Vatikanexperte Nersinger berichtet von Reisen toter Päpste

Ein besonderes Versprechen

Vor 120 Jahren wurde Pius X. zum Papst gewählt. Anlässlich dieses Jubiläums sind seine sterblichen Überreste am Freitag in seinen Heimatort Riese gereist. Wie man sich so eine Reise vorstellen muss, weiß Ulrich Nersinger.

Statue von Papst Pius X. in Riese / © Boza C (shutterstock)
Statue von Papst Pius X. in Riese / © Boza C ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: "Peregrinatio corporis" – Pilgerfahrt des Leibes nennt man es, wenn ein Verstorbener auf Reisen geht. Warum macht man so was?

Vatikanexperte Ulrich Nersinger (EWTN)
Vatikanexperte Ulrich Nersinger / ( EWTN )

Ulrich Nersinger (Vatikan-Experte): Bei Papst Pius X. ist es sogar die zweite Reise als Toter in die Heimat. Das hat bei Pius X. einen ganz besonderen Grund. Als 1903 Papst Leo XIII. starb, fuhr Pius X., damals noch Kardinalpatriarch von Venedig, nach Rom. Als er zum Bahnhof fuhr, war da eine riesige Menschenmenge.

Er war äußerst beliebt und hat sozial unglaubliche Leistungen vollbracht. Die Leute klatschten und weinten. Ganz große Emotionen. Der Kardinal hat den Leuten, die ihm ganz verzweifelt gewinkt haben, gesagt, er kehre nach Venedig zurück, ob lebend oder tot.

Das war natürlich ein Versprechen. Man hat nicht gedacht, dass sich das irgendwann erfüllen würde. Er wurde dann Papst. Und als er dann in Rom heiliggesprochen wurde, hatte Jahre später Johannes XXIII., der auch Kardinalpatriarch von Venedig war, die Idee, den Leichnam nach Venedig zu überführen, damit die Gläubigen ihn dort verehren konnten und um diese Prophezeiung des Papstes zu erfüllen. Dann ist 1959 der Leichnam feierlich verabschiedet worden. Der Papst gab ihm eine hochrangige Delegation mit, die Nobelgarde hat ihn begleitet. Das war ein riesiges Ereignis damals.

Ulrich Nersinger

"Man hat dann alles Mögliche versucht, um den Leichnam zu retten."

DOMRADIO.DE: Wie läuft das ab, wenn so ein verstorbener Papst von A nach B gebracht wird?

Nersinger: Man muss den Leichnam natürlich gut konservieren und das ist ein gar nicht so einfaches Unterfangen. Das ist mit relativ großen Schwierigkeiten verbunden. Vor wenigen Jahren, 2018, hat man die Erlaubnis erteilt, dass auch Johannes XXIII. für ein paar Tage in seine norditalienische Heimat überführt werden darf.

Das war im Sommer mit einer ziemlichen Hitze. Und ein Glassarg isoliert ja nicht so gut. Dann hat man auf den Händen des Papstes gesehen, dass das Wachs, mit dem der Leichnam ja überzogen war, begonnen hat zu schmelzen.

Das war ein Schreck und man hat dann alles Mögliche versucht, um den Leichnam zu retten. Man hat Trockeneis unter den Sarkophag gelegt. Es ging dann noch gut, aber man musste später schauen, dass man den leicht lädierten Leichnam wieder in einen repräsentablen Zustand brachte.

DOMRADIO.DE: Sie haben es gerade auch schon erwähnt. Er hatte mal gesagt, er wolle noch mal wieder zurück in die Heimat, egal ob tot oder lebendig. Wurde er deshalb nach seinem Tod irgendwie anders behandelt als alle?

Ulrich Nersinger

"Dann hat man die toten Päpste eben dorthin gebracht, woher sie kamen."

Nersinger: Man hat das als eine kleine Anekdote angenommen und als Bindung an seine Heimat, aber man hat nicht gedacht, dass sich diese Worte auf irgendeine Weise erfüllen würden. Man hat gesehen, dass es in der Bevölkerung den Wunsch gab, den ehemaligen Patriarchen oder den ehemaligen Papst zu verehren.

Papst Pius X. (KNA)
Papst Pius X. / ( KNA )

Mit dieser Reise des Leichnams war vielleicht auch ein finanzieller Grund verbunden. Päpste wie Pius X. oder Johannes XXIII. waren Päpste, die aus Gegenden kamen, die sich nicht durch großen Reichtum auszeichnen. Nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner konnten ohne Weiteres nach Rom pilgern. Dann hat man die toten Päpste eben dorthin gebracht, woher sie kamen.

DOMRADIO.DE: Es gab den einen oder anderen verstorbenen Papst, der auch noch verstorben auf Reisen gegangen ist. Wer fällt Ihnen spontan noch ein?

Nersinger: Pius IX., also der letzte Papstkönig, der 1878 verstarb, hat den Wunsch geäußert, in einer Basilika außerhalb der damaligen Stadtmauern beigesetzt zu werden. Und das schien aber 1878 nicht so ganz einfach zu sein, weil der Papst sich viele Feinde gemacht hatte innerhalb der italienischen Einheitsbewegung. Es gab Freigeister und Sozialisten, die dem Papst nicht wohlgesonnen waren. Deshalb hat man sich nicht getraut, den Papst direkt zu überführen.

Man hat das erst drei Jahre später gemacht. Und auch diese Überführung des Sarges nach San Lorenzo war von einer großen Dramatik getragen. Eine Gruppe von Radikalen hat versucht, den Leichnam in den Tiber zu werfen. Das haben aber die Gläubigen, die den Papst verehrt haben, verhindert. Das müssen dramatische Szenen gewesen sein.

Das Interview führte Oliver Kelch.

Quelle:
DR