DOMRADIO.DE: Sie fordern einen Strukturwandel in der Nutztierhaltung - eine große Forderung. Wie könnte das gehen? Haben Sie ein konkretes Beispiel, wo man anfangen könnte?
Prof. Dr. Steffen Augsberg (Professor für Öffentliches Recht an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Mitglied des Deutschen Ethikrates): Wir stellen uns konkret vor - und das ist auch die Argumentation der Stellungnahme - dass wir die Bedürfnisse der Tiere stärker berücksichtigen müssen. Dass wir nicht gewissermaßen vom Ende her denken im Sinne eines "das muss alles billig zu haben sein", sondern dass wir uns fragen: Unter welchen Bedingungen ist eine entsprechende Nutzungsproduktion überhaupt zumutbar für das Tier, das einen Eigenwert hat?
Und das heißt, dass wir uns unter entsprechender Inanspruchnahme verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse fragen müssen, wie denn eine dem Tier angemessene Haltung aussehe. Es ist sicherlich nicht angemessen, lange Transporte durchzuführen. Das Verfahren ist nicht nur widerrechtlich, sondern auch ein tatsächlicher Verstoß gegen eine ethische Betrachtung. Und das Kükenschreddern ist eben auch ein reines Primat des Ökonomischen.
DOMRADIO.DE: Die Corona-Krise hat noch einmal gezeigt, wie eng das Tierwohl mit dem Menschen verknüpft ist. Die Zustände in vielen Schlachthöfen sind auch für die Mitarbeiter eine Zumutung. Das wissen wir schon sehr lange. Warum haben wir es nicht längst verändert?
Augsberg: Das ist eine gute Frage, die wir uns auch gestellt haben. Vieles wird offensichtlich verdrängt. Ich glaube, intuitiv gibt es kaum jemanden, der nicht der Auffassung ist, wir müssten mit Tieren besser umgehen. Die tierquälerischen Zustände, die wir teilweise haben, werden zu Recht als problematisch erachtet. Ich kann mir das eigentlich nur so erklären, dass man versucht, es gar nicht in den Blick zu nehmen, sondern verdrängt, weil man sich damit nicht auseinandersetzen möchte.
DOMRADIO.DE: Dabei haben wir als Verbraucher ja gar nicht wenig Macht. Wir bestimmen mit, was in die Regale kommt. Warum wird uns nicht schlecht, wenn wir Fleisch von Hühnernauf dem Teller haben, die zu Lebzeiten zusammengepfercht wurden? Könnte die Lösung sein, nur noch Produkte aus artgerechter Tierhaltung zu kaufen?
Augsberg: Wir wenden uns tatsächlich dagegen, die Verbraucher einseitig in Haftung zu nehmen und zu sagen: Die müssen das alles verändern. Aber natürlich haben die Konsumenten eine hohe Marktmacht. Die Nachfrage bestimmt tatsächlich, was angeboten wird. Die Industrie, wenn man das so sagen möchte, liefert natürlich auch das, von dem sie glaubt, dass es sich entsprechend verkaufen lässt. Das sind leider - bei aller gestiegenen Sensibilität und dem Tierwohl-Gedanken zum Trotz - immer noch möglichst billiges Fleisch und möglichst billige tierische Produkte.
Da ist auch an dieser Stelle ein Umdenken erforderlich, aber eben nicht nur bei den Konsumenten, sondern auch bei den Supermärkten, den großen Handelsketten und nicht zuletzt auch in der Landwirtschaft.
DOMRADIO.DE: Und wenn diese das nicht von allein machen, dann muss eben der Gesetzgeber aktiv werden. Wie könnte denn der Gesetzgeber festschreiben, dass Nutztiere ein würdiges Leben bekommen?
Augsberg: Das Tierschutzrecht, insbesondere das deutsche Tierschutzgesetz, ist eine sehr merkwürdige Materie, weil es sehr großzügig und tierschutzfreundlich klingt, davon in der Praxis gleichwohl relativ wenig ankommt. Das hängt damit zusammen, dass in Rechtsverordnungen oder in Gutachten, die zum Teil herangezogen werden, um unbestimmte Rechtsbegriffe wie "Tierwohl" oder verhaltensgerechte Haltung zu konkretisieren, doch andere Aspekte eine Rolle spielen, als man vielleicht auf den ersten Blick vermuten würde.
"Verhaltensgerechte Haltung" hat zum Beispiel auch etwas damit zu tun, was den Bauern ökonomisch zugemutet werden kann. Dem sollte ein Riegel vorgeschoben werden, denn das ist keine sinnvolle Argumentation, wenn man mit einer tierwohlorientierten Tierhaltung ernst machen möchte.
DOMRADIO.DE: Wie optimistisch sind Sie, dass so ein Appell auch die Politiker erreicht?
Augsberg: Die Politiker müssen natürlich abwägen. Mir ist wichtig, dass man sich klarmacht, dass man Tierschutz nicht zum Nulltarif haben kann. Dass der auch Kosten produziert und auch soziale Folgen hat. Und das muss man als Politiker vertreten und in gewisser Weise natürlich auch erst einmal wollen.
Optimistisch bin ich insofern, als ich den Eindruck habe, dass das Thema langsam doch in breiteren Kreisen ins Bewusstsein gerückt ist. Dass intuitiv schon starke Vorbehalte bestehen. Wenn man sich noch stärker bewusst wird, was es eigentlich bedeutet, wenn das Hackfleisch so günstig ist, dann wird der Abstand dazu vielleicht noch stärker zu spüren sein.
Das Interview führte Hilde Regeniter.