Volker Beck fordert neues Feiertagsrecht für Juden

"Jüdischem Leben in Deutschland mehr Respekt zollen"

Jüdinnen und Juden sollten ihre Feiertage ohne Einschränkungen und Diskriminierungen begehen können – das fordert Volker Beck, Geschäftsführer des "Tikvah Instituts" in Berlin. Dafür brauche es konkrete gesetzliche Regeln.

Matzen für Pessach / © Harald Oppitz (KNA)
Matzen für Pessach / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Um welche jüdischen Feiertage ganz genau geht es denn? 

Volker Beck (Geschäftsführer des "Tikvah Instituts" in Berlin): Es geht einmal um den Shabbat, den wöchentlichen Ruhetag. Zum anderen geht es um Pessach, das Schawuot, Sukkot, das Neujahrsfest Rosch ha-Schana und den Versöhnungstag Jom Kippur. Und es geht jetzt nicht darum, einen gesetzlichen Feiertag für das Judentum zu erobern, so dass alle diesen Feiertag respektieren sollen.

Volker Beck / © Jörg Carstensen (dpa)
Volker Beck / © Jörg Carstensen ( dpa )

Es geht vielmehr im Grundsatz darum, dass Jüdinnen und Juden an den Feiertagen, an denen nach religiöser Tradition auch das Arbeiten verboten ist, ohne Nachteile und Diskriminierungen frei nehmen können, in der Schule keine Prüfungen haben und ohne Lohnfortzahlung auch am Arbeitsplatz fehlen dürfen. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, es kommt aktuell vor, dass zum Beispiel eine jüdische Studentin ihr Staatsexamen an einem Feiertag schreiben muss oder dass der jüdische Arbeitnehmer arbeiten geht, statt das Neujahrsfest mit seiner Familie zu feiern. Eigentlich regelt die Verfassung dieses Recht ja. Was fehlt denn in den gesetzlichen Grundlagen, dass jüdische Menschen in ihrer Religionsausübung eingeschränkt werden? 

Volker Beck

"Es geht eigentlich nur um Respekt vor den Traditionen und vor dem anderen Lebensrhythmus einer Minderheit."

Beck: Ein Problem ist, dass das Feiertagsrecht Ländersache ist und wir 16 Feiertagsgesetze in Deutschland haben. Und in jedem Feiertagsgesetz ist es anders geregelt. In Nordrhein Westfalen sind das Neujahrsfest und der Versöhnungstag im Feiertagsgesetz erwähnt. Die anderen Feiertage einfach nicht, hat man vergessen. In anderen Bundesländern sind diese Feiertage komplett aufgeführt.

Hintergrund: Tikvah Institut

Das Berliner Tikvah Institut wurde im Sommer 2020 von der Journalistin Deidre Berger und dem ehemaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck gegründet und setzt sich gegen Antisemitismus ein. Es wird vom Bundesinnenministerium gefördert.

Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine (shutterstock)
Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine ( shutterstock )

Dann ist aber zum Teil nicht geregelt, dass man da auch freinehmen kann. In Baden-Württemberg ist zum Beispiel nur geregelt, dass man morgens am Feiertag zum Gottesdienst gehen darf. Das nützt an diesen Tagen denjenigen, die wirklich religiös leben, nicht. Das reicht nicht aus.

Und das Problem mit den Examina an den Universitäten haben wir unabhängig davon, was im jeweiligen Gesetz steht. Deshalb brauchen wir gesetzliche Regelungen, die anwenderfreundlich sind. Das heißt, das muss einfach im Feiertagsgesetz, im Schulgesetz, im Hochschulgesetz und im öffentlichen Dienstrecht dort stehen, wo das auch für andere Religionen geregelt ist. Dann weiß jeder Rechtsanwender, was er zu beachten hat. Eigentlich gar nicht so schwierig. Es geht nur um Respekt vor den Traditionen und vor dem anderen Lebensrhythmus einer Minderheit. 

DOMRADIO.DE: Was würden Sie sagen, wie fühlen sich Jüdinnen und Juden in Ihrem Alltag, was dieses Thema angeht? Man hat ein bisschen das Gefühl, sie werden zu Bittstellern. 

Beck: Für diejenigen, für die das unabdingbar ist und die der religiösen Tradition folgen, ist das eine echte Notlage. Denn sie müssen sich zwischen ihrer religiösen Tradition und zum Beispiel dem Studienfortschritt entscheiden.

Pessach in einer Familie / © Harald Oppitz (KNA)
Pessach in einer Familie / © Harald Oppitz ( KNA )

Ich bin auf das Thema eigentlich gestoßen, weil eine Tochter eines Rabbiners sich an mich gewandt hat, die zum zweiten Mal ein Studienjahr verloren hat, weil das Examen just an diesem Tag stattfindet und sie aus religiösen Gründen nicht mitschreiben durfte.

Wenn wir uns über jüdisches Leben in Deutschland freuen wollen – wie das immer in den Sonntagsreden heißt – dann müssen wir es auch ermöglichen. Denn ansonsten gehen die jungen Leute in Länder, wo mehr Respekt gezollt wird – in die USA oder nach Israel. Hier sollten wir uns einfach ein bisschen anpassen.

Volker Beck

"Wenn wir uns über jüdisches Leben in Deutschland freuen wollen – wie das immer in den Sonntagsreden heißt – dann müssen wir es auch ermöglichen."

Es ist schon erstaunlich, dass wir darüber heute, im Jahre 2023, noch reden müssen, nachdem wir 2021 1.700 Jahre jüdisches Leben in unserer Heimatstadt Köln gefeiert haben. Langsam könnte man das jüdische Leben einfach auch zur Normalität machen. Nun ist es nicht für alle Jüdinnen und Juden gleichermaßen brennend. Es gibt welche, die an diesen Tagen den religiösen Vorschriften nicht folgen. Das kennen wir im Christentum und das kennen wir im Islam. Es gibt Menschen, die religiöser sind und Menschen, die sich um diese Tradition nicht so scheren. Aber freuen würden sich alle darüber, weil die Feiertage doch in den Familien auch eine große Bedeutung haben. 

Das Interview führte Verena Tröster.

Quelle:
DR