Es drohte das umstrittenste päpstliche Dokument seit "Humanae vitae" (1968) zu werden: "Amoris laetitia", Franziskus' Schreiben zu Ehe und Familie. Vor fünf Jahren machten vier Kardinäle dazu ihre Zweifel ("Dubia") öffentlich. Doch inzwischen spricht von den Dubia kaum noch jemand. Was nicht nur daran liegt, dass zwei der Verfasser gestorben sind.
Zwei Vollversammlungen der Bischofssynode zum Thema "Ehe und Familie"
Zur Erinnerung: 2014 und 2015 berief der Papst zwei Vollversammlungen der Bischofssynode nach Rom ein. Ihr Thema: Ehe und Familie. Dabei ging es auch um Seelsorge mit Menschen in oder nach einer gescheiterten Partnerschaft. Eine spezielle Frage: Können Partner, die geschieden sind und zivil neu geheiratet haben, die Kommunion empfangen?
Nach traditioneller katholischer Lehre ist die Ehe, da Sakrament, unauflöslich. Wer mit einem neuen Partner eine auch sexuelle Beziehung lebt, begeht daher Ehebruch, lebt in Sünde und darf nicht zur Eucharistie gehen. Soweit die Lehre. Die Praxis, das bestreitet kaum jemand, ist vielfältiger und schwieriger.
Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen
Weswegen Franziskus in seinem Schreiben "Amoris laetitia" (AL) vom April 2016 in Einzelfällen auch andere Lösungswege öffnete: "Aufgrund der Bedingtheiten der mildernder Faktoren ist es möglich, dass man mitten in einer objektiven Situation der Sünde - die nicht subjektiv schuldhaft ist oder es zumindest nicht völlig ist - in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt." Soweit der Text im 8. Kapitel über "Zerbrechlichkeit" in Ehen und Familien.
Dazu fügte der Papst eine Fußnote an: Die erwähnte "Hilfe der Kirche" könne, so steht in Nr. 351, "in gewissen Fällen" auch die "der Sakramente sein". Der Beichtstuhl dürfe keine Folterkammer sein, "sondern ein Ort der Barmherzigkeit", wandte Franziskus sich an die Priester. Und "gleichermaßen betone ich, dass die Eucharistie 'nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen' ist".
Das heißt: In Einzelfällen können wiederverheiratete Paare nach Rücksprache mit ihrem Seelsorger die Sakramente der Versöhnung und Kommunion empfangen, ohne dass sie sexuell enthaltsam leben. Für die seelsorgliche Praxis vielerorts nichts Neues. Neu war, dass ein Papst offiziell solche Ausnahmen gut hieß: kein Freibrief, sondern sorgfältige Gewissensentscheidung im Einzelfall.
Vier Kardinäle suchen "Klarheit"
Das änderte nichts daran, dass in der Folge Bischofskonferenzen, einzelne Bischöfe und Priester unterschiedliche Folgen aus dem Schreiben zogen. Für etliche war diese Uneinheitlichkeit ein Problem. So entschlossen sich vier Kardinäle - Carlo Caffarra, Raymond Burke, Walter Brandmüller und Joachim Meisner -, den Papst um Klarstellung zu ersuchen.
Am 19. September 2016 übergab Caffarra den Brief der Vier mit den Dubia sowohl an die päpstliche Residenz wie an die Glaubenskongregation. Nachdem sie acht Wochen lang keine Antwort erhielten, machten die vier "Dubia-Kardinäle" ihre Aktion öffentlich. "Klarheit schaffen" war ihr Schreiben betitelt, das am 14. November 2016 auf mehreren Websites erschien. Vor allem ging es ihnen um den Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene aber auch Grundsätzlicheres. Etwa das Verständnis von Sünde und ob äußere Umstände einer Handlung einen in sich "sittenlosen Akt" zu einer vertretbaren Handlung machen können.
Die Fragen waren nach alter Kirchenpraxis als "Dubia" (lateinisch für "Zweifel") formuliert, die eine Antwort mit "Ja" oder "Nein" ermöglichen. Regelmäßig wenden sich so Bischöfe an den Vatikan, um eine aus ihrer Sicht unklare Rechtslage klären zu lassen. Denn laut Kirchenrecht ist ein Gesetz, dessen Existenz oder Verbindlichkeit zweifelhaft ist, nicht verpflichtend.
Debatte um "Amoris laetitia" und Dubia
In der Folge verschärfte sich nicht nur die Debatte um "Amoris laetitia"; zusätzlich wurde gestritten, ob das Vorgehen der "Dubia"-Kardinäle in Ordnung war. Hongkongs Kardinal Joseph Zen Ze-kiun pflichtete den Vier bei; sein Wiener Mitbruder Christoph Schönborn indes nannte den öffentlichen Druck auf den Papst "ein absolut ungebührliches Verhalten".
Es ging hin und her. Die Vatikanzeitung "Osservatore Romano" bot wiederholt Autoren eine Plattform, die erwartungsgemäß den Papst unterstützten. Allein Franziskus hielt sich zurück, schien abzuwarten.
Irgendwann schrieb er zu einer Orientierungshilfe argentinischer Bischöfe, es gebe "keine anderen Interpretationen" seiner Aussage. Und ließ die argentinische Orientierungshilfe in die Akten des Apostolischen Stuhls aufnehmen, wodurch diese Deutung zusätzliches Gewicht erhielt.
Ruhe in der Angelegenheit
In der mittlerweile nahezu verstummten Debatte ging es um eines von Franziskus' Grundanliegen, das "discernimento". "Geistliche Unterscheidung" meint ein Abwägen zwischen Regeln, persönlichen Gegebenheiten und der Glaubensüberlieferung, um zu erkennen, was genau in konkreten Situationen Gottes Wille ist.
Im Herbst 2017 warfen noch einmal mehr oder weniger prominente, konservative Theologen und Intellektuelle dem Papst gar "Häresie" vor. Im Internet unterzogen sie Franziskus qua "correctio filialis" einer "kindlichen Zurechtweisung". Kurz darauf richtete Kardinal Burke einen "letzten Appell" an den Papst, Klarheit zu schaffen. Seither wurde es ruhiger.
Ende 2020 dann kündigte Franziskus für April ein "Amoris-laetitia-Jahr" an. Im Abstand von fünf Jahren will er, ähnlich wie mit der Enzyklika "Laudato si", die Anliegen seines Schreibens in Erinnerung rufen. Es gab dazu bisher Initiativen wie den "Tag der Großeltern und Alten", Workshops, Arbeitsmittel. Aber keine neue Debatte wie durch die "Dubia".