Vor dem zehnten Jahrestag der größten hindu-nationalistischen Gewaltwelle gegen Christen in Indien wartet die Mehrzahl der Opfer weiter auf Wiedergutmachung und juristische Gerechtigkeit. Indische Menschenrechtsaktivisten und Vertreter der Kirchen planen für den 28. und 29. August Gedenkveranstaltungen, zu denen in der Stadt Bhubaneshwar über 10.000 Teilnehmer erwartet werden.
Wie das katholische Hilfswerk missio Aachen unter Berufung auf indische Partnerorganisationen berichtet, ist die Stimmung in der Region Kandhamal im östlichen Bundesstaat Odisha, dem Schauplatz der Gewalt, angespannt. Es gebe eine erhöhte Präsenz von Hindu-Nationalisten; neue Gewaltausbrüche werden befürchtet.
Die Zahlen sind erschreckend
Auslöser der Gewalt war der Mord an dem hindu-nationalistischen Guru Swami Laxmananda am 23. August 2008. Nationalistische Scharfmacher machten sofort Christen dafür verantwortlich. "Dies war ein Angriff der Kirchen auf die Religion der Hindus", erklärte Pravin Bhai Tagodia, der Chef des berüchtigten "Welthindurates" (VHP).
In der Woche darauf töteten hindu-nationalistische Fanatiker über 100 Christen. Nach einer Bilanz von kirchlichen Organisationen brannten sie rund 400 Dörfer, 5.600 Häuser und 395 Kirchen nieder. 40 Frauen – darunter auch Ordensschwestern – wurden vergewaltigt. Etwa 56.000 Männer, Frauen und Kinder mussten aus ihren Dörfern fliehen und können teilweise bis heute nicht zurückkehren.
Nur wenige Verurteilungen
Die Mehrzahl der 3.232 Strafanzeigen wurde laut missio bis heute nicht bearbeitet. Nur 86 Täter wurden verurteilt. Und nur rund zehn Prozent der Betroffenen erhielten bisher eine Wiedergutmachung für zerstörtes Eigentum. Die Opfer sind größtenteils christliche indigene Adivasi; sie gehören der diskriminierten Kaste der Unberührbaren an.
Wegen vermeintlichen Mordes an dem Guru wurden sieben Christen festgenommen, die ihre Unschuld beteuern. Obwohl maoistische Rebellen die Verantwortung für den Anschlag übernahmen, wurden die Familienväter zu lebenslanger Haft verurteilt. "Sie kamen einfach mitten in der Nacht und haben meinen Mann mit Gewalt aus unserem Dorf gezerrt." Nilandii Nayak wirkt trotz ihres bunten Saris verhärmt.
#freeourhusbands
"Wer uns hilft, bekommt selbst Probleme", schluchzt eine andere der Ehefrauen und verhüllt ihren Mund mit ihrem Schleier. "Ich kann keinem Hindu mehr trauen."
Für die Freilassung der Verhafteten sammelt missio Aachen bis Ende August mit der Petition #freeourhusbands Unterschriften. Die Petition soll Anfang September an die Bundesregierung übergeben werden, die sich für die Freilassung der Unschuldigen einsetzen soll. Auch die indische katholische Bischofskonferenz hat eine Petition gestartet.
Religiöse Intoleranz steigt
Menschenrechtler, Priester, Psychologen und Juristen der indischen Kirche helfen zudem in einem missio-Projekt den sieben Familien. Sie wollen ein Wiederaufnahmeverfahren erreichen und vermitteln den Angehörigen Basiswissen für Bildung und Geschäftsgründungen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Nicht zuletzt können Angehörige Traumatherapien in Anspruch nehmen.
Insgesamt beklagen Menschenrechtsorganisationen und Vertreter der christlichen Minderheit zunehmende religiöse Intoleranz in Indien. Selbst kleine Anlässe wie der Verzehr von Rindfleisch durch Muslime könnten zu Lynchmorden führen. Unter Ministerpräsident Narendra Modi habe sich der Einfluss nationalistischer Hindus verstärkt.
"Indien den Hindus"?
Mit besonderer Sorge beobachten Menschenrechtler und Kirchen, wie die fanatische Hindu-Bewegung RSS, die eng mit der Regierungspartei BJP verknüpft ist, an Einfluss gewinnt. "Indien den Hindus", lautet die Parole. Kritiker Modis befürchten, dass die indische Verfassung ihren säkularen und demokratischen Charakter verlieren könnte. Auch der Vorwurf der Missionierung bedrängt Christen und Muslime.
Mehrere Bundesstaaten haben Antikonversionsgesetze erlassen – die aber nicht greifen, wenn es um Konversionen zum Hinduismus geht. Seit Jahren werfen Hindu-Organisationen den Kirchen vor, gezielt Niedrigkastige und Dalits ("Unberührbare") zu missionieren. Die Kirche dementiert dies und spricht von freiwilligen Übertritten mit dem Ziel, dem Kastensystem zu entkommen.