DOMRADIO.DE: Vergangene Woche gab es Schlagzeilen über zwei rechtskonservative US-Bischöfe. Joseph Strickland aus dem kleinen Bistum Tyler in Texas, der immer wieder als scharfer Kritiker von Papst Franziskus auftritt, muss sich einer Visitation durch den Vatikan unterziehen. Und Bischof Richard Stika aus Knoxville in Tennessee ist nach Vertuschungsvorwürfen überraschend zurückgetreten. Zu der Causa Strickland: Seine Ansichten sind nichts Neues, vor ein paar Wochen hat er in Los Angeles einen Anti-LGBTQ-Protestzug angeführt. Sehr deutlich kritisiert er Papst Franziskus und die Weltsynode. Warum kommt also diese Visitation gerade jetzt?
Michael Sean Winters (Kolumnist "National Catholic Reporter" und US-Kirchenexperte): Ganz simple Antwort: Wir wissen es nicht. Apostolische Visitationen gehören zu den diskreteren Vorgängen in einer Kirche, die eh schon für ihre Diskretion bekannt ist. Wir sind uns also nicht sicher, warum das gerade jetzt geschieht.
Was ich allerdings seit Jahren immer wieder höre: Man war lange zurückhaltend, weil man Strickland nicht zum Märtyrer der rechtskonservativen Kreise machen wollte.
Was man jetzt mehr und mehr gemerkt hat, ist, dass er sein eigenes Bistum nicht im Griff hat. Es gibt eine große Unzufriedenheit unter seinen Diözesanpriestern. Wenn ein Bischof das Vertrauen seiner Priester verliert, wird es fast unmöglich, ein Bistum zu leiten. Das wurde in letzter Zeit mehr und mehr der Fall. Oder Rom hat es mehr und mitbekommen, besser gesagt.
Ich weiß nicht, in welchem Grad seine Aktivitäten im Internet eine Rolle spielen. Seine sehr meinungsstarken Äußerungen auf Twitter gegen Franziskus und die Reformen in der Kirche sind seit Jahren schon konstant. Ich weiß nicht, ob so etwas zu einer Amtsenthebung führt. Bis jetzt ist er ja auch noch im Amt, so schnell hat eine Visitation keine Konsequenzen.
DOMRADIO.DE: Er ist dabei aber ja kein Einzelfall.
Winters: Dahinter steckt eine größere Herausforderung, der sich der Vatikan stellen muss. Das Regierungssystem der katholischen Kirche ist territorial durch Bistümer, Erzbistümer, Pfarreien organisiert. In den sozialen Medien spielt das allerdings absolut keine Rolle. Strickland ist einer der bekanntesten Bischöfe Amerikas, obwohl er ein kleines Provinzbistum mit 130.000 Katholiken leitet. Tyler in Texas ist nicht unbedingt ein katholischer Hotspot, das liegt in der Mitte vom Nirgendwo.
Im Englischen haben wir eine schöne Redewendung: Strickland ist nicht unbedingt das "schärfste Messer in der Schublade." Er ist nicht unbedingt der Intelligenteste, das muss man ganz einfach so sagen.
Nun muss man nicht unbedingt ein Genie sein, um als Bischof gute Arbeit zu machen. Aber man muss schon fragen, inwieweit er seine eigene Propaganda auch glaubt. Man braucht in dieser Position eine gewisse Fähigkeit, sich selbst zu hinterfragen. Die hat er definitiv nicht.
In diesem speziellen Moment gibt es auch eine ganze Reihe von Leuten, die ihn in seinen Sichten noch befeuern. Die gab es vielleicht immer schon, aber über die sozialen Medien können die sich viel besser vernetzen.
Vor 20 Jahren wäre das so noch nicht möglich gewesen. In der Kirche gab es immer schon eine ideologische Vielfalt, in den USA, in Deutschland oder sonst wo. Das nimmt jetzt aber eine völlig neue Dimension an, eine organisierte Opposition gegen Papst und Vatikan.
DOMRADIO.DE: Warum gibt es diese Visitation ausgerechnet jetzt? Das ist ja alles nicht neu.
Winters: Vielleicht war es einfach der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Seit Jahren schon haben ihn seine Mitbrüder im Bischofsamt immer wieder angesprochen, der Nuntius auch.
Ich weiß, dass sein Metropolit, Kardinal DiNardo aus Houston sehr zögerlich, war eine Visitation anzufragen. Erzbischof Gomez aus Los Angeles, der ehemalige Vorsitzende der Bischofskonferenz, war ebenso zurückhaltend, weil so etwas Strickland eben in reaktionären Kreisen zum Märtyrer machen würde.
Jetzt haben wir einen neuen Vorsitzenden, Erzbischof Broglio. Vielleicht sieht er das jetzt anders. Aber das sind alles nur Vermutungen.
DOMRADIO.DE: Können Sie Bischof Strickland ein wenig einordnen? Welche Rolle spielt er im größeren katholischen Dialog in den USA? Wie wichtig ist er und von wem wird er ernst genommen?
Winters: Das geschieht hauptsächlich in einer kleinen Nische. Diese Nische ist allerdings sehr aktiv, sehr gut organisiert und hat eine große finanzielle Unterstützung. Zu seinen Fürsprechern zählen Internetportale wie "Church Militant" oder "LifeSiteNews", die Religion auf Fragen der Ethik und Politik reduziert haben. Das ist ihre ganze Identität, mit der sie es allerdings sehr ernst meinen.
Entstanden ist das alles aus der Opposition gegen die Abtreibungspolitik in den USA. Natürlich sollten alle Katholiken gegen Abtreibung sein, aber für diese Kreise wurde das zu einem Symbol im Kulturkampf. Von da aus ist das regelrecht eskaliert. Wer mir widerspricht, hat nicht Unrecht, sondern ist gleichzeitig ein schlechter Mensch und ich muss ihn zunichte machen. Das ist allerdings absolut nicht die Art, wie Kirche in diesem Land funktionieren sollte, und war es auch nie.
Strickland ist zum Liebling dieses kleinen, lauten Kreises geworden, der – ich will nicht schätzen – vielleicht drei bis fünf Prozent der amerikanischen Katholiken ausmacht. Sie machen sich laut bemerkbar und sind vielleicht auch etwas unberechenbar. Vieles richtet sich gegen Papst Franziskus, der nie angedeutet hat, irgendetwas an der katholischen Morallehre verändern zu wollen. Da er aber einen anderen theologischen Ansatz als seine Vorgänger wählt, werfen sie ihm Atheismus vor, sagen, er sei nicht der wahre Papst. Das ist schon ziemlich verdreht.
Aber irgendwer finanziert das ja alles. Diese Seiten haben professionelle Studios und Reporter weltweit. Es gibt auch Einrichtungen, wie das Napa Institute, mit dem verschiedene Bischöfe in Kontakt stehen, das auch sehr deutlich gegen Franziskus argumentiert.
Strickland ist also kein Einzelfall, er ist nur der extremste und öffentlichste Fall dieses doch größeren Problems in der US-Kirche. Diese Kreise haben großen Einfluss, sie kontrollieren die Bischofskonferenz. Der neue Vorsitzende Broglio hat seit Jahren deutlich gegen Papst Franziskus gesprochen und trotzdem hat ihn die Mehrheit seiner Mitbrüder gewählt.
DOMRADIO.DE: Gleichzeitig haben wir den Rücktritt von Bischof Stika in Knoxville, der gerade angenommen wurde. Offiziell ging es um Vertuschung, er gehört aber auch diesem Franziskus-kritischen Kreis der US-Kirche an. Gibt es einen Unterschied zwischen den beiden und den anderen prominenten Konservativen wie Gomez, Broglio oder Dolan?
Winters: Stika ist ein anderer Fall als Strickland. Stika hat nicht in den sozialen Medien gegen den Papst gehetzt. Da ging es wohl tatsächlich um die bistumsinternen Fragen der Amtsführung. Seine mentale Stabilität wurde zum Beispiel schon öfters in Frage gestellt. Er ist sehr autoritär. Das wäre vielleicht vor 50 Jahren normal gewesen, aber nicht mehr heute, so funktioniert das nicht mehr.
Seine Diözese Knoxville liegt in einer vorwiegend protestantischen Region. Die Probleme sind also andere. Und die Frage des Missbrauchsskandals spielt eine Rolle, das haben Sie ja erwähnt.
Wie die prominenten Bischöfe im konservativen Mainstream dazu stehen? Schwer zu sagen. Viele verlassen sich auf ihre Beraterstäbe, ähnlich wie in den konservativen Kreisen der Politik. Da entstehen regelrechte Netzwerke, die schon früh entsprechende potentielle Kandidaten an den Hochschulen identifizieren und ihnen entsprechende Türen öffnen.
Auch diese Netzwerke sind sehr gut finanziert. Meine frühere Uni, die "Catholic University of America" wurde in den letzten 15 Jahren von diesen rechten Kreisen quasi vollständig übernommen. Das finde ich sehr bedenklich, so ist es aber nun mal gekommen.
Das ist also der konservative Mainstream. Der Unterschied zu den extremeren Gruppen am Rand, wie Bischof Strickland und seinen Fans, ist, dass die mit ihrer Kritik am Papst viel lauter und deutlicher sind. Der Mainstream denkt zwar das gleiche, aber handelt oder redet nicht danach. Ein Beispiel: Die US-Bischofskonferenz hat bis jetzt noch in keiner Weise auf "Laudato si" reagiert, obwohl das Schreiben schon vor acht Jahren veröffentlicht wurde. Wenn man sich ihre Pläne und Prioritäten ansieht, merkt man überhaupt nicht, dass der Papst Franziskus heißt.
Es gibt alle vier Jahre ein Dokument zur Präsidentschaftswahl, das überhaupt nicht überarbeitet wird. Da wird jetzt noch der Textentwurf aus dem Jahr 2008 verwendet. Da wird also gar nicht auf die Lehren von Franziskus eingegangen, und noch nicht mal wirklich auf Benedikt, "Caritas in veritate" ist auch erst 2009 erschienen. Ihre Art der Opposition zeigt sich also einfach durch Ignorieren.
Die Extremen befinden sich de facto in einem Schisma. Wer weiß, was aus ihnen wird. Vielleicht werden sie einfach mit den Jahrzehnten zu einer unbedeutenden Minderheit verkümmern. Der Mainstream und die Hierarchie werden mit der Zeit Stück für Stück ausgewechselt.
In den nächsten zwei Jahren stehen um die 30 Neubesetzungen in amerikanischen Bistümern an. Darunter so wichtige Diözesen wie Cincinnati, Detroit, Houston, New York oder Boston. Wenn die mit Kandidaten besetzt werden, die mehr auf der Franziskus-Linie liegen, dann wird der Einfluss der anderen Seite mehr und mehr zurückgehen. Aber so sieht Veränderung in der Kirche eigentlich immer aus.
DOMRADIO.DE: Die extremeren Bischöfe liegen also im "de facto Schisma" mit Rom. Ist das nicht ironisch, dass genau so etwas von ihnen in Richtung Deutschland immer vorgeworfen wird?
Winters: Absolut. Zumal man auch fragen muss: Was wissen diese Kreise überhaupt wirklich über die Kirche in Deutschland? Die befassen sich nicht wirklich damit. Nochmal, hier geht es nicht um die hochgebildeten Kreise.
Wir haben letztes Jahr eine Konferenz für Bischöfe und Theologen an der Loyola-Universität in Chicago organisiert. Da haben wir uns die Opposition gegen Franziskus mal genauer angeschaut. Da wurde schnell klar, wenn man nur an der Oberfläche kratzt, dass das im Endeffekt alles noch ein anhaltender Widerstand gegen das Zweite Vatikanische Konzil ist. Es gibt noch heute Widerstand dagegen, dass die Kirche ein Teil der weltlichen Zeitgeschichte ist und wir auf die Zeichen der Zeit achten sollen. Alles natürlich durch die Brille des Glaubens.
Ich gestehe, ich finde selbst viele Sachen, die von der liberal-katholischen Seite publiziert werden, ziemlich peinlich. Aber wenigstens kann man nicht behaupten, dass dahinter nicht gute Absichten stecken. In den konservativen Kreisen will man zur ganzen Gesellschaft in Opposition gehen und sich davon loslösen. Mehr noch, man verurteilt jeden, der andere Ansichten hat, als wir. Das ist schlicht und einfach nicht hilfreich.
Natürlich gab es Zeiten, wo sich die Kirche zum Beispiel gegen den Aufstieg des Faschismus ausgesprochen hat, ohne dass es wirklich Effekt gehabt hätte. Es gibt Zeiten, wo die Kirche in die gesellschaftliche Opposition treten muss. Wenn das aber zu einer Kampagne wird, hochgradig organisiert mit Spendenkampagnen, wenn jedes Problem nur als Angriffsfläche für den Kulturkampf genutzt wird, dann ist das für die Kirche einfach nicht gesund. Dann geht es auch nicht mehr um die Botschaft Jesu.
DOMRADIO.DE: Franziskus will also mit den Ernennungen die US-Kirche reformieren. Sind Schritte wie die Visitation bei Strickland oder die Rücktrittsannahme von Stika schon ein Anzeichen, dass sich im Vatikan der Wind dreht, und man sich von so einer bedeutenden Teilkirche wie den USA nicht mehr auf der Nase rumtanzen lassen will?
Winters: Das würde ich hoffen. Seit Jahren sage ich schon: Wenn man die Ausrichtung einer Bischofskonferenz ändern will, geht das nicht von heute auf morgen. Wenn ein Schiff zu schnell den Kurs ändert, gerät es ins Kentern. Die alte Regel war: Zwei Ernennungen für sie, eine für uns. Im Moment bräuchte es vielleicht eher 20 für uns und keine für sie.
Man kann diese oppositionellen Kreise nicht weiter belohnen. Bischof Stika war ein Zögling von Kardinal Rigali (emeritierter Erzbischof von Philadelphia, Anm. d. Red.), der auch kein Fan des Papstes ist. Lange Jahre hat der im diplomatischen Corps des Vatikans gearbeitet und auch in der Bischofskongregation. Der hatte noch die alte Ansicht: Ich bin Kardinal, ihr könnt mir nicht vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe.
Dieser Ansatz funktioniert heute schlicht und einfach nicht mehr. Das ist aber immer noch ein anderer Ansatz als der dieser verrückten Kulturkämpfer aus der rechten Ecke.
Es ist aber auch nicht schwer zu sehen, dass die Opposition gegen Franziskus diese beiden Lager vereint.
DOMRADIO.DE: Wie wird Franziskus damit umgehen?
Winters: Er ist ein sehr geduldiger Mann, bis zu dem Punkt, wo er es nicht mehr ist. Er hat an sich kein Problem damit, unangenehme Entscheidungen zu treffen. Gucken Sie sich Kardinal Müller an. Einerseits hat er noch im Amt als Glaubenspräfekt Franziskus‘ Linie angegriffen, andererseits war er auch schlicht und einfach nicht in der Lage, seine Kongregation ordentlich zu organisieren und zu führen. Es gibt gewisse Posten im Vatikan, da kann man sich einfach so durchwieseln. Aber wenn man Präfekt der Glaubenskongregation ist, kann man das vergessen.
Auch gegenüber Kardinal Ouellet hat Franziskus große Geduld gezeigt. Man kann ihn also nicht als den großen Diktator sehen, wie es hier in gewissen Kreisen in Amerika gerne dargestellt wird. Wenn seine Geduld aber am Ende ist, ist sie aber definitiv am Ende.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.