Vorgeburtliche Bluttests werden Kassenleistung

"Eine neue Ära"

Seit 2016 wurde intensiv diskutiert. Jetzt können die Krankenkassen die Kosten für vorgeburtliche Bluttests unter bestimmten Voraussetzungen übernehmen. Die katholische Kirche sieht eine "besorgniserregende Tendenz".

Autor/in:
Christoph Arens
Eine schwangere Frau hält ein Ultraschallbild ihres ungeborenen Kindes in der einen Hand und hat ihre andere Hand auf ihren Bauch gelegt / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eine schwangere Frau hält ein Ultraschallbild ihres ungeborenen Kindes in der einen Hand und hat ihre andere Hand auf ihren Bauch gelegt / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Nach jahrelangen Beratungen und ethischen Diskussionen werden die vorgeburtlichen Bluttest auf Trisomien ab 1. Juli von den Krankenkassen bezahlt. Der zuständige Bewertungsausschuss habe jetzt auch die Vergütung der ärztlichen Beratung zu den Tests beschlossen, berichtete das "Deutsche Ärzteblatt" am Freitag in Berlin. Damit beginne für viele werdende Eltern, aber auch Ärztinnen und Ärzte eine neue Ära.

Nur "in begründeten Einzelfällen"

Bereits 2019 hatten der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen sowie das Bundesgesundheitsministerium prinzipiell grünes Licht für den Test gegeben. Zuvor hatte auch der Bundestag über die Frage diskutiert, wie weit die Tests zu mehr Abtreibungen und einer Selektion behinderter Menschen führen werde.

Die Tests sollen deshalb nur "in begründeten Einzelfällen bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken" durchgeführt werden, heißt es. Voraussetzung für eine Kostenübernahme ist eine intensive ärztliche Beratung.

Die nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) werden bereits seit 2012 in Deutschland angeboten, mussten aber bisher aus eigener Tasche bezahlt werden. Bei den Tests werden ab der zehnten Schwangerschaftswoche Erbgutbestandteile des Kindes aus dem Blut der Schwangeren isoliert und auf Gendefekte wie Trisomie 21, aber auch 18 und 13 untersucht.

Kritik von Kirche und Behindertenverbänden

Befürworter bezeichnen die Tests als zuverlässig und risikoärmer als die seit den 70er Jahren zur Schwangerschaftsvorsorge gehörenden invasiven Tests. Bei Biopsien der Plazenta oder Fruchtwasseruntersuchungen komme es immer wieder zu Fehlgeburten. "Es erscheint nicht begründbar, den betroffenen Schwangeren dieses risikoärmere Testverfahren vorzuenthalten; die Tests sind in Deutschland zugelassen und verfügbar", schrieb G-BA-Chef Josef Hecken bereits 2019.

Behindertenverbände und die katholische Kirche stehen den neuen Tests dagegen kritisch gegenüber. Sie beförderten eine "besorgniserregende Tendenz in Richtung einer regelmäßigen Selektion", so die Deutsche Bischofskonferenz. Auf die Feststellung des "unerwünschten Merkmals" Trisomie erfolge zumeist der Abbruch der Schwangerschaft. Bereits jetzt führten rund 90 Prozent der Trisomie-Verdachtsfälle zum Tod des Embryos.

"Tiefgreifender Paradigmenwechsel"

Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) begrüßte die Zulassung grundsätzlich. Allerdings: "Der Aufklärung und der genetischen Beratung kommt eine besondere Bedeutung zu", erklärte Verbandspräsident Klaus Doubek gegenüber dem "Ärzteblatt". Es bestehe jetzt eine komplett neue Situation: "Vereinfacht gesagt: Gibt die Schwangere eine ausreichende Angst oder Sorge an, so reicht diese subjektive Angst oder Sorge aus, um als Indikationsstellung beziehungsweise Handlungsgrundlage zur Durchführung des NIPT herangezogen zu werden", erklärte Doubek. "Das ist ein tiefgreifender Paradigmenwechsel."

Um die NIPT künftig nicht zu einem Routineverfahren für Schwangere werden zu lassen, wird in der Mutterschaftsrichtlinie darauf hingewiesen, dass es enge Indikationen für diese Tests gibt. In der Realität werden die Tests nach den Erfahrungen der Frauenärztinnen und -ärzte aber schon jetzt immer häufiger in Anspruch genommen. "In direktem Zusammenhang damit stehen die kontinuierlich sinkenden Kosten", sagt Doubek. Zu Beginn hätten sie für die Schwangeren bei mehr als 1.000 Euro gelegen. Im Laufe der Jahre habe es aber einen deutlichen Preisverfall durch die Konkurrenz der Testanbieter gegeben.

Debatte über Gentests

Dabei ist absehbar, dass die Debatte über solche Gentests erst anfängt. Schon jetzt bringen Wissenschaft und Gentech-Unternehmen immer neue Verfahren auf den Markt, mit denen geborene Menschen, aber auch Ungeborene auf ihre Veranlagung für Krankheiten wie Diabetes, Demenz oder Brustkrebs getestet werden können. Sogar komplette Analysen des Erbguts sind machbar - und auch immer billiger zu haben.

Der Druck auf Frauen, ein gesundes Kind zu gebären, steigt. Und zunehmend stellt sich die Grundsatzfrage, wie die Gesellschaft mit Behinderungen und Krankheiten umgeht, die möglicherweise erst in Jahrzehnten ausbrechen.

Pränataldiagnostik

Bei der Pränataldiagnostik (PND) wird über die reguläre Schwangerenvorsorge hinaus gezielt nach Auffälligkeiten beim ungeborenen Kind gesucht. Die Grenzen zwischen der Standardvorsorge und der Pränataldiagnostik sind oft fließend. Grundsätzlich wird bei der PND zwischen "nicht-invasiven" und "invasiven" Methoden unterschieden.

Ultraschallbild eines Ungeborenen auf einem Monitor während einer Ultraschalluntersuchung in einer Praxis für Pränataldiagnostik / ©  Julia Steinbrecht (KNA)
Ultraschallbild eines Ungeborenen auf einem Monitor während einer Ultraschalluntersuchung in einer Praxis für Pränataldiagnostik / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA