Vor 60 Jahren wurde US-Präsident Kennedy erschossen

Ein Katholik, ein Mord, ein Wendepunkt

Vor 60 Jahren hielt die Welt den Atem an, als US-Präsident John F. Kennedy erschossen wurde. Der Amerika-Experte und Theologe Michael Hochgeschwender hat den Tatort in Dallas besucht und zweifelt an der Theorie von einem Einzeltäter.

Der damalige US-amerikanische Präsident John F. Kennedy (l, andere Personen nicht identifiziert) hält die Hand auf seine Brust (Aufnahme von 1963) (dpa)
Der damalige US-amerikanische Präsident John F. Kennedy (l, andere Personen nicht identifiziert) hält die Hand auf seine Brust (Aufnahme von 1963) / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Vor 60 Jahren, am 22. November 1963, wurde John F. Kennedy ermordet. Die Bilder von seinem offenen Wagen, in dem er und seine Frau bei einer Wahlkampftour durch Dallas fuhren und der US-Präsident durch drei Gewehrschüsse getötet wurde, gingen um die Welt. Was denken Sie, wenn Sie heute die Bilder sehen?

Nach den tödlichen Schüssen auf ihren Mann, den US-Präsidenten John Fitzgerald Kennedy, versucht Jacqueline Kennedy aus dem fahrenden offenen Wagen zu klettern / © UPI (dpa)
Nach den tödlichen Schüssen auf ihren Mann, den US-Präsidenten John Fitzgerald Kennedy, versucht Jacqueline Kennedy aus dem fahrenden offenen Wagen zu klettern / © UPI ( dpa )

Prof. Michael Hochgeschwender (Theologe und Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München): Es war das Ende eines hoffnungsvollen Anfangs: 1961 hatten alle gedacht, eine neue Epoche würde anbrechen. Das war auch so, aber anders, als erwartet: Nach John F. Kennedy wurden im Laufe der 1960er Jahre noch viele politische Figuren ermordet: Martin Luther King, Malcolm X, Robert Kennedy und zahlreiche Führer der Black Panther Party durch amerikanische Sicherheitskräfte. Die Gewaltkriminalität stieg Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre sprunghaft an. Der Mord war also der Auftakt zu einer Ära der Gewalt.

DOMRADIO.DE: John F. Kennedy war der erste katholische US Präsident, als er 1960 gewählt wurde, warum war das damals so etwas Außergewöhnliches?

Hochgeschwender: Genau genommen hatte es 1928 mit Al Smith aus News York schon mal einen katholischen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gegeben, der allerdings kläglich scheiterte, weil ihm im Süden jegliche Unterstützung fehlte. Die konservativen Südstaatendemokraten, die sehr oft auch evangelikale Christen waren, weigerten sich schlicht, einen katholischen Präsidenten zu wählen, der für die Aufhebung der Prohibition (Anm.: ein landesweites Verbot der Herstellung, des Transports und des Verkaufs von Alkohol) war.

Dem vorausgegangen war ein extrem antikatholisches Klima: Im 19. Jahrhundert gab es alle vier, fünf Jahre gewalttätige Ausschreitungen gegen Katholiken, etwa die "Louisville Riots" 1855, als ein protestantischer Mob deutsche und irische Katholiken angriff. 1834 wurde ein Nonnenkonvent bei Boston niedergebrannt. Noch in den 1920er Jahren gab es permanente Auseinandersetzungen.

Der Protestantismus gehört zur Gründungsgeschichte der USA und im 19. Jahrhundert herrschte in den USA die Vorstellung vor, Katholizismus verfechte den Absolutismus, was in Anbetracht der Päpste Gregor XVI. und Pius IX. auch nachvollziehbar ist. Man glaubte, Katholiken wollten die Demokratie in den USA unterwandern.

Auch die Vorstellung von zölibatär lebenden Priestern und Nonnen verstieß so sehr gegen den viktorianischen Genderkodex, dass man es für völlig absurd hielt. Und sozioökonomisch widersprach die katholische Soziallehre dem Kapitalismus, etwas, was man für vollkommen unamerikanisch hielt, zumal sich viele Iren in der Gewerkschaft engagierten. Es gab also sehr viele Ursachen, warum Katholiken verhasst waren. Während des Zweiten Weltkrieges veränderte sich das dann: Millionen Katholiken dienten in Uniform, auch John F. Kennedy, der als Marineleutnant im Pazifik verwundet wurde.

DOMRADIO.DE: Wie katholisch war JFK denn? Wirkte sich das auf sein Handeln und seine politischen Entscheidungen aus?

Hochgeschwender: Bei seinem Bruder Robert Kennedy war der Katholizismus sicherlich ausgeprägter. JFK war ein Machtmensch und er war im Grunde sehr opportunistisch, das merkt man an seinem Umgang mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung: Die war ihm persönlich völlig egal, während sein Bruder Robert F. Kennedy tatsächlich daran glaubte und sich sehr engagiert hat. Auf diesen Zug ist JFK aufgesprungen.  

Oder wenn man sich seine außerehelichen Affären ansieht: Sagen wir mal, sein Lebensstil war nicht besonders katholisch, auch wenn das damals nicht unüblich war.

Joe Biden / © Susan Walsh (dpa)
Joe Biden / © Susan Walsh ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der aktuelle Präsident Joe Biden bekennt sich zu seinem katholischen Glauben, er besucht regelmäßig den Gottesdienst. Hat das JFK gemacht?

Hochgeschwender: Biden ist deutlich frommer, aber es spielt politisch bei ihm überhaupt keine Rolle, wenn man sich etwa seine Haltung zur Abtreibung ansieht. Das war in den 1960er Jahren anders, damals waren moralische Fragen noch nicht parteipolitisch besetzt. Kennedys Schwager Sargent Shriver beispielweise war sicherlich der linkeste Demokrat der 60er Jahre, aber ein strikter Abtreibungsgegner, während umgekehrt jemand wie Ronald Reagan als Konservativer ein Befürworter war. Man konnte links und "pro life" sein, man konnte konservativ und "pro choice" sein. Aber John F. Kennedy hat sich dazu selten geäußert.

DOMRADIO.DE: Nach dem Mord wurde Lee Harvey Oswald verhaftet und zwei Tage später in Polizeigewahrsam getötet. Weiß man heute mehr über die Hintergründe der Tat?  

Hochgeschwender: Nach gegenwärtigem Stand der Ermittlungen handelte es sich bei Lee Harvey Oswald um einen Einzeltäter. Das ist der Stand der "Warren-Kommission" zur Untersuchung des Kennedy-Mordes, die aber umstritten ist. Aber auch die meisten Historiker sind sich heute einig, dass es ein Einzeltäter war.

Ich persönlich habe Zweifel: Ich habe den Tatort in Dallas besichtigt – also den Ort, von wo aus Oswald geschossen hat - und ich war selber Soldat: Mit dem Gewehr auf ein fahrendes Auto zu schießen, bei der Entfernung, und mehrfach zu treffen: Das ist schon eine echte Kunst für jemanden, der kein Scharfschütze war.

Es kann es allerdings jeder gewesen sein: Die Mafia, die Exil-Kubaner, Fidel Castro: John F. Kennedy hatte viele Feinde, aber das ist alles im Reich der Spekulation. Immer noch sind eine ganze Reihe Unterlagen nicht veröffentlicht, da wird man abwarten müssen.

Der amerikanische Präsident John F. Kennedy (l.) und Papst Paul VI. 1963 im Vatikan / © Archiv (KNA)
Der amerikanische Präsident John F. Kennedy (l.) und Papst Paul VI. 1963 im Vatikan / © Archiv ( KNA )

DOMRADIO.DE: John F. Kennedy ist ein Mythos, was natürlich auch mit dem Mord an ihm zusammenhängt. War er denn ein guter Politiker?

Hochgeschwender: Er hat einiges angestoßen, aber eher im außenpolitischen Bereich: In der Kubakrise hat er Haltung gezeigt und die Sowjetunion zum Einlenken gezwungen, obwohl die Kubaner den Atomkrieg wollten. Innenpolitisch hat er sich, wie gesagt, auf den fahrenden Zug der Bürgerrechtsbewegung geschwungen, durch den Einfluss seines Bruders. Aber es war letztlich sein Nachfolger Lyndon B. Johnson, der den "Civil Rights Act" und den "Voting Rights Act" durchgebracht hat.

Kennedy hat allerdings auch den Makel der Eskalation des Vietnamkrieges zu verantworten. Da lag er übrigens völlig auf der Linie der katholischen Kirche, denn er war ein scharfer Antikommunist. Etwa acht Prozent der südvietnamesischen Bevölkerung waren Katholiken, die meisten davon aus dem Norden vor den Kommunisten geflohen. Und natürlich ging es auch um deren Religionsfreiheit. Eines der ersten Dinge, die die Kommunisten taten, als sie die Macht ergriffen hatten war, gegen diese Katholiken vorzugehen. Aber durch die Eskalation des Vietnamkrieges hat JFK die außenpolitische Situation der USA geschwächt.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Quelle:
DR