Prügeleien und Rettungsaktionen prägten die Vatikan-Diplomatie

"Prügeleien bei der Fronleichnamsprozession"

Seit Jahrhunderten unterhält der Vatikan diplomatische Beziehungen zu Staaten weltweit. Ulrich Nersinger gibt Einblick in historische Konflikte, dramatische Rettungsaktionen und Herausforderungen der Diplomatie unter Papst Franziskus.

Autor/in:
Carsten Döpp
Die Flagge des Vatikans / © ChiccoDodiFC (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Schon seit dem 15. Jahrhundert unterhält der Vatikan diplomatische Beziehungen. Damals soll es sogar Rüpeleien unter den Ländervertretungen gegeben haben.

Vatikanexperte und Buchautor Ulrich Nersinger. (EWTN)

Ulrich Nersinger (Autor und Vatikanexperte): Es gab schon vor dem 15. Jahrhundert diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan, aber das waren Ad hoc-Gesandtschaften. Erst seitdem gibt es ständige Gesandtschaften in Rom. Das waren vor allem die damaligen Großmächte, und die sind in Rom sehr präpotent aufgetreten. Sie haben zum Beispiel die Exterritorialität ihrer Botschaftsgelände erweitert und bei den großen Zeremonien im Vatikan immer darauf gepocht, dass sie eine besondere, herausragende Stellung hatten. Und da kam es zu Rempeleien und Reibereien.

Wobei das Wort Reibereien noch harmlos ist. Ende des 17. Jahrhunderts erhob der Botschafter des Kaisers einen Anspruch auf eine Position bei der Fronleichnamsprozession, die ihm eigentlich nicht zustand. Es drohte zu einem Eklat zu kommen, und der Papst hat noch versucht, es zu verhindern. Dann kam es aber trotzdem zu diesem Eklat und es gab Prügeleien und das Ende vom Lied war, dass die Fronleichnamsprozession, um die es ging, abgebrochen werden musste.

DOMRADIO.DE: Gab es Konsequenzen, wenn Diplomaten so aufgetreten sind?

Nersinger: Da war man sehr vorsichtig, vor allen Dingen bei den damaligen Großmächten. Es gibt einen Vorfall um den französischen Botschafter und die französische Botschaft. Damals hatte Frankreich unter Ludwig dem XIV. gedroht, in den Kirchenstaat einzumarschieren. Es hat dann sogar die päpstliche Besitzung Avignon okkupiert. Das war dann eine gefährliche Sache. Militärisch war der Vatikan natürlich nicht so stark besetzt, dass er dem etwas hätte entgegensetzen können.

Ulrich Nersinger

"Aber da hat sich Mussolini nicht so ganz dran gehalten."

DOMRADIO.DE: Im Zweiten Weltkrieg rückten einige Diplomaten dem Papst besonders nahe. Was hat es damit auf sich? 

Nersinger: Das war eine schwierige Situation. Der Vatikan war ja neutral, Italien gehörte zu den Achsenmächten, und eigentlich war durch ein Konkordat, durch die Lateranverträge, gesichert, dass die Botschafter, die beim Heiligen Stuhl akkreditiert waren, aber nicht im Vatikan residierten, frei in Rom wohnen konnten, ohne belästigt zu werden. Aber da hat sich Mussolini nicht so ganz dran gehalten. 

Und dann mussten die ganzen Botschafter der Alliierten und der mit ihnen befreundeten Staaten in den Vatikan ziehen und dort untergebracht werden. Das war eine große logistische Leistung, nicht nur wegen der Unterbringung, sondern auch weil die Gefahr bestanden hat, dass sich diese Botschaften nicht an die Neutralität des Vatikans hielten. Das war seine sehr gefährliche Situation damals.

DOMRADIO.DE: Es gibt so rund 200 Länder auf der Welt. Wer hat keine Vertretung beim Heiligen Stuhl? 

Nersinger: Da fällt mir spontan natürlich China ein. Es gibt zwar Kontakte zwischen den Ländern, aber nicht auf offizieller diplomatischer Ebene, eben durch Botschafter. Und natürlich hat Nordkorea keinen Botschafter im Vatikan. Einige islamische Staaten hatten lange Zeit keinen Botschafter dort, aber die Tendenz ist, diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Eines der letzten islamischen Länder, das keinen Botschafter im Vatikan hatte, war das Sultanat Oman. Aber auch der Oman haben vor einiger Zeit diplomatische Beziehungen zum Vatikan aufgenommen. 

Vatikan-Flagge vor der Kuppel des Petersdoms / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Vatikan-Flagge vor der Kuppel des Petersdoms / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani ( (Link ist extern)KNA )

DOMRADIO.DE: Kürzlich hatte Papst Franziskus in seiner Ansprache an die Diplomaten die Bereitschaft für mehr Dialog und den Kampf gegen Fake News angesprochen. Mit dabei war sicherlich auch der deutsche Vertreter Bernhard Kotsch, der seit Juli 2021 der deutsche Vertreter im Vatikan ist. Wie ist er bislang in Erscheinung getreten? 

Nersinger: Er tritt sehr bescheiden auf, aber trotzdem sehr effizient. Damit haben sich viele deutsche Botschafter im Vatikan ausgezeichnet. Sie haben immer wieder versucht, wirklich gute Politik zu machen, und im 19. Jahrhundert haben sie sogar mal zum Überleben des Papstes beigetragen.

DOMRADIO.DE: Gibt es einen deutschen Diplomaten, der aus diesem diskreten Amt herausgestochen ist? 

Nersinger: Das ist eben der schon erwähnte Botschafter Bayerns. Wir hatten im 19. Jahrhundert, vor dem Ende des Kirchenstaates, zwei Botschafter im Vatikan. Den bayerischen Gesandten und den preußischen Gesandten. Und der bayerische Gesandte Graf Karl von Spaur hat 1848, als es in Rom eine Revolution gab, dem Papst zur Flucht nach Neapel verholfen. Er hat da in ein dramatisches Geschehen eingegriffen und dem Papst das Leben gerettet. Er hat ihm dadurch ermöglicht, wiederzukommen, nachdem die Revolution niedergeschlagen war.

Ulrich Nersinger

"Ich drücke es einmal vorsichtig aus: Das ist nicht gerade sein Terrain." 

DOMRADIO.DE: Wie würden Sie Papst Franziskus im Hinblick auf Diplomatie einordnen?

Nersinger: Ich drücke es einmal vorsichtig aus: Das ist nicht gerade sein Terrain. Da scheint er mir nicht so firm mir zu sein wie seine Vorgänger. Wir haben momentan zwei große Konflikte. Das ist der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland und zwischen Palästina und Israel. Er hat immer versucht, diplomatisch etwas zu bewirken, aber das ist ihm nicht immer ganz gelungen. Da scheint er mir die Materie nicht so gut zu beherrschen.

Das Interview führte Carsten Döpp.

Vatikandiplomatie

Der Heilige Stuhl unterhält derzeit diplomatische Beziehungen zu 183 Staaten weltweit. Hinzu kommen die EU und der Souveräne Malteserorden. 88 Staaten sowie die EU und der Malteserorden lassen ihre Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom residieren. Ferner sind die Arabische Liga, die Internationale Organisation für Migration und das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR mit eigenen Gesandten beim Vatikan vertreten.

Vatikanflagge zwischen USA-Flaggen / © Michael Reynolds (dpa)
Quelle:
DR

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