Der Präsident von missio-München, Wolfgang Huber, hat den Anteil der katholischen Kirche an der Aufarbeitung des vor 25 Jahren stattgefundenen Völkermords in Ruanda gewürdigt.
"Die katholische Kirche Ruandas ist die zentrale Kraft, die sich landesweit über ihre Strukturen vor Ort für Versöhnung und Frieden einsetzt", erklärte Huber. In jeder Diözese und Pfarrei brächten Mitarbeiter Täter und Opfer zusammen. Diese Leistung, Schweigen zu brechen und Versöhnung wachsen zu lassen, sei grundlegend für die Zukunft des Landes. Das internationale katholische Missionswerk missio München unterstützt diese Arbeit finanziell.
"Das Trauma lastet schwer"
Es gebe keine ruandische Familie, die nicht in irgendeiner Weise vom Völkermord betroffen sei, sagte Schwester Genevieve Uwamariya. Im Auftrag der ruandischen Bischofskonferenz begleitet die Ordensfrau Häftlinge in den Gefängnissen ihres Heimatlandes. Jeder habe Familienmitglieder, die zu Tätern geworden seien, oder habe Angehörige verloren. Der Völkermord von 1994 sei nach wie vor präsent. "Das Trauma lastet schwer auf unserem Land", so die Schwester.
Nach den Worten der Ordensfrau werden viele, die wegen des Genozids verurteilt wurden, in diesem und den nächsten Jahren freikommen, denn sie hätten ihre Strafe abgesessen. Die Kirche versuche deshalb die Familien und die Gesellschaft auf diese Situation vorzubereiten. "Das Massaker hat uns alle zu Tätern oder Opfern gemacht", erklärte Schwester Genevieve: "Unter den ersten Häftlingen, die ich 1994 seelsorgerisch begleitete, war der Mörder meines Vaters." Unter den Häftlingen in den Gefängnissen seien auch einzelne verurteilte Täter, die Priester und Ordensangehörige seien.
Chronik des Völkermords
Beim Völkermord in Ruanda ermordeten Extremisten der Hutu-Mehrheit 1994 bis zu eine Million Menschen. In rund 100 Tagen sorgten sie in dem ostafrikanischen Land für ein beispielloses Blutvergießen. Die meisten Opfer waren Tutsi, aber auch gemäßigte Hutu wurden getötet. Das Massaker endete erst, als die Rebellen der "Ruandischen Patriotischen Front" (RPF) im Juli 1994 die Hutu-Milizen besiegten.
Auslöser war der bis heute ungeklärte Abschuss des Flugzeugs des autoritären Präsidenten Juvénal Habyarimana am 6. April 1994. Noch in derselben Nacht begann das Morden. Die Massaker an den Tutsi waren von langer Hand vorbereitet. Seit Monaten waren Macheten an Hutu-Milizen verteilt worden. Radiosender riefen zur Vernichtung der Tutsi auf, Milizen erhielten Todeslisten.
Hutu an der Macht
Die internationale Gemeinschaft ignorierte die Krise lange, obwohl der Kommandeur der UN-Truppen vor einem drohenden Genozid gewarnt hatte. Die 2.500 Blauhelme vor Ort durften nicht eingreifen, weil der UN-Sicherheitsrat ihnen ein robustes Mandat versagte. Der spätere Einsatz der französischen Armee ist umstritten. Ihr wird vorgeworfen, den Völkermördern freies Geleit in den Kongo gewährt zu haben.
Der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi wurde bereits von den früheren Kolonialmächten Deutschland und Belgien angefacht, die gezielt die Tutsi-Minderheit als vermeintlich herrschende Schicht förderten. Noch unter belgischer Kolonialherrschaft verübten Hutu 1959 erste Massaker an den privilegierten Tutsi. Tausende flohen nach Uganda. Mit der Unabhängigkeit 1962 gelangten die Hutu an die Macht, immer wieder kam es zu Massakern an den Tutsi.
Völkermord und Weg in die Gegenwart
Im Exil bauten Tutsi-Flüchtlinge die RPF auf, die 1990 von Uganda aus angriff. 1993 wurde ein Friedensvertrag geschlossen, doch der Flugzeugabschuss machte die Hoffnung auf Frieden zunichte. Nach dem Sieg der RPF über die Hutu-Extremisten übernahm Rebellenchef Paul Kagame die Macht im Land; er regiert bis heute. Kagame verordnete einen Versöhnungskurs. Täter mussten sich in Dorfgerichten, den sogenannten Gacaca, verantworten. Drahtzieher des Völkermords wurden vor das internationale Tribunal im tansanischen Arusha gestellt.
Kagame ließ 2015 die Verfassung ändern, um weiterregieren zu können. 2017 wurde er mit mehr als 98 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Sein Regierungsstil ist autoritär, es gibt kaum Opposition oder kritische Medien. Der Präsident wird wegen wirtschaftlicher Erfolge gelobt, aber wegen der Unterstützung von Rebellen im Ostkongo kritisiert. Das ruandische Parlament hat weltweit den höchsten Frauenanteil – rund 65 Prozent.
Ruanda ist ein Binnenstaat an den Großen Seen, der etwa so groß ist wie Belgien. Mit mehr als 450 Einwohnern pro Quadratkilometer gehört Ruanda zu den am dichtesten besiedelten Ländern Afrikas. Von den rund 13 Millionen Einwohnern sind geschätzte 80 bis 85 Prozent Hutu, 10 Prozent Tutsi. Offiziell werden die Volksgruppen nicht mehr unterschieden.