Waldfriedhöfe und Seebestattungen: Sterben Grabsteine aus?

Erinnerungskultur im Wandel

Grabsteine zeigen in verschiedenen Kulturen und Religionen auf Friedhöfen das Andenken an Verstorbene. Doch nicht jeder will mehr auf einem üblichen Friedhof begraben werden. Waldfriedhöfe sind nur ein Beispiel. Stirbt also der Grabstein aus?

Eine Amsel auf einem Grab / © Harald Oppitz (KNA)
Eine Amsel auf einem Grab / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Am 20. Oktober steht erstmals der Gedenkstein am "Tag des Grabsteins" im Mittelpunkt. Bundesweit können sich Interessierte bei ihrem Steinmetz über Gestaltung oder Geschichte informieren. Da kommt die Frage auf: Ist der Grabstellen bei uns in Deutschland aus der Mode gekommen, dass wir diesen Tag brauchen?

Prof. Dr. Norbert Fischer (vom Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie und Dozent für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte am Historischen Seminar der Universität Hamburg): Aus der Mode gekommen, würde ich vielleicht nicht sagen. Aber es gibt natürlich struktuelle Entwicklungen, die dazu führen, dass der einzelne Grabstein inzwischen nicht mehr die allgemein übliche Erinnerungskultur repräsentiert. Im 19. Jahrhundert sind Familiengräber entstanden oder auch die einzelnen Grabstätten für Persönlichkeiten, die alle ihren eigenen Grabstein erhielten. Heute dagegen haben wir auf den Friedhöfen viel mehr Gemeinschaftsgrabstätten wie etwa Aschen-Gemeinschafts-Anlagen. Und wir haben natürlich einen gewissen Trend hin zu Naturbestattungen. Denken wir da an die Bestattungswälder oder in Norddeutschland an Seebestattungen. All dies führt natürlich dazu, dass der Grabstein nicht mehr die große Rolle für die Bestattungs- und Erinnerungskultur spielt.

DOMRADIO.DE: Sind diese ganzen Konzepte, die Sie gerade genannt haben, nicht einfach Alternativen?

Fischer: Die Orte wandeln sich, aber was sich offensichtlich nicht wandelt, ist das Bedürfnis, einen Ort der Erinnerung an die Verstorbenen zu haben. Die beiden Haupt-Betreiber der Bestattungswälder mussten dem Bedürfnis der Verstorbenen nachgeben, doch eine namentliche Erinnerung in Form von Plaketten an die Bäume anzubringen. Beim Stichwort Seebestattung gibt es immer mehr Gemeinschaftsdenkmäler, wo die auf See Bestatteten dann am Land in bestimmten Küsten- und Hafenstädten vermerkt werden. Es sind andere und neue Wege an die Menschen auch namentlich zu erinnern.

DOMRADIO.DE: Im Prinzip ein Grabstein, aber halt dann in Form einer Plakette. Wenn ich an meine Großeltern danke, da war das ganz klar: Man hat seinen Friedhof und dort ist auch das Grab und es ist klar, dass man dort begraben wird. Warum hat sich das Bild verändert? Jetzt ist das ja nicht mehr so klar.

Fischer: Das hängt mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen. Die Grabsteinkultur des 19. Jahrhunderts basierte darauf, dass die Familie über mehrere Generationen vor Ort zusammen blieb und das Grab besuchte und pflegte. Heute haben wir dagegen eine mobile Gesellschaft, wo schon die nächste Generation häufig Hunderte von Kilometern entfernt wohnt. Da ist ein Familiengrab einfach nicht mehr passend. Man findet einfach zu neuen Formen des Gedenkens, die ebenfalls etwas mobiler sind.

DOMRADIO.DE: Das heißt, wir bräuchten Grabsteine zum Mitnehmen?

Fischer: Das gibt es ja teilweise in skurrilen Formen, die im Ausland viel häufiger praktiziert werden als in Deutschland. Denken wir da an den Aschediamant. Das heißt, der Angehörige trägt die Asche des Verstorbenen im Amulett mit sich.

DOMRADIO.DE: Ich habe da auch schon von gehört, aber ich finde die Vorstellung, meine Oma an der Kette zu tragen, gruselig.

Fischer: Das ist nicht jedermanns Sache, ganz klar. Aber auch wenn sich die Wünsche ändern, ist das Bedürfnis nach Trauer und Erinnerung ganz stark geblieben. Denken Sie beispielsweise an die vielen Unfallkreuze an den Straßenrändern, die auch von einer ganz neuen Trauer-Kultur zeugen.


Norbert Fischer / © Patrick Ohligschläger (privat)
Norbert Fischer / © Patrick Ohligschläger ( privat )
Quelle:
DR
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