Was diese Brieffreundschaft besonders macht

Über Kontinente und Jahrzehnte hinweg

Sie war damals neun Jahre alt, da lernte Sonja Pullen auf einer Reise zwei Missionsschwestern kennen. Es entstand eine Brieffreundschaft, die über drei Jahrzehnte hielt - und noch immer Wirkung zeigt.

Autor/in:
Melanie Trimborn
Sonja Pullen liest in den Briefen ihrer Brieffreundinnen / © MT (DR)
Sonja Pullen liest in den Briefen ihrer Brieffreundinnen / © MT ( DR )

Sonja Pullen blättert durch einen großen Stapel von Papieren. Lange hatte die Kölnerin sie so nicht mehr in der Hand. Sie sind beschrieben mit einer klaren, wie auf Lineal geführten Schrift. Es sind lauter kleine Kunstwerke, die aus fast drei Jahrzehnten stammen. Zwei Missionsschwestern aus Tansania haben der Diplom-Designerin fast 30 Jahre Briefe geschrieben. Und sie hat sie aufbewahrt. 

Entstanden ist dieser Kontakt, als Sonja Pullen neun Jahre alt war. Sie war damals mit ihrer Großmutter auf dem Weg nach Israel zu einer Pilgerreise. Bei der Ankunft sah die heute 45-Jährige die beiden deutschen Ordensschwestern und war direkt fasziniert. "Sie hatten nichts von den typischen Betschwestern, die ich bis dato kannte", erklärt sie. Pullen fühlte sich von der Lebensfreude, der Handfestigkeit und dem Humor, den die beiden ausstrahlten, direkt angezogen. "Das waren für mich Powerfrauen", erinnert sie sich. "Sie strahlten ganz viel Kraft aus."

Unterschiedliche Leben

Nach einigen Gesprächen war ihnen klar, dass sie in Kontakt bleiben wollten. Sie tauschten Adressen aus. Alle drei gingen fortan ihrer Wege, Sonja Pullen in Deutschland und die Missionsschwestern in Afrika.

Doch einmal im Jahr bekam Sonja Pullen einen Brief - ein Moment großer Freude. Denn die Ordensschwestern, die in den armen und kargen Gegenden Tansanias für Bildung sorgten, Familien mit ihrem Nachwuchs und bei der harten landwirtschaftlichen Arbeit unterstützten, hatten wenig Zeit zum Schreiben. Durch die Briefe konnte Pullen für einen Moment in die Lebenswelt der Ordensschwestern eintauchen. 

Noch weniger Zeit gab es für persönliche Treffen. Alle paar Jahre waren Schwester Ottilie und Schwester Luitharda auf Heimaturlaub. Dann trafen sie sich und erzählten bei Kaffee und Kuchen. Manchmal gingen fünf Jahre ins Land. "Damit war ich immer in anderen Lebensphasen", erinnert sich Sonja Pullen. Doch dadurch gab es auch immer etwas zu erzählen.

Harte Arbeit

Erst beendete Pullen die Grundschule, dann wechselte sie auf das Gymnasium, machte eine Ausbildung zur Restauratorin. Im Umfeld sorgte die eher ungewöhnliche Berufswahl für Erstaunen und Skepsis. Sie aber ließ sich bei ihrer Entscheidung von den Briefen inspirieren und bestärken; von den Erzählungen der Schwestern, die hart anpackten. "Sie haben mich auf einen sehr emanzipierten Weg gebracht." Aber nicht nur das. Pullen sagt, sie habe über die beiden gelernt, Briefe zu schreiben. "Ich habe einfach aus meiner Welt erzählt, unbefangen, ohne zu denken: Das muss besonders interessant sein."

Mittlerweile leben die beiden Brieffreundinnen nicht mehr. Kurz vor Schwester Ottilies Tod, haben sich Sonja Pullen und sie noch einmal getroffen. Sie schenkte ihr ein Tuch, das Sonja in Ehren hält. Es ist ein Original aus Afrika. "Es ist langsam an der Zeit, dass ich etwa daraus nähe", sagt sie und streicht über den blauen Stoff mit gelben Enten. 2015 verstarb auch Schwester Luitharda.

Noch heute liest sie gerne in den Briefen. Einen Brief hat sie in ihrem Weihnachtsbackbuch liegen, er kam damals zu den Feiertagen. Diese Dokumente sind ihr wichtig. "Sie haben mich auf meinem Weg begleitet." Aus vielen Briefen habe sie einen Impuls mitgenommen. "Da war wertvoll für mich, ich habe mich bestärkt gefühlt."


Quelle:
DR