Warum das Rheinland nach Trier pilgert

"Wie einer von nebenan"

Seit Jahrhunderten pilgern Menschen zum Grab des Apostels Matthias in Trier. Besonders viele Besucher kommen vom Niederrhein und aus dem Rheinland. Warum ist das so und was hat Christi Himmelfahrt damit zu tun?

Autor/in:
Hannah Krewer
Die Basilika der Benediktinerabtei St. Matthias in Trier (shutterstock)
Die Basilika der Benediktinerabtei St. Matthias in Trier / ( shutterstock )

Ein unscheinbarer, kleiner Steinsarkopharg ist in diesen Tagen das Ziel vieler Pilger aus dem Rheinland. Der steht in der Krypta der Basilika St. Matthias in Trier, in der die Gebeine des Apostels Matthias verehrt werden. Der, so erzählt es zumindest die Apostelgeschichte, nahm nach dem Verrat des Judas dessen Platz im Kreis der zwölf ein. Und dank ihm hat Trier das einzige Apostelgrab nördlich der Alpen.

Lange Pilgertradition

Seit über 800 Jahren pilgern Menschen an diesen Ort. "Die Menschen beginnen im 12., 13. Jahrhundert damit, dorthin zu laufen", erklärt der Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti. "Bruderschaften im engeren Sinne entstehen dann im Mittelalter." Und eine Bruderschaft sei mehr als nur eine lockere Gruppe, die sich zum Beispiel zum Pilgern zusammentut: "Eine Bruderschaft besteht über den Tod hinaus", so Becker-Huberti. "Eine Bruderschaft nimmt Menschen auf und selbst, wenn sie diese Welt verlassen, sind sie Teil dieser Gemeinschaft."

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Im Gegensatz etwa zum Jakobsweg, den viele Menschen nur einmal in ihrem Leben gehen, pilgern die Matthiasbruderschaften jedes Jahr nach Trier. Manche Pilger gehen schon mehrere Jahrzehnte mit. Zum Beispiel Anton Plenkers aus Meerbusch: Seit über 40 Jahren ist er Mitglied der Matthias-Bruderschaft in Meerbusch Büderich. Angefangen hat alles mit einem Schicksalsschlag, erzählt er.

Pilgern als Auszeit vom Alltag

"Der ausschlaggebende Moment war die seelische Verarbeitung vom plötzlichen Tod meines Vaters, der ein Jahr vorher gestorben war." Damals sei es noch schwierig gewesen, überhaupt einen Platz für die Wallfahrt zu bekommen, da es viel mehr Interessenten als Plätze gab. "Aber weil wir diesen Schicksalsschlag erlitten haben, durften meine Mutter und ich dann mit." Und das habe ihm auch wirklich geholfen: "Einmal der Kontakt mit den Menschen unterwegs und eben mal drei Tage abzuschalten und zu sich selber zu kommen."

Das schätzt er auch heute noch am Pilgern: "Dass man wirklich drei Tage am Stück von zu Hause weg ist und drei Tage am Stück sich mit anderen unterhalten kann.“ Auch der Austausch zwischen den verschiedenen Generationen in der Pilgergruppe ist ihm ein Anliegen. "Und was für mich immer besonders wichtig war: dass eben jeder auch seine eigenen Gedanken äußern kann unterwegs, was ihm auf der Seele brennt."

Wallfahrt 1979: Anton Plenkers mit dem Wallfahrtskreuz / © SMB Büderich (privat)
Wallfahrt 1979: Anton Plenkers mit dem Wallfahrtskreuz / © SMB Büderich ( privat )

"Der Matthes ist für alles gut"

In gewisser Weise scheint das sogar typisch für die Wallfahrt zum Apostelgrab nach Trier zu sein. Zumindest weiß Brauchtumsexperte Becker-Huberti, dass die Leute auch früher schon mit allen möglichen Anliegen dorthin gepilgert sind. "Die Rheinländer haben aus dem Matthias den Matthes gemacht", erklärt er. "Und der Matthes, das ist ja fast wie einer von nebenan. Der Matthes ist für alles gut, haben die Leute gesagt. Und dementsprechend ging man diesen Weg mit jeder Sorge, die man hatte."

Aber woran liegt es, dass es ausgerechnet am Niederrhein und im Rheinland so viele Matthiasbruderschaften gibt? In Köln, in Neuss, in Meerbusch, Willich, Kaarst, Korschenbroich oder Krefeld etwa. Auch dafür hat Manfred Becker-Huberti eine Erklärung: "Der Grund liegt darin, dass es hier einige Benediktinerabteien gegeben hat. Die wichtigste in diesem Zusammenhang ist Mönchengladbach. Sie haben Brauweiler, Groß Sankt Martin in Köln oder den Michaelsberg in Siegburg. Das sind alles Abteien, die im zehnten oder elften Jahrhundert gegründet worden sind und natürlich Fixpunkte waren, von denen aus dann nach Trier gewallfahrtet wurde. Es ist natürlich ein Netzwerk, das da unterwegs ist." Denn schließlich sind es auch Benediktiner, die in Trier seit vielen Jahrhunderten die Wallfahrten zum Apostel Matthias betreuen.

Anton Plenkers bei der Wallfahrt 2023 / © Hannah Krewer (DR)
Anton Plenkers bei der Wallfahrt 2023 / © Hannah Krewer ( DR )

Die Wallfahrt wirkt nach

Die Ankunft in Trier nach vier Tagen Wallfahrt ist für Anton Plenkers auch nach über 40 Jahren noch etwas Besonderes. Besonders freut er sich immer auf den Gottesdienst mit über 1.000 Pilgern, der auf dem Freihof vor der Basilika gefeiert wird. "Die dann wirklich diese Gemeinschaft feiern. Und nachher auch das Zusammentreffen auf dem Hof." Denn wenn das Pontifikalamt mit dem Abt vorbei ist, werden die Bänke umgestellt und die Matthiasbruderschaften veranstalten auf dem Kirchhof ein großes Picknick.

Auch, wenn er dann wieder zu Hause ist, zehrt Plenkers weiter von der Wallfahrt. Ein Gedanke begleitet ihn dann das ganze Jahr über: "Dass ich daran denke, dass wir mit vielen auf dem Weg Gottes unterwegs sind und dass die Wege eben sehr vielfältig sind", erzählt er. "Und dass man die Leute nicht so schnell verurteilen sollte, sondern die anderen Meinungen auch respektiert und sich durch das Wallfahrtserlebnis aber sicher ist: Wir sind alle gemeinsam auf dem Weg."

Und warum an Christi Himmelfahrt?

Bleibt noch die Frage, warum die Wallfahrtssaison in Trier ausgerechnet um Christi Himmelfahrt herum eröffnet wird. Schließlich wird das Fest des Apostels im deutschen Sprachraum bereits im Februar gefeiert. Hier kann die Benediktinerabtei St. Matthias selber helfen. "Es liegt am Gedenktag der Wahl des Apostels Matthias", so die Pressesprecherin der Abtei, Hilde Greichgauer. "Der wird immer am Samstag nach Christi Himmelfahrt gefeiert. In der Apostelgeschichte wird die Wahl des Matthias in der Zeit nach den Erscheinungsgeschichten des Auferstandenen Christus verortet. Die Wahl müsste damals also in der Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten gewesen sein."

Manfred Becker-Huberti / © Harald Oppitz (KNA)
Manfred Becker-Huberti / © Harald Oppitz ( KNA )

Dass daraus eine Pilgerzeit geworden sei, habe aber auch noch einen ganz praktischen Grund: "Die Zeit liegt zwischen Aussaat und Ernte. Es war also die günstigste Zeit für alle Landwirte. Felder und Weinberge waren bestellt und vorbereitet und man konnte sich die Zeit für einen Pilgerweg nehmen."

Nochmal 800 Jahre?

Und wie sieht es in der Zukunft aus? Schließlich steckt die katholische Kirche in einer Krise. Wird es also noch weitere 800 Jahre Trier-Wallfahrt geben? Brauchtumsexperte Manfred Becker-Huberti ist zumindest optimistisch. "Was 800 Jahre besteht, das hat auch eine Chance für die nächsten 800 Jahre", erklärt er. "Insofern mache ich mir da wenig Sorgen." Und auch Anton Plenkers glaubt, dass sich in Zukunft noch Menschen auf den Weg zum Grab des Apostels Matthias machen werden: "Die Menschen werden immer auf der Suche sein. Ich denke schon, dass das eine Zukunft hat, auch wenn es weniger wird." Schließlich seien in seiner Gruppe heute schon weniger Pilger unterwegs als zu seinen Anfangszeiten. "Aber weniger heißt ja nicht, dass die Qualität darunter leidet."

Wallfahrt

Eine Wallfahrt oder Pilgerfahrt ist eine religiös motivierte Reise zu heiligen Stätten. Dabei ist diese Tradition keineswegs auf das Christentum beschränkt, Wallfahrten gibt es auch im Judentum und im Islam. Häufig nehmen die Wallfahrer bewusst Entbehrungen oder Strapazen auf sich. Die Pilger wollen aus dem Alltag ausbrechen, die Wallfahrt kann dabei den Charakter eines Bitt- oder Dankgebetes annehmen.

Symbolbild Wallfahrt / © Armin Weigel (dpa)
Symbolbild Wallfahrt / © Armin Weigel ( dpa )
Quelle:
DR