Warum der Glaube im US-Wahlkampf kaum noch eine Rolle spielt

"Sie inszenieren sich nicht mehr als religiöse Player"

"In God we trust - Auf Gott vertrauen wir"? Glaube und Religion spielen in den USA und im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf eine immer kleinere Rolle. Im domradio.de-Interview erklärt der Journalist Alexander Schwabe, warum das so ist.

Fernsehdebatte zwischen Clinton und Trump / ©  Jim Lo Scalzo (dpa)
Fernsehdebatte zwischen Clinton und Trump / © Jim Lo Scalzo ( dpa )

domradio.de:  Religion hat im aktuellen Wahlkampf kaum noch eine Rolle gespielt, so ist Ihre Beobachtung, die Sie in der Wochenzeitschrift "Christ in der Gegenwart" offengelegt haben. Woran genau machen Sie das fest?

Alexander Schwabe (Journalist für "Christ in der Gegenwart"): Das ist die Analyse von Politologen und Amerikanisten, die den Wahlkampf ja sehr genau beobachten. Man sieht es aber auch daran, dass insbesondere die Republikaner einen Mann wie Donald Trump auf Schild heben und auch nicht in der Lage sind, ihn im Zaun zu halten. Wenn ausgerechnet die konservative Partei, die ja an alten Werten orientiert ist, einen Typen wie Trump durchgehen lässt,  dann ist allein das schon ein Zeichen, dass es mit der Moral und der Religion nicht mehr weit her sein kann. So hat das Institut PolitiFact festgestellt, dass die Aussagen von Trump zu 70 Prozent falsch oder gelogen sind. Trotzdem ist er immer noch im Rennen. Wenn aber  Wahrhaftigkeit überhaupt keine Rolle mehr spielt, dann ist es mit der Rückbindung einer Gesellschaft an Religion auch nicht gut bestellt.

domradio.de: Das heißt in den Augen der Kandidaten Clinton und Trump lohnt sich ein offenes Zurschaustellen der eigenen  Religiosität offenbar nicht mehr?

Schwabe: Nein, es lohnt sich nicht mehr. Sie gehen punktuell noch in Kirchen und zu religiösen Gruppen, aber sie sprechen quasi nicht mehr das Wahlvolk als Ganzes an, sie inszenieren sich nicht mehr als religiöse Player. Zwar ist es so, dass die Mehrheit der Adressaten ihres Wahlkampfes nicht mehr so stark religiös gebunden ist. Auch in den USA laufen den Kirchen die Mitglieder davon. Außerdem kommen die Kirchen in der öffentlichen Debatte fast nicht mehr vor. Sie führen im Grunde so ein Inseldasein, füllen nur noch bestimmte Nischen aus. Zum Beispiel geht es dann hauptsächlich um den Kampf gegen Abtreibung. Oder sie mischen mit auf diesem Markt des Events, indem sie irgendwelche charismatischen Erlebnisse bieten. Theologisch aber haben sie relativ wenig zu sagen. Wegen alledem sind diese Gruppen, die ein solches Nischendasein fristen, für die Kandidaten und ihre Wählerwerbung nicht mehr wirklich interessant. Die Kirchen sind im gesellschaftlichen Grundrauschen nicht mehr wirklich präsent.       

domradio.de: Das heißt, dass sowohl die katholische als auch die diversen protestantischen Kirchen in diesem Wahlkampf kaum noch eine erwähnenswerte Rolle gespielt haben?

Schwabe: Sie haben keine starke Rolle gespielt. Das liegt natürlich auch daran, dass sich zum Beispiel die katholische Kirche insbesondere durch diesen Missbrauchsskandal, der in den USA ja ein sehr großes Ausmaß hat, diskreditiert hat. Außerdem haben sie ihren Einfluss auch dadurch eingebüßt, weil sie sich zu gesellschaftlich relevanten Problemen kaum noch äußern und sich nicht mehr wirklich zu den starken Themen einmischen, die die Leute sehr bewegen, wie zum Beispiel die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Verarmung immer größerer Bevölkerungsgruppen oder das Auseinanderdriften der sozialen Schere. Da gibt es kein bedeutendes Statement der Kirchen.

Der letzte wichtige Hirtenbrief der katholischen US-Bischöfe wurde in den 1980er Jahren geschrieben; es gibt da quasi so eine Art intellektuelle Ausdünnung. Das heißt, die katholische Kirche spielt in der Gesellschaft kaum noch eine Rolle; bei den Protestanten noch etwas mehr, bei ihnen ist die kirchliche Landschaft fragmentiert. Theologie spielt auch da keine große Rolle, es geht hauptsächlich um Pathos im religiösen Empfinden. Das kann letztlich für eine Gesellschaft insgesamt von nicht allzu großer Bedeutung sein.      

domradio.de: Für Staatsgründer George Washington waren  "Religion und Moral" die Grundlage allen "politischen Gedeihens" - und jahrhundertelang folgten US-Politiker diesem Prinzip. Wenn diese Rückkoppelung an "Religion und Moral" jetzt verloren geht, was für Konsequenzen wird das für die US-Gesellschaft der Zukunft nach sich ziehen? 

Schwabe: Das ist natürlich spannend zu verfolgen. Das kann man im Moment wahrscheinlich noch nicht so wirklich sehen, aber es zeichnet sich schon ab. Selbst wenn Clinton gewinnen würde und das bisherige Establishment weiter an der Macht bliebe, müssen wir uns fragen, welche gesamtgesellschaftlichen Verwerfungen und welche Narben dieser Wahlkampf hinterlassen wird, der quasi nur noch als Schlammschlacht geführt wird, in dem Inhalte quasi nur noch in Form von Lügen verhandelt werden.

Es kann natürlich sein, dass der wirtschaftlichen und sozialen Krise eine moralische Krise folgt in noch stärkerem Maße. Dass es möglicherweise zu einer zunehmenden Verrohung der Sitten im Umgang miteinander kommt. Dass auf jede Form von Anstand gepfiffen wird, insbesondere ist da der Umgang zwischen Schwarzen und Weißen, der Umgang mit den Latinos und auch der Umgang mit den Frauen, wenn wir daran denken, was Trump für ein Frauenbild transportiert, zu erwähnen. Unklar ist auch, was Trump machen wird, falls er gewinnt. Wird er das politische System aushöhlen? Wird er sich an die Regeln halten.  Wir werden sehen, welche Langzeitwirkung diese verrohten Sitten im Wahlkampf noch haben werden.

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.      


Quelle:
DR