Einblick in die weitgehende Konzeptionslosigkeit der vatikanischen Diplomatie und Außenpolitik nach dem zweiten schweren Rückfall ins Zeitalter brutaler Nachbarschaftskriege innerhalb von zwei Jahren.
Neue vatikanische Diplomatie
Noch im Ukraine-Russland-Krieg hatte Parolin - nach einem längeren "Zurechtruckeln" zwischen ihm und Papst Franziskus - eine Linie und eine neue, hoffnungsvolle Rolle für die vatikanische Diplomatie gefunden. Die zunächst eher vage und unkoordiniert wirkende Friedensmission von Kardinal Matteo Zuppi mit seiner Reisediplomatie zwischen Washington, Kiew, Moskau und Peking hatte Parolin "eingefangen" und mit der etablierten Diplomatie des Heiligen Stuhls verzahnt.
Als anerkannter Vermittler in humanitären Fragen, so die Idee, sollte der Heilige Stuhl erste Gesprächsbrücken zwischen den Kriegsparteien schaffen, über die dann später auch einmal echte Friedensgespräche - oder zumindest Vorgespräche - möglich wären.
Papst blieb im Spiel
Um als quasi überparteiche Autorität "supra partes" anerkannt zu werden, äußerte sich der Papst dabei oft vergleichsweise russlandfreundlich - was ihm nicht nur auf ukrainischer Seite Kritik einbrachte. Dennoch schaffte es der Vatikan, auch mithilfe der starken griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine, im angegriffenen Land "im Spiel zu bleiben".
In den letzten Wochen war es jedoch still geworden um die Friedensmission zwischen Kiew und Moskau. Und dann brach plötzlich der nächste Krieg aus, diesmal zwischen der Hamas und dem Staat Israel. Der Zufall wollte es, dass Parolin kurz nach dem Gemetzel an Hunderten Zivilisten im Süden Israels bei einer hochkarätig besetzten Tagung im Kloster Camaldoli im Norden der Toskana über das Thema "Europa als Horizont des Friedens" sprechen sollte.
Zerstörung internationaler Regeln
Zum Thema Ukraine bemerkte Parolin bei dieser Gelegenheit in seinem vorbereiteten Vortrag: "Der Einmarsch in die Ukraine, der Krieg und die Verwüstung ihres Territoriums führen auch zur Zerstörung der internationalen Regeln und Rechte, auf denen die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz beruht, bis hin zur Drohung mit dem extremen Einsatz von Atomwaffen." Europa, so Parolin, "kann nicht akzeptieren, dass wir zu einem System zurückkehren, das Grenzen mit Gewalt neu zieht."
In einem am Rande geführten Interview mit der katholischen Zeitschrift "Il Regno" räumte er dann allerdings ein, dass sein Vertrauen in die Fähigkeit Europas in dieser Hinsicht derzeit nicht besonders groß ist. Die "Probleme innerhalb der EU und die Schwierigkeit, sich angemessen mit anderen Realitäten auseinanderzusetzen, erschweren diese Rolle des Friedens, die Europa in der Welt spielen sollte. Wir hoffen, dass es diese Rolle wiederfindet, aber ich kann das derzeit nicht erkennen."
"Zerbrechliche Hoffnungen auf Frieden" gefährdet
Noch pessimistischer und streckenweise sprachlos zeigte sich Parolin angesichts des Überfalls auf Israel vom Vortag: "Diese Ereignisse gefährden noch mehr die zerbrechlichen Hoffnungen auf Frieden, die sich angesichts des Abkommens mit Saudi-Arabien am Horizont abzuzeichnen schienen".
Damit deutete er an, dass auch der Heilige Stuhl offenbar auf die unter US-Präsident Donald Trump im Jahr 2020 begonnene Initiative für ein Netz arabisch-israelischer Friedensverträge (die sogenannten Abraham Accords) einige Hoffnungen gesetzt hatte. Diese "zerbrechlichen Hoffnungen", so führte er weiter aus, "lösen sich derzeit vollständig in Rauch auf."
Keine großen Ergebnisse
"Die Welt scheint verrückt; was passiert, geht über das Vorstellbare hinaus", erklärte Parolin weiter. Und in einem Moment offensichtlicher Hoffnungslosigkeit fügte er hinzu: "Die diplomatischen Bemühungen scheinen keine großen Ergebnisse zu bringen - und das sage ich auch in Bezug auf den Krieg in der Ukraine."
Angesichts dieser Lage rief er, für einen Chefdiplomaten ungewöhnlich, zum Gebet für den Frieden auf. An anderer Stelle sprach er etwas energischer und sagte: "Jetzt wird es einer noch viel größeren Anstrengung bedürfen, um Fäden wieder aufzugreifen und zu versuchen, zu einer friedlichen und gerechten Lösung zu kommen, damit sich derartiges nicht wiederholt."
Bilder des Friedens wirken überrollt
Die unter dem Schock der Ereignisse im Heiligen Land getätigten Äußerungen des Kardinalstaatssekretärs kontrastieren stark mit der optimistischen Vision vom Weltfrieden im Zeitalter einer universalen Geschwisterlichkeit, wie sie Papst Franziskus noch in seiner Enzyklika "Fratelli tutti" vom Oktober 2020 skizziert hatte. Die über Jahre produzierten hoffnungsvollen Bilder von freundschaftlichen Begegnungen des Papstes mit anderen Religionsführern - auch aus Israel und vielen islamischen Ländern - wirken angesichts der neuen Ereignisse wie von der harten Wirklichkeit überrollt.
Doch Papst Franziskus ist nicht nur unermüdlicher Botschafter für Frieden und Völkerverständigung. Mehrfach hat er auch die Rolle des warnenden Rufers eingenommen. Mit seiner mehrfach geäußerten Warnung vor einem "Dritten Weltkrieg in Stücken" scheint er derzeit recht zu bekommen.
Chance auf Heilung verstrichen
Was die vatikanische Diplomatie in dieser Lage außer Beten noch tun kann, ist derzeit noch nicht zu erkennen. Der Papst selbst sprach in seinem letzten Lehrschreiben "Laudate Deum" in einigen Sätzen davon, dass sich die traditionelle Diplomatie "in einer Krise befindet." Leider habe die Welt globale Krisen wie die Finanzkrise 2007-2008 und die Covid-19-Pandemie als Chancen für "heilsame Veränderungen" vertreichen lassen.
Und weiter: "Ihr ist es noch nicht gelungen, ein Modell multilateraler Diplomatie zu entwickeln, das der neuen Weltlage gerecht wird." Nur wenn sie in der Lage sei, sich neu aufzustellen, werde sie auch Teil der Lösung sein. Dies gilt in der derzeitigen Lage ganz offensichtlich auch für die Diplomatie des Papstes.