DOMRADIO.DE: Das ist schon sehr ungewöhnlich, oder? Können Sie sich erinnern, dass der Papst das letzte Mal so emotional war?
Mario Galgano (Redakteur Radio Vatikan): Es ist schon sehr merkwürdig, muss ich sagen, und sehr ungewöhnlich, einen Papst zu sehen, der öffentlich weint, vor allen Menschen, die um ihn herum sind, die zuschauen, zuhören und mitbeten.
Ich habe das bei den Vorgängern schon erlebt, bei Benedikt XVI., beim Abschied, und vor allem auch bei Johannes Paul II., in den letzten Jahren bevor er starb. Aber in dieser Art und Weise, wie das jetzt Franziskus an der Mariensäule in Rom getan hat, das ist schon sehr ungewöhnlich.
DOMRADIO.DE: Was mag ihn denn wohl in diesem Moment so erschüttert haben? Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine erinnert Franziskus doch in fast allen seinen öffentlichen Gebeten an das leidende Volk in der Ukraine…
Galgano: Papst Franziskus hat in den vergangenen Wochen persönlich Gäste aus der Ukraine empfangen, die ihn besucht haben. Menschen, die den Krieg hautnah miterleben. Diese Lebenszeugnisse, die er persönlich gehört hat, haben ihn sicherlich auch geprägt und er hat in diesem Moment des Gebets an diese Begegnungen gedacht und vielleicht ist auch so etwas wie ein Schuldgefühl da. Vielleicht hat er das Gefühl, dass er zu wenig getan hat. Ich denke, dass das vielleicht auch noch mit eine Rolle gespielt hat.
DOMRADIO.DE: Am Mittwoch hatte Franziskus den Angriffskrieg in der Ukraine mit einer Nazi-Aktion verglichen und von einer "Vernichtungsaktion" gesprochen – auch das sind ungewöhnlich scharfe Worte: Wird Franziskus langsam ungeduldig?
Galgano: Ich würde nicht sagen, dass Papst Franziskus langsam ungeduldig wird, sondern dass er es einfach wirklich als unerträglich empfindet, was geschieht. Also ein Krieg, der schon über neun Monate dauert, an den Toren Europas, mitten in Europa. Das ist etwas Ungewöhnliches, etwas Schreckliches. Jeder Krieg ist natürlich auf der ganzen Welt schrecklich.
Aber in dieser Form, was wir jetzt hier in der Ukraine erleben, mit einer Atommacht, das ist natürlich etwas sehr Beunruhigendes. Wir wissen nicht, wie die Zukunft ausschauen wird. Und das ist etwas, was Papst Franziskus jetzt sehr beschäftigt. Weil er nicht weiß und wir alle wissen ja nicht, was jetzt noch geschehen kann an Schrecklichkeiten.
DOMRADIO.DE: Aber dass er nach Kiew reist – wie schon viele von ihm gefordert haben – steht nach wie vor nicht zur Debatte? Warum eigentlich nicht?
Galgano: Papst Franziskus hat selber gesagt, er würde erst dann in die Ukraine fahren, wenn auch mitorganisiert wird, dass er nach Moskau reisen könnte. Das heißt, es wäre eine Doppelreise nach Russland und in die Ukraine. Er wird also nicht nur ein Land besuchen, sondern beide Länder, um Zeichen zu setzen, aber vor allem, um einen konkreten Frieden zu bringen. Darum sieht es nicht so aus, dass es im Augenblick möglich ist, weil eine Moskau-Reise sehr unwahrscheinlich ist. Die Reise in die Ukraine, ich denke, wäre aus ukrainischer Sicht sehr wünschenswert. Aber ein Besuch in Moskau ist derzeit nicht möglich und wird von russischer Seite nicht gewünscht.
DOMRADIO.DE: Zu einer eindeutigen Positionierung gegen den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. – der Putins Krieg auch immer wieder verteidigt hat – kann er sich auch immer noch nicht durchringen?
Galgano: Was den ökumenischen Dialog betrifft, muss man sagen, dass mit der russisch-orthodoxen Kirche und vor allem mit Patriarch Kyrill im Augenblick Funkstille herrscht. Patriarch Kyrill verteidigt weiterhin die russische Haltung, also letztlich die Haltung Putins, und unterstützt diese sogar explizit. Papst Franziskus hingegen prangert den Krieg wirklich an, ermahnt und hofft auf Frieden und drängt dazu. Da gibt es natürlich einen großen Unterschied zwischen den beiden.
Hier einen Dialog zu finden, das ist auch eine Herausforderung. Da müssen auch die beiden schauen, wie der Dialog weitergehen kann, zwischen der russisch-orthodoxen und der katholischen Kirche.
Das Interview führte Verena Tröster.