Er hat die moderne deutsche Literatur so stark geprägt, dass sein Nachname zu einem Begriff geworden ist: Als kafkaesk werden Situationen beschrieben, die auf unergründliche Weise bedrohlich wirken.
Am 3. Juni jährt sich der Todestag des Schriftstellers Franz Kafka zum 100. Mal - ein Gedenktag mit weltweiter Ausstrahlung. In 23 Städten Europas findet deshalb ein Kafka-Festival statt, in Berlin, Paris, Prag, Wien - und sogar in Cottbus. Ausstellungen in Oxford, Marbach und Tel Aviv beleuchten seine weltweite Wirkung. Ein Kinofilm und eine sechsteilige TV-Serie wurden zum Gedenktag produziert. Kafka ist zur Ikone geworden - und trendet auch bei jüngeren Leuten über Comics und Tik Tok.
Geheimnisvoll - schwermütig - düster
Dabei ist sein Werk alles andere als leichter Stoff: Es ist geheimnisvoll, schwermütig und düster - auch wenn immer wieder Humor aufblitzt. Bei manchen Themen fröstelt man: Es geht um Identität, Existenzangst, Absurdität der Bürokratie, Ausgeliefertsein an anonyme Mächte. Obwohl er nur wenige Prosawerke selbst veröffentlichte und viele Fragmente hinterließ - seine drei Romane blieben unvollendet -, ist Kafka ein Klassiker.
Berühmt sind beispielsweise seine ersten Sätze: "Jemand musste Joseph K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet." So beginnt "Der Prozess". Und "Die Verwandlung" startet mit dem wuchtigen Satz: "Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt."
Wie ein Faustschlag auf den Schädel
Kafka selbst hatte einen hohen Anspruch an sein Werk: "Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch?" Und wenig später heißt es: "Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns."
Kafka habe eingängige Bilder für fundamentale menschliche Erfahrungen gefunden, unterstreicht sein Biograph Reiner Stach: Die Allmacht des Vaters; sich innerhalb der eigenen Familie als Fremdkörper zu fühlen oder von einer eingeschworenen Gemeinschaft nur deshalb abgelehnt zu werden, weil man ihre Spielregeln nicht kennt.
"Ich bestehe aus Literatur"
Geboren wurde Kafka am 3. Juli 1883 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Herrmann Kafka und dessen Frau Julie in Prag. Die böhmische Hauptstadt war Teil des Habsburger Reiches - und ein Sammelbecken von Nationalitäten, Sprachen und sozialen Strömungen. Als promovierter Jurist arbeitete Kafka von 1908 bis zu seiner krankheitsbedingten Pensionierung 1922 bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt, wo er Rentenansprüche bei Arbeitsunfällen und Vorschriften zur Unfallverhütung bearbeitete.
Doch sein eigentliches Interesse galt dem Schreiben, das er seinem Alltag abtrotzen musste. 1913 schrieb der Autor an seine Verlobte Felice Bauer: "Ich habe kein literarisches Interesse, sondern bestehe aus Literatur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein." Im Alter von nur 40 Jahren starb er in einer Wiener Klinik an Lungentuberkulose.
Späte internationale Aufmerksamkeit
Zu Lebzeiten blieb Kafkas literarischer Ruhm allerdings begrenzt. Dass sein Werk überhaupt erhalten ist, ist das Verdienst seines engen Freundes Max Brod, der sich über Kafkas Auftrag hinwegsetzte, unveröffentlichte Manuskripte, Tagebücher und Briefe allesamt zu verbrennen. Bereits 1925 publizierte Brod die erste von mehreren voneinander abweichenden Ausgaben des unvollendeten Romanes "Der Prozess". Er verschaffte Kafka internationale Aufmerksamkeit.
Seitdem haben sich Generationen von Kritikern an einer Interpretation abgearbeitet. Brod zeichnete das Bild eines jüdischen Mystikers. Obwohl Kafka nicht zu den eifrigsten Synagogenbesuchern zählte, bekannte er sich zum Judentum und spielte sogar aktiv mit dem Wunsch, nach Palästina auszureisen.
Erfahrung der Entfremdung
Interpreten der 30er- und 40er-Jahre sahen in seinen Romanen den totalitären Unrechtsstaat beschrieben, bevor sich die Kritiker der 50er-Jahre einer existenzialistischen Lesart verschrieben. Der Berliner Verleger Klaus Wagenbach verortete Kafka in der Erfahrung der Entfremdung.
Auch Biograph Stach sieht Kafka als Zeugen einer modernen, überbürokratisierten Welt, die unheimliche Züge angenommen hat. Kafkas Helden seien immerzu in undurchschaubare Situationen gestellt, in denen sie sich beobachtet und ihrer Intimsphäre beraubt fühlten. "Man lässt sie auflaufen, schickt sie von einer Instanz zur nächsten, und zuständig ist letztlich niemand."