Vor den Kongresswahlen wird auch über Abtreibungsgesetz abgestimmt

Tag der Entscheidung für Bush

Rund 200 Millionen US-Bürger wählen heute einen neuen Kongress. Letzten Umfragen zufolge haben die Demokraten realistische Chancen, die Republikaner in Senat und Abgeordnetenhaus als stärkste Partei abzulösen. Wahlforscher sagten in mehreren Staaten Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Daher ist noch unklar, ob in der kommenden Nacht bereits Ergebnisse vorliegen werden.

 (DR)

Rund 200 Millionen US-Bürger wählen heute einen neuen Kongress. Letzten Umfragen zufolge haben die Demokraten realistische Chancen, die Republikaner in Senat und Abgeordnetenhaus als stärkste Partei abzulösen. Wahlforscher sagten in mehreren Staaten Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Daher ist noch unklar, ob in der kommenden Nacht bereits Ergebnisse vorliegen werden. Die Wahlen gelten als Stimmungstest für den republikanischen Präsidenten Bush. Abseits aller Entscheidungen über Kongressabgeordnete, Senatoren und Gouverneure stehen in vielen Staaten auch Sachentscheide in Form von Referenden an. Hören Sie eine Einschätzung von Patrick Keller, USA-Experte der Universität Bonn.

Abtreibungsproblematik spaltet US-Gesellschaft
In South Dakota, das sonst nicht gerade häufig in den Hauptnachrichten vertreten ist, fällt am Dienstag eine weit reichende Entscheidung in einer Frage, die seit mehreren Jahrzehnten die US-Gesellschaft spaltet wie kaum eine andere: die Abtreibungsproblematik. Die Konsequenzen des Wählervotums in dem dünn besiedelten Staat sind momentan kaum absehbar. Mit großer Spannung blicken daher die Verfechter von "pro choice" - einer liberalen Regelung, wie sie seit dem Grundsatzurteil des Obersten Bundesgerichts von 1973 landesweit Richtlinien-Charakter hat - und von "pro life", den Gegnern von Abtreibung und "Wahl"-Möglichkeit der Frauen, nach South Dakota.

Die dortige Regelung ist die restriktivste der gesamten USA. Das Gesetz wurde bereits im Februar vom Staatsparlament beschlossen. Doch haben seine Gegner erreicht, dass die Wähler nun vor dem Inkrafttreten darüber abstimmen müssen. Der republikanische Gouverneur Mike Rounds sieht in dem Gesetz einen "Frontalangriff" auf das 1973er-Urteil "Roe gegen Wade" zur Legalisierung von Abtreibung.

Aufmauferksamkeit auf die Provinz
Nach dem Entwurf ist eine Abtreibung nur noch dann statthaft, wenn das Leben der Mutter durch eine Geburt hochgradig in Gefahr wäre. Der Abbruch einer Schwangerschaft, die auf Inzest oder Vergewaltigung zurückgeht, wäre dann nicht mehr erlaubt. Auf Grund dieser Rigorosität richtet sich die Aufmerksamkeit von Pro Choice- und Pro-Life-Aktivisten ganz auf das etwas provinzielle South Dakota. Abstimmungen etwa über eine Notwendigkeit der Zustimmung der Eltern schwangerer Teenager, wie sie in Kalifornien und Oregon für Dienstag anstehen, erregen keine vergleichbaren Debatten.

Aus allen Teilen des Landes werden große Finanzmittel förmlich nach South Dakota gepumpt. Befürworter und Gegner des Gesetzentwurfs gehen vielerorts von Haustür zu Haustür. Federführend zu Gunsten des Gesetzes ist die Organisation "Vote Yes for Life" (Stimm' für das Leben); sie erhält Unterstützung von zahlreichen evangelikalen Predigern wie dem rechtskonservativen TV-Pfarrer Jerry Falwell.

South Dakota lehnt Gesetz ab
Die PR-Methodik unterscheidet sich nachhaltig von der Pro-Life-Taktik der Vergangenheit. Man verzichtet vollends darauf, auf Plakaten oder in TV-Spots zerschnittene Föten oder ähnliches blutiges Demonstrationsmaterial zu präsentieren. Mit einer so "radikalen" Öffentlichkeitsarbeit, so fürchten die Befürworter des Gesetzes, könnten unentschlossene und ideologisch in dieser Frage nicht gefestigte Bürger verprellt werden. In einem neuen Fernsehspot tritt eine Ärztegruppe im weißen Kittel und mit umgehängtem Stethoskop auf und beteuert, die "Maßnahme" lasse Ausnahmen für das Leben und die Gesundheit der Mutter zu. Wie bedroht diese beiden Güter sein müssen, bevor Ausnahmen gelten dürfen, wird freilich offen gelassen.

Die Weigerung, Inzest oder Vergewaltigung als Indikation für eine Abtreibung anzuerkennen, hat dazu geführt, dass Umfragen im grundsätzlich wertkonservativen South Dakota bislang eher auf eine Ablehnung des Gesetzes hindeuten. Zuletzt lauteten die Prognosen auf 52 Prozent dagegen und 42 Prozent dafür. Allerdings ist mehr als die Hälfte der Gegner nicht grundsätzlich gegen ein Abtreibungsverbot. Diese Gruppe würde ihre Haltung ändern, wenn Inzest und Vergewaltigung anders bewertet würden.

Wird das Gesetz angenommen, geht die Auseinandersetzung vor Gericht weiter. Das hat die Organisation "Planned Parenthood"
bereits angekündigt. Sie betreibt die einzige Abtreibungsklinik des Staates in Sioux City. Jährlich werden dort 800 Abtreibungen vorgenommen. Einig sind sich Gegner wie Befürworter des Gesetzes jedenfalls, dass die Entscheidung weit über die Grenzen von South Dakota hinaus Wirkung zeigen wird.

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