Die Normen zeigten, dass der Vatikan "den Kampf gegen den sexuellen Missbrauch durch kirchliche Amtsträger noch konsequenter und präziser als bisher weiterführen will", betonte der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann.
Lob für die neuen Normen
Unter anderem lobte der Trierer Bischof, dass die neuen Normen weiter gingen als bisherige Straftatbestände des kirchlichen Rechts. Bei den Beschuldigten etwa seien jetzt auch Ordensangehörige im Blick, die keine Kleriker sind. Zudem werde die Gruppe der möglichen Opfer auf "schutzbedürftige Personen" ausgeweitet, also auf Menschen, die aufgrund unterschiedlicher Bedingungen in ihrer Fähigkeit eingeschränkt seien, sich gegen Übergriffe zu wehren.
Auch die Strafbarkeit der Erstellung von pornografischem Material bleibe nicht auf Kinder beschränkt, sondern werde auf Minderjährige insgesamt und schutzbedürftige Personen ausgedehnt.
Ebenfalls als positiv hob Ackermann hervor, dass in einem eigenen Artikel vermerkt sei, "dass den mutmaßlich Betroffenen nicht nur mit Respekt begegnet werden soll, sondern auch diverse Hilfen anzubieten sind". Wichtig sei auch die unmissverständliche Feststellung, dass die kirchlichen Normen nicht die "jeweils von den staatlichen Gesetzen festgelegten Rechte und Pflichten beeinträchtigen, insbesondere diejenigen in Bezug auf allfällige Meldepflichten an die zuständigen zivilen Behörden".
Auswirkungen auf nationale Leitlinien prüfen
Die deutschen Bischöfe wollen nun "zeitnah prüfen, welche möglichen Auswirkungen das Dokument, das am 1. Juni 2019 in Kraft tritt, vor allem auf unsere nationalen Leitlinien hat". Diese würden aktuell ohnehin überprüft. Die in den neuen Vatikan-Normen geforderte Pflicht, feste Meldesysteme für Missbrauchsfälle einzurichten, sei in Deutschland schon seit 2010 erfüllt.
Die Verschärfung der Normen war unter anderem von Opferverbänden, Politikern und zahlreichen Bischöfen der Weltkirche gefordert worden.
Das am Donnerstag veröffentlichte Gesetz sieht unter anderem neue Verfahrensweisen für Strafanzeigen vor und eine weltweite Anzeigepflicht. Erstmals regelt es die Untersuchung gegen Bischöfe, die Ermittlungen vertuscht oder verschleppt haben. Es verpflichtet zudem die kirchlichen Stellen, die staatlichen Strafermittler in ihrer Arbeit zu unterstützen.
Katholikenkomitee lobt neue Papst-Normen
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, hat die neuen Normen von Papst Franziskus zum Umgang mit sexuellem Missbrauch gelobt. Es gebe jetzt weltweit klare Regelungen und mehr Transparenz beim Umgang der Kirche mit Missbrauchstaten, sagte Sternberg am Freitag im ZDF-Morgenmagazin.
Die Kirche müsse Vorbild für andere gesellschaftliche Institutionen bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs werden, betonte er im Vorfeld der ZdK-Vollversammlung am Freitag und Samstag in Mainz. .
Erzbistum Köln begrüßt Regelungen
Der Interventionsbeauftragte des Erzbistums Köln, Oliver Vogt, begrüßte ebenfalls die neuen Regelungen. "Für das Erzbistum Köln ergeben sich zunächst keine weitreichenden Änderungen der Präventions- bzw. Interventionsleitlinien, da bereits jetzt so verfahren wird, wie in dem Schreiben festgelegt wurde. Allerdings befinden sich die nationalen Leitlinien derzeit ohnehin in einer Phase der Prüfung. Das hat auch Bischof Dr. Stephan Ackermann als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich und für Fragen des Kinder- und Jugendschutzes deutlich gemacht. Sollten also Konkretisierungen bzw. Ergänzungen erforderlich werden, würden diese zeitnah in die neuen Leitlinien einfließen", betonte Vogt.
Erzbischof Scicluna nennt Dekret "epochal"
Der in der vatikanischen Glaubenskongregation für Missbrauchsfälle zuständige Erzbischof, Charles Scicluna, hat die von Papst Franziskus angeordnete Meldepflicht für Missbrauchsfälle als "epochal" bezeichnet. Der veröffentlichte Papsterlass zeige, dass es "keine Immunität" für Kirchenvertreter in Leitungspositionen gebe, sagte er am Donnerstag während einer Pressekonferenz im Vatikan.
Papst Franziskus hatte einen Erlass veröffentlicht, in dem er die Einführung einer Meldepflicht für Missbrauchsfälle anordnet, sowie die Einrichtung von zentralen Anlaufstellen für Betroffene in allen Diözesen weltweit. Außerdem hatte er zusätzlich zum sexuellen Missbrauch auch dessen Vertuschung als Straftat definiert.
Die neuen Verfahrensregeln beeinträchtigten nicht die Achtung der Gesetze der jeweiligen Länder insbesondere hinsichtlich von Meldepflichten gegenüber staatlichen Behörden, betonte Scicluna, um möglichen Missverständnissen vorzubeugen.
Auch der Präfekt der vatikanischen Bischofskongregation, Kardinal Marc Ouellet, betonte, dass die Bischöfe durch den Papsterlass ausdrücklich aufgefordert seien, Rechenschaft über ihr Handeln abzulegen. Dies gelte vor allem auch, falls ein Bischof selbst Missbrauch begangen haben sollte oder eine solche Tat vertuscht hat.
Der Papsterlass "Vos estis lux mundi" (Ihr seid das Licht der Welt) sehe überdies eine engere Zusammenarbeit der zuständigen Behörden in der vatikanischen Kurie vor, sagte Ouellet.
Lob von Seiten der Politik
Auch der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hat die verschärften Normen im Kampf gegen Missbrauch von Papst Franziskus begrüßt. Das sei eine weitere wichtige Maßnahme zur Bekämpfung von sexueller Gewalt sowie von Leugnung und Vertuschung, erklärte Rörig auf Anfrage am Donnerstag in Berlin. Für die Weltkirche gebe es nun "begrüßenswerte Standards".
Zugleich äußerte er Verständnis dafür, dass es nicht automatisch eine staatliche Meldepflicht gebe. Die Leitlinien gälten für die Weltkirche, gab Rörig zu bedenken. Nicht in allen Ländern der Welt gebe es rechtsstaatliche Standards. Er betonte, dass die Regelungen des Papstes die gesetzlichen Meldepflichten, die etwa die Leitlinien der Bischofskonferenz von 2013 vorsähen, nicht aushebelten.
Die neuen Normen, die Papst Franziskus erlässt, werden vom Vatikan als weiteres Ergebnis des Anti-Missbrauchgipfels Ende Februar im Vatikan vorgestellt. Das sogenannte Motu Proprio trägt den Titel "Vos estis lux mundi" (Ihr seid das Licht der Welt). Die neuen Normen gelten zunächst für drei Jahre und treten am 1. Juni in Kraft.
Mit Strafverfolgungsbehörden kooperieren
Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) appellierte an die Kirche, mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren. Die Kirche müsse jede Straftat anzeigen, damit Staatsanwaltschaften ermitteln können. Bei jedem Hinweis müsse unmittelbar Strafanzeige gestellt werden. "Sonst bleiben die Mauern des Schweigens erhalten, die den Missbrauch so lang verdeckt und verschleiert haben", so Barley.
Zudem forderte sie eine umfassende Aufklärung aller noch nicht verjährten Taten durch Staatsanwaltschaften und Gerichte. "Unsere Strafprozessordnung kennt keine Geheimarchive", so die Ministerin. Jede weitere Verheimlichung füge der Institution Kirche weiteren Schaden zu.
Ähnlich äußerte sich der religionspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Stefan Ruppert. Zugleich betonte er, es sei "richtig und notwendig", dass der Papst auf die Kritik am Umgang der katholischen Kirche mit den weltweiten Missbrauchsfällen mit einer konkreten Maßnahme reagierte. Es sei nun entscheidend, wie die angekündigte Meldepflicht nun umgesetzt werde.
Der Sprecher des Eckigen Tisches, Matthias Katsch, forderte, es müsse in Deutschland eine Pflicht zur Anzeige durch Vorgesetzte geben, wenn diese von einem Missbrauchsverdacht gegen einen Mitarbeiter erführen.
Diese Pflicht sei überfällig, meinte Katsch in seinem über Twitter verbreiteten Statement. Katsch ist eines der Missbrauchsopfer am katholischen Canisius-Kolleg in Berlin. Neben seiner Funktion als Sprecher des "Eckigen Tisches", zu dem sich Betroffene aus vom Jesuitenorden getragenen Schulen zusammengeschlossen haben, ist er Gründungsmitglied der internationalen Betroffeneninitiative "Ending Clergy Abuse" und gehört neuerdings der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung an.
Opferverband kritisiert neue Normen
Das internationale Netzwerk von Missbrauchsopfern "Ending Clergy Abuse" (ECA) kritisiert die neuen Normen von Papst Franziskus zum innerkirchlichen Vorgehen bei Fällen von sexuellem Missbrauch. Das neue Gesetz bringe "offenbar keine wesentlichen oder bedeutenden Änderungen" und immer noch zu wenige Konsequenzen für Bischöfe, die Missbrauch vertuschen, heißt es in einer am Donnerstagabend veröffentlichten Erklärung.
Konkret bemängelt der Verband drei Punkte: Es gebe erstens weiterhin keine Meldepflicht für sexuellen Missbrauch durch Priester und Bischöfe gegenüber den Zivilbehörden. Zweitens bleibe der Prozess der Meldung, Untersuchung und Feststellung eines Falls weiter geheim und unter vollständiger Kontrolle des Ortsbischofs.
Und drittens fehle immer noch ein echtes "Null-Toleranz-Gesetz" gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche. Dieses müsse eindeutig festlegen, dass jeder Priester, der zu irgendeinem Zeitpunkt auch nur einen sexuellen Missbrauch begangen habe, für immer vom Priesteramt ausgeschlossen werde.