Viele junge Kosovaren verlassen ihre Heimat

Perspektiven und Perspektivlosigkeit

"Wir gehen nicht, weil wir unser Land nicht mögen". Seit knapp zwei Jahren hat die Republik Kosovo eine neue Regierung. Es tut sich etwas im Land, doch nach wie vor wollen viele junge Menschen gehen. Was hält sie, was treibt sie um?

Autor/in:
Beate Laurenti
Buntes Graffito mit dem Schriftzug Prishtina auf einem Stromkasten am 15. April 2023 in Pristina (Kosovo). / © Beate Laurenti (KNA)
Buntes Graffito mit dem Schriftzug Prishtina auf einem Stromkasten am 15. April 2023 in Pristina (Kosovo). / © Beate Laurenti ( KNA )

Lange Schlangen vor einem Gebäude – dabei wird dort nichts verkauft. Kein neues Smartphone, kein neuer Roman. Sie bilden sich vor einer Schule in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo. Dort werden Plätze am Don-Bosco-Schulzentrum vergeben. Das Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

Knapp zwei Tage hat sie angestanden, um einen Platz für ihre Tochter zu ergattern, erzählt eine Mutter. Die Schulen im Kosovo weisen qualitativ enorme Unterschiede auf. Die Guten machen sich schnell einen Namen. Das Schulzentrum – eine Grundschule und ein Gymnasium – zählt mittlerweile zu den Besten des Landes.

Katholische Schule in muslimischen Land

Dass es in einem mehrheitlich muslimischen Land katholisch geprägt ist, spielt für die Eltern keine Rolle. Ganz zum Leidwesen der islamischen Schulen im Rest der Republik, wie Don-Bosco-Schulleiter Don Dominik Querimi sagt. Für ihn ist die Schule auch eine Chance – weil Kinder und Jugendliche mit dem Christentum in Berührung kommen können. 

In seinen ersten Jahren als Direktor hat Don Dominik Querimi erst einmal aufräumen müssen, wie er sagt. Und das hat vor allem mit Korruption zu tun: Lehrkräfte etwa hätten Schülerinnen und Schüler von Politikern des Landes bevorzugt. Daraufhin mussten sie gehen. 

Weil sich nicht alle Eltern die Schulgebühren von 120 Euro im Monat leisten können, übernimmt die Schule die Kosten von ärmeren Familien.Gleichzeitig müssen die monatlichen Einnahmen reichen, um die laufenden Kosten für das Personal zu decken und die rund 65 Lehrkräfte zu bezahlen. Der Staat kommt dafür nicht auf.

Renovabis unterstützt den Kosovo 

Renovabis

Renovabis ist das jüngste der sechs katholischen weltkirchlichen Hilfswerke in Deutschland. Es wurde im März 1993 auf Anregung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) von den deutschen Bischöfen gegründet. Seither gibt es jedes Jahr eine mehrwöchige bundesweite Aktion. Sie endet jeweils am Pfingstsonntag mit einer Kollekte in den katholischen Gottesdiensten in Deutschland.

Der lateinische Name des Hilfswerks geht auf einen Bibelpsalm zurück und bedeutet "Du wirst erneuern".

 © Renovabis
© Renovabis

Seit Jahren leistet das Katholische Osteuropa-Hilfswerk Renovabis im Kosovo und im Nachbarland Albanien finanzielle Hilfe. Sie geht an die Kirchen vor Ort, die wiederum Bildungseinrichtungen aufbauen und unterstützen – wie etwa das Don-Bosco-Schulzentrum. Zudem trägt Renovabis, das in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert, auch zur Versorgung der Armen bei. Eine Krankenversicherung gibt es im Kosovo nicht, die Erträge aus der Rentenversicherung sind dürftig.

Für Don Dominik Querimi ist klar: "Wir bilden die jungen Leute hier nicht aus, damit sie dann ins Ausland gehen." Er ist davon überzeugt, dass die meisten seiner Schülerinnen und Schüler nach ihrem Abschluss im Kosovo bleiben. In Gesprächen mit Jugendlichen des Gymnasiums zeigt sich hingegen ein anderes Bild.

Arbeit im Ausland

Architektinnen, Ärztinnen, Anwältinnen wollen sie werden – aber nicht zu Hause. Mit den Freundinnen werden Pläne geschmiedet, nach dem Abitur gemeinsam nach Deutschland zu gehen. Leicht fällt ihnen die Entscheidung nicht, erzählen sie. Sie wollen nicht gehen, weil sie ihr Land nicht mögen, sondern weil sie eine bessere Zukunft wollen.

Nachvollziehbar: Die Arbeitslosigkeit im Kosovo liegt Schätzungen zufolge bei rund 40 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei etwa 55 Prozent. Ein Kellner verdient im Monat etwa 400 Euro, ein Polizist oder ein Grundschullehrer rund 500 Euro, der Premierminister etwa 1.400 Euro. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung im Stadtkerns Pristina liegt bei etwas mehr als 300 Euro.

Es tut sich was

Doch es tut sich etwas im Land. Seit der Parlamentswahl im Februar 2021 wird die Republik von Ministerpräsident Albin Kurti und seiner Partei Vetevendosje zusammen mit der konservativen Demokratischen Liga des Kosovo regiert. Die meisten Stimmen für Kurti kamen aus der Diaspora. Der frühere politische Häftling gilt als Hoffnungsträger und verspricht "Jobs und Justice" (Arbeit und Gerechtigkeit).

Auch Pristina hat einen neuen Bürgermeister. Überraschend gewann der gebürtige Kosovare und Architekt Preparim Rama (parteilos) die Wahl. Als Jugendlicher hat er politisches Asyl in England beantragt, dort studiert und später auch in den USA gelebt. Die größte Herausforderung in seiner Heimat? "Das Vertrauen in die Politik wieder herzustellen", sagt er. Das heißt, Korruption den Kampf anzusagen, staatliche Gelder in den Ausbau der Infrastruktur und in Schulen zu investieren.

Prestina mausert sich. Zahlreiche Kaffees und Bars prägen das saubere Stadtbild. Ein Boulevard lädt zum Shoppen ein. In Euro wird bereits gezahlt; bis der Balkanstaat jedoch Teil der EU ist, wird noch einige Zeit vergehen. Nicht zuletzt hängt es davon ab, wann Länder wie Griechenland die Unabhängigkeit der Republik anerkennen.

Kosovo

Die Republik Kosovo liegt auf dem westlichen Teil der Balkanhalbinseln und hat etwa 1,9 Millionen Einwohner. Die Hauptstadt ist Pristina mit offiziell mindestens 162.000 Bewohnern.

Ein bewaffneter Aufstand der kosovo-albanischen Miliz UCK, deren Ziel eine staatliche Unabhängigkeit war, führte in der damals noch zu Jugoslawien gehörende Region zu einer Nato-Intervention mit Luftangriffen auf Serbien. Von 1999 bis 2008 hatte die UN-Mission für die Übergangsverwaltung im Kosovo (UNMIK) das Sagen.

Passanten am 15. April 2023 in der Innenstadt von Pristina (Kosovo). / © Beate Laurenti (KNA)
Passanten am 15. April 2023 in der Innenstadt von Pristina (Kosovo). / © Beate Laurenti ( KNA )
Quelle:
KNA