Sorge um religiöse Minderheiten in Indien

"Zunehmende Bedrängung und Verfolgung"

Christen sind in Indien eine Minderheit. Zurzeit müssen sie sogar um ihr Leben fürchten, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker feststellt. Denn die Hindu-Nationalisten begehen zunehmend Übergriffe auf Christen und Muslime.

Christen in Indien / © Jaipal Singh (dpa)
Christen in Indien / © Jaipal Singh ( dpa )

DOMRADIO.DE: Erst vor kurzem wurden in Indien mehrere Menschen getötet, denen man vorwarf, heilige Kühe geschmuggelt und geschlachtet zu haben. Solche Verbrechen haben seit der Regierung von Narenda Modi – also seit 2014 – um 97 Prozent zugenommen. Wieso?

Ulrich Delius (Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker): Wir können es uns nur so erklären, dass sich die Täter durch die indische Regierung ermutigt fühlen diese Verbrechen jetzt zu verüben. Denn sie haben eigentlich keine Strafverfolgung zu befürchten. Was wir erleben ist, dass sich die Täter eigentlich vollkommen frei bewegen können und manchmal sogar von der Polizei geschützt werden. Das ist natürlich ein absolutes Unding.

DOMRADIO.DE: Derartige öffentliche Aktionen wurden aber jetzt Mitte Juli vom Obersten Gericht des Landes verurteilt. Glauben Sie das wird etwas ändern?

Delius: Nein, aber es ist natürlich eine ganz wichtige Botschaft der Obersten Richter, die sich schon mehrfach für Religionsfreiheit in dem Land eingesetzt haben. Eine sehr deutliche Botschaft an die Regierung, dafür zu sorgen, dass die Ermittlungsbehörden auch tatsächlich durchgreifen und die Polizei diese Täter festnimmt. Aber vor allen Dingen auch, dass die gesetzlichen Grundlagen verändert werden, damit solche Hassverbrechen besser geahndet werden können.

DOMRADIO.DE: Wie müssen wir uns denn die Situation der religiösen Minderheiten überhaupt konkret vorstellen in Indien?

Delius: Es ist ganz schwierig, aber auch sehr unterschiedlich, wenn man sich jetzt die Situation der Christen und Muslime anschaut. Beide haben unter massiver Verfolgung und Diskriminierung zu leiden. Bei den Christen passiert es oft so, dass man ihnen unterstellt, sie würden zwangsweise Menschen missionieren und zu ihrem Glauben bekehren. Deshalb werden sie verfolgt und mit Gewalt bedroht, das kann von Schlägen bis zu Lynch-Aktionen reichen. Aber es kann auch einfach bedeuten, dass man aus dem Dorf oder aus der Stadt vertrieben wird. Bei Muslimen geht man noch brachialer vor. Die haben wirklich sehr häufig auch mit dem Tod zu rechnen. Da wird sehr oft der Vorwurf gegen sie erhoben, Kühe geschlachtet zu haben.

DOMRADIO.DE: Wer begeht diese Verbrechen? Was sind die genauen Beweggründe?

Delius: Es sind vor allem junge Menschen, die der hindu-nationalistischen Bewegung nahestehen und die sich im Recht fühlen. Sie haben das Gefühl, sie müssen deutlich machen, dass Indien vor allen Dingen ein Staat der Hindu ist und Minderheiten dort eigentlich nichts zu suchen haben. Das ist indirekt auch die Botschaft, die immer wieder von der hindu-nationalistischen Regierung ausgestrahlt und ausgesprochen wird. Unter diesen Minderheiten schafft das letztlich immer mehr Angst. 

DOMRADIO.DE: Sie fordern mehr Schutz von Christen und Muslimen in der größten Demokratie Asiens. Wie soll das konkret geschehen? Wie sollte man solche Verbrechen von Hindu-Nationalisten ahnden?

Delius: Auf jeden Fall geht es darum, erst mal die Gesetze zu verschärfen, sodass solche Selbstjustiz strikter verboten und vor allen Dingen dann strenger bestraft wird. Aber viel wichtiger ist noch neben dieser juristischen Verbesserung der Situation, dass man von Seiten des Staates auch deutliche Botschaften an diese Jugendorganisationen sendet, dass es kein grünes Licht für Verfolgung und Diskriminierung von Minderheiten geben darf. Ebenso auch, dass Indien ein laizistischer Staat ist, in dem auch die religiösen Minderheiten ein Lebensrecht und bestimmte Grundrechte haben und nicht in Angst und Schrecken leben müssen.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie denn, der Staat ist in der Lage für ein generelles Umdenken zu sorgen?

Delius: So wie wir gesehen haben, dass sich die Situation nach dem Machtantritt von Narendra Modi verschärft hat, kann sie sich auch wieder entspannen, wenn andere Signale von Seiten der politischen Führung kommen. Aber wenn die Menschen das Gefühl haben, dass die politische Führung solche Verbrechen duldet, dann ist das natürlich eine schlechte Voraussetzung, um sich für ein Ende von Straflosigkeit einzusetzen.

Das Interview führte Aurelia Rütters.

 

Ulrich Delius / © Michael Althaus (KNA)
Ulrich Delius / © Michael Althaus ( KNA )
Quelle:
DR
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