DOMRADIO.DE: Knackpunkt des Streits ist die Weltsynode, das dreijährige Reformprojekt von Papst Franziskus. Kardinal Grech, der Sekretär der Synode, hat gerade in einem Interview von Kräften in der Kirche gesprochen, die die Synode offen bekämpfen. Was sind das für Kräfte?
Marco Politi (Autor und Vatikanexperte): Das ist sehr interessant, dass er das gesagt hat. Denn man wusste es. Aber es ist natürlich wichtig, dass man das von einem großen Mitarbeiter von Papst Franziskus direkt hört.
Diese Kräfte sind Bischofskonferenzen. Er hat zwar keine Namen genannt, aber es ist schon klar: Seit acht Jahren gibt es in der katholischen Kirche einen Untergrund-Bürgerkrieg. Seit dem Moment, wo Papst Franziskus nach den zwei Synoden über die Familie praktisch die Kommunion für die wiederverheirateten Geschiedenen autorisiert hat, wurde dieser Bürgerkrieg begonnen, und der geht immer weiter.
Interessant an den Worten von Kardinal Grech ist, dass er einerseits gesagt hat, dass ein Teil der Bischöfe gegen diese große Konsultation ist, die der Papst wollte. Denn Franziskus wollte ja auch die Laien in der Vorbereitung der Synode einbeziehen. Das bedeutete einerseits, dass es doch viele Bischöfe gibt, die immer noch in der Mentalität von Johannes Paul II. und von Benedikt XVI. aufgewachsen sind, nämlich mit einer starren Verteidigung der althergebrachten Lehre.
Andererseits hat Kardinal Grech auf den jungen Klerus innerhalb der Oppositionskräfte hingewiesen. Es ist besonders der junge Klerus, der sehr oft in verschiedenen Ländern an eine Mission glaubt, die sehr spiritualistisch ist, wo der Priester alles bedeutet und die Gläubigen wie eine Art Schafherde sind.
DOMRADIO.DE: Kardinal Pell hat die Synode kurz vor seinem Tod als "marxistisch" und als "toxischen Albtraum" bezeichnet. Wie ist das zu bewerten? Ein Kardinal sollte ja eigentlich hinter seinem Papst stehen.
Politi: Das ist wahr, Aber das ist schon längst vorbei. Das ist schon seit dem Moment vorbei, in dem die vier sehr wichtigen Kardinäle Burke, Caffarra in Italien, Meisner in Deutschland und Brandmüller, ein anderer deutscher Kardinal in der römischen Kurie, die "Dubia", also die Zweifel gerade über die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene hervorgebracht haben.
Pell hat auch im Frühjahr schon ein sehr aggressives Memorandum für ein Konklave vorbereitet, in dem er sagt, dass das Pontifikat von Franziskus eine Katastrophe ist, ein Desaster, und dass man sich nicht um die apostolische Tradition kümmert.
Jetzt ist auch noch ein postumer Artikel in der englischen Zeitschrift "Spectator" herausgekommen, in dem er von diesem neomarxistischen Gedanken und der New Age Mentalität spricht, die sich in die Kirche eingeschmuggelt hat. Das ist ein Zeichen dieses Konfliktes.
DOMRADIO.DE: Dabei gibt es nicht nur die Weltsynode, sondern auch das deutsche Reformprojekt Synodaler Weg, das international auch heftig in der Kritik steht. Wie unterscheidet sich denn die Kritik an der Weltsynode einerseits von der am deutschen Reformprojekt andererseits?
Politi: Die Sachen kommen irgendwie zusammen. Interessant ist, dass die deutschen Bischöfe und auch die deutschen Laienorganisationen wie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken eigentlich einen einsamen Weg in der Weltkirche gehen. Es hat zwar Bischöfe aus anderen Ländern gegeben, die mit dem einverstanden sind, was der deutsche Katholizismus tut.
Aber im Großen und Ganzen stehen die anderen Episkopate, die anderen Bischöfe, schweigend diesem Projekt gegenüber. Kardinal Pell zum Beispiel hat gesagt: Das ist ein Abweichen von der Kirchenlehre, wenn man so über Homosexualität spricht, über verheirateten Klerus, über Frauen, über die Möglichkeit, dass auch Frauen Priester werden.
Das Problem ist, dass es keine breite Reformbasis in der Kirche gibt. Es gibt Elemente, es gibt Bischöfe, es gibt Theologen, es gibt Episkopate wie die Bischöfe in Deutschland, die ja auch nicht alle stramm hinter dem Reformprojekt stehen.
Es gibt auch in Deutschland eine Opposition. Es ist nicht so wie im Vatikan-Konzil, wo es eine starke Mehrheit für Reformen in der Weltkirche gab.
Heute ist die Kirche sehr zerstückelt: Es gibt eine stramme Opposition, mindestens 30 Prozent. Dann gibt es eine breite Mitte von 30, 40 Prozent von Bischöfen und Theologen, die Angst vor den Neuerungen und vor einer sogenannten Protestantisierung der Kirche haben. Und dann gibt es noch 20 oder 25 Prozent, die wirklich reformgesinnt sind.
DOMRADIO.DE: Hat denn der Tod von Benedikt XVI. etwas an dieser Dynamik verändert? Im Prinzip haben die Konservativen Papstkritiker ja jetzt ihre große Symbolfigur verloren.
Politi: Ja, sie haben diese Symbolfigur verloren. Aber es ist auch eine Ursache für Missverständnisse beiseite gelegt worden. Denn Benedikt und Franziskus haben viele Jahre lang sehr diplomatische und gute Beziehungen gepflegt.
Aber nach der Amazonassynode hat Benedikt dieses Buch mit Kardinal Sarah geschrieben, in dem er sagt, dass es absolut nicht möglich ist, dass der lateinische Klerus auch verheiratet ist.
Das war ein Zeichen der Opposition, das war unerhört und das war ein großes Problem. So etwas kann es jetzt nicht mehr geben, denn Benedikt ist nicht mehr im Vatikan.
DOMRADIO.DE: Sehen Sie denn jetzt auch einen offenen Kampf zwischen Reformern und Bewahrern.
Politi: Dieser Kampf wird weitergehen, vor allem, weil die konservative Opposition Einfluss auf das nächste Konklave ausüben will. Sie möchte sagen: Seht, was mit Franziskus passiert. Wir müssen unbedingt einen Papst haben, der viel vorsichtiger ist.
Das Interview führte Hilde Regeniter.