Es sei "Augenwischerei, so zu tun, als habe Würde immer im Zentrum kirchlicher Argumentation gestanden", sagte die Dogmatikerin Gunda Werner dem Portal katholisch.de am Dienstag. Historisch gesehen habe sich die Kirche kaum auf die Würde aller Menschen bezogen, "stattdessen ging es vor allem um die Würde des Mannes".
Das am Montag veröffentlichte Dokument "Dignitas infinita" (Unendliche Würde) des Dikasteriums für die Glaubenslehre enthält eine ausführliche Darstellung von Verstößen gegen die Menschenwürde aus Sicht der katholischen Kirche. Dazu zählen die Ausbeutung von Arbeitern, der Menschenhandel, die Zerstörung der Umwelt, sexueller Missbrauch innerhalb und außerhalb der Kirche, Gewalt gegen Frauen, Krieg und die Todesstrafe.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, begrüßte es, dass der Vatikan die "unverzichtbare, unverletzliche und nicht zu reduzierende ('infinita') Würde des Menschen" unterstreiche und einschärfe.
Werner: Handeln der Kirche bleibt unreflektiert
Werner kritisierte, dass etwa sexualisierte Gewalt in wenigen Sätzen abgehandelt werde. "Missbrauch wird als Hindernis für die Sendung der Kirche erkannt, aber dass es innerhalb der Kirche vielleicht Strukturen gibt, die Missbrauch begünstigen, kommt nicht vor. Eine Wendung des Blicks nach innen fehlt völlig, das eigene Handeln der Kirche bleibt unreflektiert."
Ebenso klafften die Aussagen zu homosexuellen Menschen und Transpersonen auseinander: Einerseits würden Staaten ermahnt, nicht gegen diese vorzugehen, andererseits werde "nach innen jede homosexuelle Handlung" verurteilt. Unklar bleibe zudem, gegen welche Gender-Theorien sich das Lehramt konkret wende.
Goertz: Einordnung der Gender-Theorien "Ärgernis"
Für den Moraltheologen Stephan Goertz ist die Einordnung von Gender-Theorien als schwere Verstöße gegen die Menschenwürde "ein echtes Ärgernis": "Menschenrechtliche Ansprüche sexueller Minderheiten werden mit keiner Silbe der Würdigung für wert erachtet", kritisierte Goertz in einem Gastbeitrag auf kirche-und-leben.de. "Wie soll unter diesen Vorzeichen eine auch nur ansatzweise seriöse Auseinandersetzung stattfinden?"
Ebenso bleibe es ein "moraltheologisches Rätsel", wie es mit der Menschenwürde in Einklang zu bringen sei, wenn Homosexuellen die Fähigkeit abgesprochen werde, ihre Sexualität auf humane Weise auszuleben. Zudem falle an dem Dokument auf, "dass für die Begründung der Würde des Menschen dessen Freiheit keinen zentralen Stellenwert besitzt".
Angesichts globaler Angriffe auf freiheitliche Gesellschaften hätte Goertz es für sinnvoll gehalten, "die demokratische, rechtsstaatliche politische Ordnung nachdrücklicher als die relativ beste staatliche Garantie des Schutzes von Menschenwürde christlich zu verteidigen".