In fast jedem Bundesland dürfen künftig alle Menschen mit Behinderungen wählen gehen. Während entsprechende Gesetze in Nordrhein-Westfalen und vier weiteren Ländern bereits seit längerem gelten, einigten sich im März drei weitere Landtage auf ein inklusives Wahlrecht, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) ergab.
Die Landtage fünf weiterer Bundesländer beraten derzeit Gesetzesentwürfe zum Wahlrecht für behinderte Menschen, die dauerhaft voll betreut werden. Aus dem Saarland lag zunächst keine Antwort des zuständigen Ministeriums vor.
Noch nicht für Europawahl
Der Bundestag hatte Mitte März beschlossen, dass künftig auch behinderte Menschen mit Vollbetreuung wählen und für eine Wahl kandidieren dürfen. Gleiches gilt für schuldunfähige, psychisch kranke Straftäter, die im Maßregelvollzug untergebracht sind. Die Reform tritt allerdings erst zum 1. Juli in Kraft und ist damit zur Europawahl Ende Mai noch nicht wirksam.
Mit der Gesetzesnovelle wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, das in diesem Jahr entschieden hatte, dass Behinderte nicht von Wahlen ausgeschlossen werden dürfen.
Lediglich richterliche Aberkennung
Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein änderten ihre Kommunal- und Landeswahlgesetze bereits 2016 und waren damit Vorreiter unter den Bundesländern. Dieses Jahr zum ersten Mal wählen dürfen Betroffene in Brandenburg, Bremen und Hamburg, wo bereits 2018 Änderungen beschlossen wurden.
In NRW trat bereits am 1. Juli 2016 das "Erste allgemeine Gesetz zur Stärkung der Sozialen Inklusion" in Kraft. Es beendete den Wahlrechtsausschluss von Menschen, die in allen Angelegenheiten betreut werden.
Seitdem sind nur noch Bürger vom Wahlrecht ausgeschlossen, denen ein Richter das Wahlrecht aberkannt hat. Die Neuregelung kam erstmals flächendeckend bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 2017 zum Einsatz.
Im Landes- und Kommunalwahlrecht NRW ist auch verankert, dass zu den Wahlen Informationen in "leichter Sprache" bereitgestellt werden müssen. Menschen mit Behinderung haben außerdem die Möglichkeit, eine Hilfsperson in Anspruch zu nehmen.
Merkel: Chancengleichheit und Teilhabe
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihren Einsatz für Chancengleichheit und Teilhabe für Menschen mit Behinderungen unterstrichen.
"Sie in die Gesellschaft mit einzubeziehen, ist vorrangige Aufgabe für die Bundesregierung und liegt auch mir persönlich ganz besonders am Herzen", sagte Merkel in ihrem wöchentlichen Podcast am Samstag in Berlin und erinnerte an die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor zehn Jahren am 26. März 2009.
Barrieren abbauen
Die Bundesregierung hat 2011 den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention verabschiedet. Dabei stünden Teilhabechancen bei der Bildung sowie der Abbau von physischen Barrieren im Mittelpunkt.
"Wir wollen, dass Menschen mit Behinderungen auch aktiv mit dabei sind, wenn es um die Gestaltung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention geht", so Merkel.
Ein selbstbestimmtes Leben führen durch Bildung
Außerdem habe man mit der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes einen Systemwechsel vollzogen. "Es geht um mehr individuelle Selbstbestimmung und Hilfen aus einer Hand", sagt die Kanzlerin.
Ab 2020 werden demnach diese Hilfen vor allem auch individuell ausgezahlt, wodurch die Möglichkeit der Selbstbestimmung des eigenen Lebens wachse. Mit dem Budget für Arbeit würden die Chancen von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt verbessert.
"Und wir denken auch darüber nach, ein Budget für Ausbildung einzuführen, um auch die berufliche Bildung für Behinderte zu stärken", sagte Merkel.