Vor 100 Jahren wurde Pier Paolo Pasolini geboren

Superheld in Roms Gassen

Pier Paolo Pasolini, italienischer Dichter und Filmemacher, war ein ebenso gefeierter wie streitbarer Künstler. Noch heute polarisiert Pasolini das Publikum. Sein Tod wirft jedoch noch immer Rätsel auf.

Autor/in:
Christina Höfferer
Der italienische Filmregisseur Pier Paolo Pasolini / © UPI (dpa)
Der italienische Filmregisseur Pier Paolo Pasolini / © UPI ( dpa )

Die Bar Necci, Via Fanfulla da Lodi, liegt mitten im römischen Stadtviertel Pigneto. Hier wird die Erinnerung an Pier Paolo Pasolini hochgehalten, den legendären italienischen Schriftsteller und Regisseur, der am 5. März vor 100 Jahren in Bologna geboren und 1975 ermordet wurde. Im Pigneto drehte er 1961 seinen ersten Film "Accattone - Wer nie sein Brot mit Tränen aß", die zum Passionsweg stilisierte Geschichte eines Zuhälters.

Flucht aus der Heimat

"Pasolini flüchtete in den 1950er Jahren aus seiner Heimat, dem Friaul, aus einer unerträglichen Situation, nach Rom und erkundete diese verborgene Gegend der Stadt, das Pigneto," erzählt Massimo Innocenti, Besitzer der Bar Necci. Pasolini waren "homosexuelle Verfehlungen" vorgeworfen worden, die Kommunistische Partei schloss ihn aus. Mit seiner Mutter zog der junge Lehrer und Dichter daraufhin nach Rom.

Street-Art-Inszenierung "Pasolini Pigneto"

Innocenti hat in der Via Fanfulla da Lodi die Street-Art-Inszenierung "Pasolini Pigneto" ins Leben gerufen. Auf einer Hausfassade ist zu lesen: "Io so i nomi" (Ich kenne die Namen). Der Satz stammt aus einem berühmten Artikel Pasolinis, der im "Corriere della Sera" kurz vor der Ermordung des Künstlers am 2. November 1975 erschien. Darin stellte er fest, dass er die Namen all jener kenne, die die schlimmsten Verbrechen in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg begangen hätten.

Das Wandbild im Pigneto stellt Pasolini als einen topaktuellen Superhelden dar: Captain America. Gegenüber ist das riesige Gesicht von Margarita Caruso zu sehen, jener Schauspielerin, die in seinem Film "Das 1. Evangelium - Matthäus" die Madonna spielt. Zwischen 1961 und 1975 drehte Pasolini insgesamt 23 Filme, in denen er sich auch mit Christentum und Psychoanalyse befasste. Die Helden des Marxisten Pasolini waren einfache Leute, Ausgestoßene, Menschen am Rand der bürgerlichen Gesellschaft.

Menschen, die Pasolini kennen

"Wo immer man in Rom hingeht, findet man Menschen, die Pasolini kannten", erzählt der Regisseur Federico Bruno, der 2013 den Film "Pasolini. Die verborgene Wahrheit" über das letzte Lebensjahr des umstrittenen Intellektuellen gedreht hat. Pasolini war in der ganzen Stadt unterwegs, er liebte sein Land und warnte seine Landsleute vor dem drohenden Verfall Italiens.

"Pasolini zog den Hass der sehr Mächtigen auf sich", das ist die Theorie Brunos. "Er war gerade dabei zu veröffentlichen, dass Cefis, der Nachfolger von Enrico Mattei als Direktor der Erdölgesellschaft ENI, es gewesen war, der seinen Vorgänger Mattei hat ermorden lassen." Pasolini habe nach jenen geforscht, die den Auftrag gegeben hatten, den Motor des Flugzeugs von Mattei zu manipulieren. Sein Wissen habe Pasolini im 21. Kapitel seines groß angelegten Romans "Petrolio" - Erdöl enthüllt. Dieses Kapitel wurde kurz nach dem Tod des Autors aus dessen Wohnung gestohlen und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.

Der Tod von Pasolini

Die offizielle Version zum Sterben des Filmemachers am Strand von Ostia besagt, dass Pasolini, der eine Leidenschaft für die Jungen von der Straße hatte, am letzten Abend seines Lebens zur römischen Stazione Termini fuhr, dort den 17-jährigen Pino Pelosi kennenlernte und ihn mitnahm. "Das stimmt nicht, denn die beiden kannten einander bereits seit vier Monaten", sagt Federico Bruno. Pelosi wurde als Mörder verurteilt, widerrief sein Geständnis jedoch Jahre später.

In der Nacht vom 1. auf den 2. November 1975 fuhr Pasolini mit Pelosi an den Strand von Ostia. "Die beiden fuhren nicht dorthin, um Sex zu haben. Der wahre Grund war, dass man Pasolini Filmrollen gestohlen hatte", sagt Bruno, der meint, es sei ein Komplott gewesen, welches Pasolini nach Ostia geführt habe. Es handelte sich um Rollen zu "120 Tage von Sodom", aufgrund seiner Gewaltdarstellungen der schockierendste Film des Regisseurs.

Pasolini polarisiert noch heute

Pasolini polarisierte das Publikum noch heute wie kaum ein anderer Regisseur und Schriftsteller. Wegen seiner als "unzüchtig" geltenden Schriften musste er sich in über 20 Prozessen verteidigen. Zu seinem 100. Geburtstag sind in Rom für den Herbst mehrere Ausstellungen geplant, im Palazzo Barberini, im Museum zeitgenössischer Kunst MAXXI und im Palazzo delle Esposizioni in Rom - dort, wo Pasolini mit 28 Jahren seine Karriere als Lehrer begann.

Quelle:
epd