Politiker üben sich in markigen Parolen. Währenddessen schlagen die Kommunen in Deutschland Alarm. Viele Städte und Gemeinden sehen sich kaum mehr in der Lage, Migranten und Flüchtlinge angemessen unterzubringen und erhöhen den Druck auf Bund und Länder. "Unsere Kapazitäten zur Aufnahme und Integration Schutzsuchender sind mehr als ausgelastet", sagte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, der "Welt am Sonntag".
Ähnlich formuliert es der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, in der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Es fehle an Unterkünften, aber auch an Plätzen in Schulen und Kitas. Dies führe zu einem wachsenden Unmut vor Ort. Gerade in Gebieten mit großem Wohnungsmangel sinke die Aufnahmebereitschaft.
Mehr sichere Herkunftsländer
Es gelte die Zuwanderung zu steuern und zu ordnen, lautet eine Botschaft von Sager und Landsberg. Die Bundesländer müssten etwa sicherstellen, dass Menschen ohne Bleiberechtsperspektive nicht auf die Kommunen verteilt werden, fordert Sager. Landsberg spricht sich gegenüber der Funke Mediengruppe dafür aus, die Liste der sicheren Herkunftsländer auszuweiten. "Das bedeutet Beschleunigung der Verfahren und die Möglichkeit der schnelleren Zurückweisung oder Abschiebung."
Unlängst erst hatte sich die Ampelkoalition darauf verständigt, Georgien und Moldau in diese Liste aufzunehmen. Nach dem Willen der FDP sollen die Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien hinzukommen. Aber Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) lehnt einen solchen Schritt ab.
Praxis des Weiterreisens
Vielleicht richten auch deswegen einige Liberale den Blick auf die EU. Die "Welt am Sonntag" zitierte den Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Stephan Thomae mit den Worten, es müsse alles für eine Reform des EU-Asylsystems getan werden. "Bis dahin muss sichergestellt werden, dass die Dublin-Verordnung eingehalten wird. Die Praxis von Ländern wie Italien, Flüchtlinge unregistriert nach Deutschland weiterreisen zu lassen und diese dann nicht zurückzunehmen, ist inakzeptabel."
Solche Einlassungen unterschlagen, dass die Länder an den südlichen Außengrenzen der EU – neben Italien sind das vor allem Spanien und Griechenland – für die meisten Flüchtlinge die ersten Anlaufstellen sind. Wie groß der Druck dort ist, illustrierte am Wochenende eine Einlassung des griechischen Migrationsminister Dimitrios Kairidis. In der "Bild"-Zeitung forderte er ein neues Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Man tue alles um die Grenzen zu sichern, fügte Kairidis hinzu. Aber die Türkei sei nun einmal ein "Schlüsselland für irreguläre Migration", weil es die östliche Mittelmeerroute kontrolliere.
Lage in Deutschland
Wie aber sieht die Lage in Deutschland aus? Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registrierte im laufenden Jahr bis einschließlich August 204.461 Erstanträge auf Asyl. Das bedeutete eine Zunahme um 77,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Ein Blick in die Statistik zeigt aber auch, dass die Situation von der in den Jahren 2015/16 weit entfernt ist. Damals wurden rund 442.000 beziehungsweise 722.000 Erstanträge gestellt.
Hinzu kommen die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Die "Welt am Sonntag" berichtete unter Berufung auf das Bundesinnenministerium, dass sich zum Stichtag 15. August knapp 1,1 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland aufhielten.
Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
Das alles illustriert die Herausforderungen für Städte und Gemeinden. Doch dürfe dies den Blick nicht auf Einzelschicksale verstellen, betonte unlängst der katholische Flüchtlingsbischof Stefan Heße. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mahnte der Hamburger Erzbischof zu Besonnenheit: "Wer mit geflüchteten Menschen spricht, der merkt schnell: Oft liegen sehr individuelle Schutzbedarfe vor, die eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalls unbedingt notwendig machen."
Davon unabhängig fordert auch Heße eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, "die einem besseren Flüchtlingsschutz und einer größeren Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten dient". Doch die lässt weiter auf sich warten – während Menschen aus anderen Teilen der Welt eine Perspektive in Europa suchen.