DOMRADIO.DE: Was war da los am letzten Donnerstag?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): Ein Mann hat sich komplett ausgezogen und ist dann auf den Hochaltar, also auf den Papstaltar von Sankt Peter geklettert. Obwohl in der Basilika Sicherheitspersonal anwesend war, die Leute der Dombauhütte genauso wie Gendarme, ist es ihm gelungen, da hochzuklettern. Angeblich wollte er demonstrieren gegen den Krieg in der Ukraine.
DOMRADIO.DE: Was folgt in so einem Fall? Was passiert mit solchen Personen hinterher?
Nersinger: Man vermutet oft und manchmal ein bisschen zu vorschnell, dass irgendwelche seelischen Probleme dahinterstecken, und man nimmt sie fest, man identifiziert sie und versucht dann auch Ärzte zuzuziehen. Dann übergibt man die meistens der italienischen Polizei, wenn es in Sankt Peter ist und auf dem Vorplatz von Sankt Peter.
DOMRADIO.DE: Ist der Altar dann nicht irgendwie beschmutzt?
Nersinger: Aus diesem Grund hat am Samstag der Erzpriester der Basilika an selbiger Stelle eine Bußliturgie vollzogen. Neben Kardinal Mauro Gambetti war auch das Priesterkollegium des Petersdoms und weitere Gläubige an dem Ritus beteiligt.
DOMRADIO.DE: Das macht man nicht, nackt auf den Altar zu klettern. Es hat da aber auch schon ganz andere Vorfälle im Petersdom gegeben, oder?
Nersinger: Ja, weitaus gefährlichere! Ich denke zum Beispiel an das Zweite Vatikanische Konzil. Zwei Wochen vor der Eröffnung im Herbst 1962 fand man zwei Brandsätze in Sankt Peter. Einen Brandsatz fand man bei den Tribünen, auf denen die Konzilsväter Platz nehmen sollten. Das hätte ganz böse enden können.
Ein Jahr zuvor war schon ein kleiner Sprengsatz bei der Statue Clemens X. explodiert. Ähnliches erlebten wir mit Sprengstoff-Funden im Heiligen Jahr 1950. Darüber ist aber relativ wenig kommuniziert worden. Zumindest weiß die Öffentlichkeit bis heute nicht, wer eigentlich die Urheber waren. Das sind so gravierende Fälle.
Was die Kunstwelt betrifft, ist im Jahre 1972 jemand auf die Madonna von Michelangelo geklettert und hat sie mit Hammerschlägen bearbeitet und schwer beschädigt. Das sind so die Vorfälle, die gravierend waren. Oder denken wir auch an Benedikt XVI. Zweimal ist in der Weihnachtsliturgie beim Einzug jemand über die Brüstung gesprungen und hat einmal sogar den Papst niederreißen können.
DOMRADIO.DE: Was mir natürlich bei so einem Dom mit so wertvollen Objekten als erstes einfällt, ist, dass da unheimlich viel geklaut wird. Stimmt das?
Nersinger: Der erste Kriminalfall im neuen Kirchenstaat, der 1929 gegründet wurde, war ein Jahr später, also 1930. Da erwischte man einen Kleinkriminellen. Der hatte an einer Schnur ein Stück Seife befestigt und war systematisch alle Opferstöcke nachgegangen und hatte versucht, da Geld rauszufischen.
Das ist eigentlich eine Sache gewesen, die eher zum Schmunzeln war. Der bekam aber eine relativ harte Strafe. Im Vatikan musste er sie absitzen, 90 Tage. Diese Haft war aber sehr human. Er hat mit seinen Wärtern zusammen das Essen eingenommen und er hat mit ihnen Karten gespielt.
Nach seiner Entlassung musste er dann auch noch in Italien eine Strafe absitzen. Aus der italienischen Haft hat er dann seinen Gendarmen im Vatikan geschrieben: Ach, wäre ich doch wieder bei euch, bei euch war es so schön.
DOMRADIO.DE: Das war ja eine ziemlich hohe Strafe für ein eigentlich nicht so schlimmes Vergehen.
Nersinger: Das waren damals noch andere Zeiten. Man hat härter reagiert. Das ist heute so ein bisschen anders. Manchmal denke ich, ist es zu lasch geworden, nicht nur bei direkten Straftaten, überhaupt im Umgang mit Sankt Peter.
Ich denke zum Beispiel an die Beisetzung von Königin Elisabeth II. Als man bei der Aufbahrung in London daran vorbeigehen konnte. Das war so gesittet. Keiner hat eine Kamera oder ein Handy gezückt und Fotos gemacht. Das Wachpersonal war sehr aufmerksam und sehr dezent.
Wenn ich mir dann die Aufbahrung von Benedikt XVI. angeschaut habe, da ist mir aufgefallen, dass fast jeder das Handy gezückt hat und Fotos gemacht hat. Das Aufsichtspersonal, sowohl die Leute der Dombauhütte und auch die Gendarmen waren etwas hilflos und gingen manchmal auch etwas ruppig vor.
Das Interview führte Heike Sicconi.