DOMRADIO.DE: Seit dem 11. Juni 1994 gibt es in Deutschland keine strafrechtliche Sondervorschrift zu Homosexualität mehr. Aufgrund Ihrer Arbeit haben Sie viel mit queeren Männern zu tun. Wie wichtig ist es für Homosexuelle damals vor 30 Jahren gewesen, dass dieser Paragraf abgeschafft wurde, obwohl er in der Praxis kaum noch angewendet wurde?
Andreas Heek (Kirchliche Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den Deutschen Diözesen und Geschäftsführer des Forums katholischer Männer): Diese Abschaffung hatte rechtliche, aber noch mehr eine hohe symbolische Bedeutung für Betroffene. Die Aids-Pandemie grassierte seit Mitte der 1980er Jahre auch in Deutschland und es fand eine enorme Diskriminierung von hauptsächlich homosexuellen Männern statt.
Dass sie nicht mehr unter den Strafrechtsparagraphen fallen konnten, war für die betroffene Gruppe ein hochsymbolischer Akt der Rehabilitierung. Im Volksmund galten sie ja noch als Verbrechen. Hinter vorgehaltener Hand wurde man ja immer noch als "175er" bezeichnet, was damals natürlich diskriminierend gemeint war.
DOMRADIO.DE: Jetzt wird aber nicht nur an den Jahrestag gedacht. Es gibt auch konkrete Vorwürfe gegen die katholische Kirche beziehungsweise gegen die Rolle, die sie damals gespielt hat. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) hat sich beim Katholikentag vor kurzem in Erfurt für ein Schuldeingeständnis der katholischen Kirche an der Aufrechterhaltung von Paragraf 175 ausgesprochen – mit 98 Prozent Zustimmung zu dem Antrag. Warum sollte sich die katholische Kirche für die Aufrechterhaltung eines weltlichen Paragraphen rechtfertigen?
Heek: Die Begründung für die Einsetzung und Aufrechterhaltung des Paragrafen von der Gründung des Deutschen Reiches bis in die Bundesrepublik hinein, erfolgte immer mit Berufung auf das christliche Sittengesetz.
Damals waren die Kirchen noch viel einflussreicher als heute. Der Gesetzgeber wusste die Kirche in dieser Frage absolut hinter sich.
Und das hatte in dieser Zeit eine hohe Bedeutung, indem man sich auf das christliche Sittengesetz berufen hat. Erst Anfang der 70er Jahre wurde der §175 entschärft. Die Verurteilung von Homosexualität als Sünde blieb aber in der katholischen Kirche erhalten.
DOMRADIO.DE: Hat die Kirche Druck auf die Politik ausgeübt, damit dieser Paragraph nicht abgeschafft wird?
Heek: Das kann man so sagen. Vor allem die katholischen Büros in den Bundesländern und auf Bundesebene haben in der Politik massiv gegen die Abschaffung des Paragrafen gearbeitet. In den 1990er Jahren haben sie versucht, Druck auszuüben, hauptsächlich auf die damalige Regierungskoalition, in der die CDU beteiligt war.
Für die katholische Kirche hatte das Gesetz große Bedeutung, weil dieser Paragraf ihre eigene Haltung zu homosexuellen Menschen gestützt hat. Das ist ein Tatbestand, der zwar kaum schriftlich niedergelegt ist, aber es ist dennoch eine Tatsache, dass die Kirche dagegen gearbeitet hat.
DOMRADIO.DE: Das ZdK fordert eine unabhängige wissenschaftliche Studie zur historischen Erforschung der Beteiligung der Kirche an der Aufrechterhaltung. Warum bedarf es einer wissenschaftlichen Aufarbeitung?
Heek: Weil vieles noch im Dunkeln liegt. Es gibt sehr viele Betroffene, die nicht nur kriminalisiert wurden, weil sie unter dem Paragrafen straffällig geworden sind, sondern dadurch auch aus kirchlichen Ämtern oder aus Ehrenämtern entfernt wurden. Es gibt unzählige Beispiele, wo auf sie indirekt oder direkt Druck ausgeübt worden ist.
Die Kirche wusste natürlich, dass sie keine Möglichkeit hatte, diese Menschen zu bestrafen. Es war ja ein staatliches Gesetz. Aber das hatte durchaus Auswirkungen auf die einzelnen Menschen, die sich in der Kirche engagiert haben. Die wurden klammheimlich aus ihren Ämtern entfernt. Und um da Licht hinein zu bringen, die geistesgeschichtlichen Hintergründe, die zeitgeistliche Verquickung und die lehramtlichen Stellungnahmen zu dieser Thematik tiefer zu ergründen, dafür wird diese wissenschaftliche Aufarbeitung gefordert.
DOMRADIO.DE: Im Fall von sexualisierter Gewalt gab es ein Schuldeingeständnis der Kirche. Wie könnte denn so ein Schuldeingeständnis bei dieser Thematik aussehen? Könnte die katholische Kirche zum Beispiel in einem Gottesdienst offiziell sagen, dass sie ihr Verhalten von damals bereut?
Heek: Wir haben dieses Thema jetzt über das Forum katholischer Männer erst mal ins ZdK eingebracht. Das Zentralkomitee der Katholiken ist das Vertretungsgremium der Laien in der katholischen Kirche und wir haben uns als Laien dazu bekannt, selber Mitschuld daran getragen zu haben.
Das ZdK besteht aus drei Säulen aus den Verbänden,den Diözesanräten, und Einzelpersönlichkeiten. Und im ZdK insgesamt gab es keine positive Bewertung zur Abschaffung dieses Paragrafen.
Zunächst geht es jetzt darum, dass wir uns als große breite Mehrheit von Laien im ZdK zu der Mitschuld bekannt haben. Wie die Bischöfe mit der Thematik umgehen, wissen wir nicht. Wir haben noch keine offizielle Stellungnahme dazu. Aber wir drängen darauf, dass die Kirche als Gesamtes etwas tut.
Erst einmal durch die angesprochene wissenschaftliche Aufarbeitung. Parallel dazu soll es eine Clearingstelle geben, die vom Forum katholischer Männer zur Verfügung gestellt wird.
Falls es noch Betroffene oder Angehörige gibt, die damals verurteilt worden sind und die jetzt eine Rehabilitierung innerhalb der Kirche wünschen, sollen diese sich dort melden können, damit eine Rehabilierung dieser Christinnen und Christen zu ermöglicht werden kann.
DOMRADIO.DE: Bei der katholischen Kirche hat sich im Umgang mit queeren Menschen schon einiges getan. Zugleich gilt nach wie vor der recht restriktive Katechismus. Wie wäre denn in diesem Zusammenhang ein Schuldeingeständnis einzuordnen? Wäre das ein Indiz für eine weitere Öffnung?
Heek: Es ist zumindest die Hoffnung, dass wir durch tätige Reue auch glaubwürdiger für queere Menschen werden. Es sind in den letzten 20 bis 30 Jahren viele Menschen aus der Kirche ausgetreten, weil sie sich nicht aufgehoben und sicher vor Diskriminierung fühlten.
Ein ehrliches Schuldeingeständnis seitens der Bischöfe und der Laien wäre ein enormer Fortschritt und würde der Glaubwürdigkeit großen Rückenwind geben.
Das Interview führte Mathias Peter.
INFO: Für Anfragen Betroffener gibt es Ansprechmöglichkeiten unter www.kath-maennerarbeit.de