Vor 75 Jahren fand die Wannseekonferenz in Berlin statt

"Besprechung über die Endlösung der Judenfrage"

​Kürzlich erst wurde diese Zahl bekannt: Zwei Millionen Besucher kamen seit 1992 ins Haus der Wannsee-Konferenz nach Berlin-Zehlendorf, um sich dort über das wohl dunkelste Kapitel deutscher Geschichte zu informieren.

Autor/in:
Joachim Heinz
Berliner Gedenkstätte "Haus der Wannsee-Konferenz / © Marko Priske (epd)
Berliner Gedenkstätte "Haus der Wannsee-Konferenz / © Marko Priske ( epd )

Am 20. Januar 1942 betrug die Mittagstemperatur in Berlin gerade einmal minus 12 Grad. Was sich vor 75 Jahren in einer Villa am Wannsee abspielte, lässt einem allerdings auch heute noch das Blut in den Adern gefrieren. In eiskalter Bürokratensprache hielten da 15 Männer fest, wie sie für das nationalsozialistische Regime die "europäische Judenfrage" zu lösen gedachten. "Technisch handelte es sich um eine der üblichen Staatssekretärkonferenzen, die an die Stelle der von Hitler unterbundenen Kabinettssitzungen traten", schreibt der Historiker Hans Mommsen. Ungewöhnlich war insbesondere, wie offen die Ergebnisse des Treffens festgehalten wurden.

Mommsens Kollege Peter Longerich bezeichnet das Protokoll der Wannseekonferenz, von dem bislang lediglich ein einziges Exemplar bekannt ist, deswegen als "Ausnahme". In "kaum verklausulierter Form" sei über einen "Gesamtplan zur europäischen Judenfrage" diskutiert worden. "Und zwar in einer Art und Weise, die deutlich macht, dass dieses Jahrhundertverbrechen über SS, Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst hinaus aktiv durch Reichskanzlei, Justiz, Innenministerium, Auswärtiges Amt, zivile Besatzungsbehörden, Vierjahresplan (also die oberste Instanz der Rüstung) sowie Partei mitgetragen und mitverantwortet wurde."

Druck von mehreren Seiten

Eingeladen hatte der Chef des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich. Der machtbewusste Karrierist stand unter nicht unerheblichem Druck. Bereits im Sommer 1941 hatte ihn Reichsmarschall Hermann Göring beauftragt, einen Plan zur "Gesamtlösung der Judenfrage in Europa" vorzulegen. Zeitgleich drückte unter anderen der Reichsführer SS Heinrich Himmler aufs Tempo. Hinzu kamen weitere Faktoren, die spätestens ab Herbst 1941 zu einer massiven Radikalisierung der NS-Judenpolitik beitrugen. Darunter fielen die beginnenden Deportationen von deutschen Juden ebenso wie die von Longerich unter dem Begriff "regionale 'Endlösungen'" zusammengefassten Mordaktionen mithilfe von Gas.

Passend zu alledem machte Heydrich die Anwesenden einleitend darauf aufmerksam, dass die Federführung in dieser Angelegenheit "ohne Rücksicht auf geographische Grenzen" und "zentral" bei ihm selbst liege. Sein eigentlicher Plan findet sich ab Seite 7 des Wannsee-Protokolls. Einen Sieg über die Sowjetunion voraussetzend, schwebte Heydrich vor, den Großteil der von den Behörden erfassten rund elf Millionen europäischen Juden als Zwangsarbeiter "straßenbauend" in den Osten zu führen, "wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird". Der verbleibende "Restbestand" müsse "entsprechend behandelt" werden. Das hieß im Klartext nichts anderes, als sämtliche Juden "in einem wohl noch nicht bestimmten Zeitraum physisch auszulöschen", wie Experte Longerich schreibt.

Mörderische Etappe

Die Wirklichkeit überbot die auf der Wannseekonferenz erörterten Pläne noch einmal an Grausamkeit. Bereits ein knappes halbes Jahr später ging die SS auf Betreiben Himmlers dazu über, ungeachtet des Kriegsverlaufs und in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Juden zu ermorden. Heydrich war zudem Anfang Juni 1942 an den Folgen eines Attentats gestorben, was Anlass zu der als Vergeltungsoperation deklarierten "Aktion Reinhardt" bildete.

Was nun massenhaft geschah, schilderte SS-Obersturmführer Kurt Gerstein am Beispiel des Vernichtungslagers Belzec: "Männer, Frauen, Kinder, Säuglinge, Beinamputierte, alle nackt, vollkommen nackt, gehen an uns vorüber. In einer Ecke steht ein launenhafter SS-Mann, der diesen Armen mit salbungsvoller Stimme erklärt: Nicht das geringste wird euch passieren." Die wehrlosen Opfer zogen weiter in die Kammern - in die dann Motorgas geleitet wurde. "Nach 32 Minuten endlich ist alles tot." Wie "Basaltsäulen" standen die Ermordeten Gerstein zufolge in den überfüllten Kammern. "Selbst im Tode erkennt man noch die Familien, die sich noch die Hand drücken." Die Wannseekonferenz war insofern nur eine, wenn auch keineswegs unwichtige Etappe auf dem Weg zum Holocaust – an dessen Ende rund sechs Millionen ermordete Juden standen.


Quelle:
KNA