Das Ende des Zweiten Weltkriegs war gerade einmal vier Jahre her, davor herrschte zwölf Jahre lang das NS-Regime unter Adolf Hitler. Die Menschen hatte Angehörige verloren oder wussten sie in Kriegsgefangenschaft. Wohnraum und Infrastruktur waren knapp.
So lag der 14. August 1949, der erste Wahlsonntag der Bundesrepublik, zwar in einer Zeit der Aufbrüche, aber es war nicht nur Aufbruchstimmung zu spüren. "Bei der ersten Bundestagswahl gab es eine starke Wahlbeteiligung, die höher war als zuletzt in unserer Gegenwart, aber es war ein sehr gedämpfter, skeptischer Neubeginn", erklärt Historiker Benedikt Wintgens.
Dabei spielten die Erfahrung des Nationalsozialismus und die Folgen des Zweiten Weltkriegs für jede und jeden persönlich eine Rolle. "Das zweite Problem war die deutsche Teilung", so Wintgens. "Denn jeder Schritt, der von den Westalliierten in Richtung Demokratie gemacht wurde, wurde von den Menschen vor der Folie geprüft, was das für die deutsche Einheit für Folgen hat."
Ein Grundgesetz als Verfassung
1948 hatten die USA, Frankreich und Großbritannien auf die Gründung eines Staates gedrängt. Die westdeutschen Bundesländer wurden beauftragt, in einer verfassungsgebenden Versammlung einen westdeutschen Staat mit "einer freien und demokratischen Regierungsform" vorzubereiten.
Die Alliierten gestanden also dem deutschen Volk als Kriegsverlierer schrittweise eigene Regierungsverantwortung zu, bereiteten damit aber letztlich den Weg hin zur deutschen Teilung. Die Ministerpräsidenten wollten den provisorischen Charakter der neuen Organisationseinheit betonen.
Man bezeichnete deshalb zum Beispiel die Verfassung nicht als Verfassung, sondern als "Grundgesetz". Regelungen, die Westdeutschland als vollwertigen Nationalstaat hätten ausweisen können, vermieden die Politiker - und teilten damit die Skepsis der Bevölkerung.
Der Neubeginn nach der Diktatur habe auch praktische Herausforderungen mit sich gebracht, so Historiker Wintgens: "Zum Beispiel die Medienberichterstattung. Zeitungen erschienen zwei, drei oder viermal pro Woche und hatten nur einen Umfang von ein paar Seiten".
Adenauer gegen Schumacher
Im Wahlkampf standen sich Kurt Schumacher als Spitzenkandidat der SPD und Konrad Adenauer für die CDU gegenüber. Die wichtigsten Themen: Wohnungsnot, die Versorgung der Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Gebieten im Osten und die Frage nach dem Verhältnis zu Ostdeutschland und den westlichen Staaten.
Wahlberechtigt waren alle Bürger ab 21 Jahren, von denen am Wahltag 78,5 Prozent ihre Stimme abgaben. Elf Parteien und Wählervereinigungen zogen in den Bundestag ein. Die Unionsparteien CDU und CSU wurden mit 31 Prozent stärkste Kraft, die SPD erzielte 29 Prozent.
Am 7. September trafen sich die 410 Abgeordneten, darunter 28 Frauen, zum ersten Mal in Bonn zur konstituierenden Sitzung. Der Tag begann mit zwei Festgottesdiensten, evangelisch und katholisch getrennt.
Die Bonner Kinder hatten schulfrei; es sollte deutlich werden, dass es sich um einen besonderen Tag handelte, erklärt Wintgens. Er unterstreicht, dass das Begehen eines nationalen Anlasses für die junge Republik Neuland war. "Das Orchester hat beim Festakt Beethoven gespielt; eine Nationalhymne gab es ja noch nicht." Die "Westdeutsche Zeitung" schrieb, Bonner seien zu Tausenden zum Bundeshaus geströmt.
Alterspräsident Paul Löbe (SPD) eröffnete die Sitzung im rasch umgebauten Plenarsaal und appellierte an die Abgeordneten, das Volk erhoffe sich "eine stabile Regierung, eine gesunde Wirtschaft, eine neue soziale Ordnung in einem gesicherten Privatleben". Die Abgeordneten sollten das "Vaterland einer neuen Blüte und neuem Wohlstand" entgegenführen.
Schritte hin zum westdeutschen Staat
Gut einen Monat nach der Wahl wählte der Bundestag Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler. Er führte die Unionsparteien zu einer Koalition mit der FDP sowie der heute nicht mehr existierenden Deutschen Partei zusammen.
Auch in anderen Aspekten wurde die Bundesrepublik im September 1949 mehr und mehr zum Staat: Am 7. September erschienen die ersten Briefmarken und die Bahn wurde in "Deutsche Bundesbahn" umbenannt. Am Ende des Monats wurde das Nationale Olympische Komitee gegründet.
In der kollektiven Erinnerung der Deutschen nehmen die erste Bundestagswahl und die anderen Ereignisse des Jahres 1949 wenig Raum ein. Wintgens führt dies auch darauf zurück, dass für die Zeitgenossen die Geschehnisse wenig mit dem zu tun hatten, was sie vorher als nationale Machtpolitik kannten. Die Staatsgründung war keine vom breiten Volk voran getriebene Bewegung, wie man sich das bei Freiheitsbewegungen vielleicht vorstellt, sondern sie vollzog sich in Verhandlungen.
Von der stufenweisen Staatsgründung haben sich andere Ereignisse mehr eingebrannt, beispielsweise die Einführung der D-Mark 1948 und der Nato-Beitritt Deutschlands und anderer außenpolitischer Souveränitätsgewinne im Jahr 1955. Und insgesamt sind aus der Nachkriegszeit mehr im kollektiven Gedächtnis: die Luftbrücke, der Käfer, und natürlich ein sportliches Ereignis 1954 in Bern - "Aus, aus, aus, aus! Das Spiel ist aus. Deutschland ist Weltmeister!"