Vor 150 Jahren wurde der Humanist Albert Schweitzer geboren

Ehrfurcht vor dem Leben

Manche Menschen sind ihrer Zeit weit voraus. So auch Albert Schweitzer, eine der großen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Doch der Humanist und Freund allen Lebens könnte dennoch bald in Vergessenheit geraten.

Autor/in:
Angelika Prauß
Wasserfall im tropischen Regenwald / © Leonid Andronov (shutterstock)

Die Ehrfurcht vor allem Leben ist ein Kerngedanke im Werk von Albert Schweitzer: "Ich bin Leben, das Leben will, inmitten von Leben, das Leben will". Aber Schweitzer beließ es nicht bei klugen Gedanken. 

Im Urwald von Gabun baute er ein bis heute bestehendes Spital auf und kämpfte als Arzt gegen Tropenkrankheiten; er wandte sich entschieden gegen Atomwaffen und verzichtete aus Mitgefühl mit Tieren auf jeden Fleischkonsum. 

Der Arzt Albert Schweitzer

 / © KNA-Bild (KNA)

Seine unteilbare Solidarität mit allem Leben machte ihn zum überzeugten Philantropen, Pazifisten und Weltgewissen. Vor 150 Jahren, am 14. Januar 1875, wurde er im elsässischen Kaysersberg geboren.

Schweitzer war ein Universalgenie voller Schaffenskraft - Tropenmediziner, Theologe, Religionsphilosoph, herausragender Bach-Interpret an der Orgel, Orgelbauer, Musikwissenschaftler, Kulturkritiker und Schriftsteller. 

Er beherrschte mehrere Sprachen, war Humanist und bekam 1952 den Friedensnobelpreis. In einem Atemzug wird Schweitzer neben "Mahatma" Gandhi, Martin Luther King und Mutter Teresa zu den großen Vorbildern des 20. Jahrhunderts gezählt.

Frühes Gespür für Leid und Elend

Schon als Junge hatte er ein Gespür für Leid und Elend in der Welt.

Unbefangene jugendliche Lebensfreude habe er nie gekannt, wird er sich später erinnern: "Insbesondere litt ich darunter, dass die armen Tiere so viel Schmerz und Not auszustehen haben." So verfolgte ihn wochenlang der Anblick eines lahmenden Pferdes, das zum Schlachthaus geprügelt wurde.

Schweitzer studierte evangelische Theologie und beschloss, nach Afrika zu gehen. Dort waren freilich weniger Theologen und schon gar keine Organisten gefragt, sondern Ärzte. 

Der evangelische Theologe, Musiker, Arzt und Philosoph Albert Schweitzer in Lambarene / Gabun / © KNA-Bild (KNA)
Der evangelische Theologe, Musiker, Arzt und Philosoph Albert Schweitzer in Lambarene / Gabun / © KNA-Bild ( (Link ist extern)KNA )

Also studierte er Medizin und kam mit 38 Jahren als approbierter Arzt nach Lambarene, wo er ein Krankenhaus gründete. Den Sonntag nutzte der charismatische "Urwalddoktor" mit dem struppigen Schnauzbart, um zu predigen.

Das atomare Kräftemessen der Großmächte im Kalten Krieg bereitete ihm - dem sanftmütigen Freund allen Lebens - tiefe Sorgen. In einer weltweit verbreiteten Rundfunkrede rief Schweitzer die Atommächte zum sofortigen Stopp ihrer Nukleartests auf. 

Noch im hohen Alter erhob er - in tiefer Sorge um das Schicksal der Menschheit - seine Stimme gegen Atomwaffenversuche. Bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises stellte er fest, dass der Mensch umso armseliger werde, je mehr Macht er bekomme.

Kaum noch wahrgenommen

Allerdings geraten Schweitzers Gedanken zunehmend in Vergessenheit, beobachtet Roland Wolf vom Deutschen Albert-Schweitzer-Zentrum im Offenbach. Nur wenige Menschen besuchten das Zentrum, das unter anderem ein Museum und eine Bibliothek beheimatet. Meist kämen

Konfirmanten- und Schülergruppen und Pfarreien, um sich über Schweitzer zu informieren.

In den 1950er und 60er Jahren habe es noch einen regelrechten Hype um Schweitzer gegeben, seien Kindergärten und Schulen nach ihm benannt worden. Inzwischen werde der große Humanist kaum noch wahrgenommen, bedauert der Schweitzer-Experte.

2025 mit zwei Gedenktagen

Deshalb komme das Jahr 2025 mit zwei wichtigen Gedenktagen - neben dem 150. Geburtstag jährt sich am 4. September auch sein 60. Todestag - sehr gelegen. Im Fokus soll dabei Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben stehen. 

Die Offenbacher Begegnungsstätte möchte das geistige Werk Schweitzers "wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein" bringen, wie es auf der Homepage heißt. Im Jubiläumsjahr wird es außerdem in ganz Deutschland Orgelkonzerte geben; aufgeführt werden Stücke, die schon Albert Schweitzer selbst zum Besten gab, um sein Hospital in Lambarene mitzufinanzieren.

"Albert Schweitzers universelle Lebensethik, die keine Wertunterschiede zwischen den Lebewesen, welcher Art auch immer, gelten lässt", sei heute hochaktuell, erklärt Gottfried Schüz, Vorsitzender der Stiftung Deutsches Albert-Schweitzer-Zentrum. 

"Wie viel Schädigung anderen Lebens, wie viel Schmerz und Leid könnte vermieden werden, wenn jeder Einzelne im Alltag die Notwendigkeit seines Tuns vor seinem Gewissen prüfen würde."

Junge Leute sensibilisieren

Roland Wolf ist es deshalb wichtig, junge Leute mit den Gedanken Schweitzers vertraut zu machen. "Man muss früh damit anfangen", sagt der pensionierte Studiendirektor. Ihm macht es Hoffnung, dass sich Schüler von der Ehrfurcht vor dem Leben ansprechen ließen. 

Zugleich gebe es unter den rund 200 nach Schweitzer benannten Schulen in Deutschland "nur eine geringe Zahl", an denen eine aktive Albert-Schweitzer-Arbeit betrieben werde. Wolf wünscht sich, dass der Name der Schulen auch mit Inhalt gefüllt werde. Ansonsten könnte 2025 das letzte Jubiläumsjahr sein, in dem Albert Schweitzer noch einmal so groß gefeiert werde.