DOMRADIO.DE: Die Mongolei ist ein mehrheitlich buddhistisches Land. Wie sieht denn das religiöse Miteinander bei Ihnen aus?
Demberel Sukhbaatar (Religionswissenschaftler an der Nationalen Universität der Mongolei): Die Mongolei ist ein Land in Zentralasien. Demokratie haben wir erst seit 1990. Im Zuge der Demokratisierung hat sich auch unser Verhältnis zur Religion verändert. Religionsfreiheit ist bei uns fest in der Verfassung verankert. Deshalb hat jeder von uns die Freiheit, seine spirituelle Ausrichtung selbst zu wählen.
Seit 1990 sind auch Missionare verschiedener Religionen in unser Land gekommen und haben angefangen, Kirchen und Gemeinden aufzubauen. In unserer nationalen Volkszählung 2020 haben wir 60 Prozent Buddhisten gezählt, vier Prozent Christen. Von denen sind allerdings die meisten Protestanten.
Es gibt nur ungefähr 1.500 Katholiken in der Mongolei. Weitere vier Prozent sind Muslime, vor allem im Westen des Landes. In den letzten Jahren sind auch immer mehr neue religiöse Gemeinschaften bei uns im Land aktiv geworden, unter anderem aus Südkorea.
DOMRADIO.DE: Wie leben die verschiedenen Religionen denn zusammen? Gibt es Konflikte?
Sukhbaatar: Wir betrachten unser religiöses Miteinander ein bisschen so wie die freie Marktwirtschaft. Jeder hat die Möglichkeit, sein Angebot in den Raum zu stellen. Genauso haben alle die Möglichkeit, unter diesen Optionen das für sie passende auszuwählen. Es gibt einen freien Wettbewerb.
Es gibt aber hin und wieder Streit über einige Konfessionen und Sekten, die von sich behaupten die beste und wahre Doktrin, den wahren Weg zur Erlösung zu vertreten. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir den interreligiösen Dialog auf stabile Füße stellen, um die verschiedenen Traditionen in einen besseren Austausch zu bringen.
In unserer langen Geschichte war Religionsfreiheit schon immer eine Selbstverständlichkeit. Das geht bis zu Dschingis Khan zurück. Wir waren immer schon sehr tolerant und haben unterschiedliche religiöse Lehren respektiert. Unsere moderne Religionsfreiheit hat also eine lange Tradition.
DOMRADIO.DE: Die ersten katholischen Missionare kamen erst ab 1990 in die Mongolei. Gibt es bei den Menschen Ressentiments gegenüber der katholischen Kirche? Als Einfluss von außen?
Sukhbaatar: Es mag vielleicht überraschen, aber die römisch-katholische Kirche hat eine lange Tradition bei uns. Das geht 800 Jahre zurück, bis zum großen mongolischen Imperium. So lange gibt es nämlich diplomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl. Papst Innozenz IV. hat damals die ersten Missionare und Diplomaten zu uns geschickt. In unserer alten Hauptstadt gibt es eine ganze Reihe von Kirchen, Klöstern und Tempeln, die auf diese Zeit zurück gehen.
Die moderne katholische Mission hat in der Tat erst nach 1990 begonnen. Wie gesagt, wir sind sehr tolerant, was andere Religionen angeht. Deshalb gab es auch nie Probleme mit den katholischen Missionaren oder Einschränkungen ihrer Arbeit.
DOMRADIO.DE: Was denken denn die Mongolen über die katholische Kirche heute?
Sukhbaatar: Die Kirche hat einen sehr guten Stand, da sie trotz ihrer kleinen Größe eine wichtige Funktion in unserer Gesellschaft erfüllt. Ich rede von karitativer Arbeit, Sozialarbeit und humanitärer Hilfe. Das hat in den 1990ern angefangen. Für dieses Engagement sind wir sehr dankbar.
Nach dem Kollaps der Sowjetunion und unseres kommunistischen Regimes in der Mongolei gab es eine ganze Reihe sozialer Probleme, Arbeitslosigkeit, Drogensucht. Die römisch-katholische Kirche hat da mit ihrem Einsatz sehr gut Abhilfe geleistet.
Wir erkennen es auch sehr wohlwollend an, dass die Katholiken großen Respekt gegenüber anderen Religionen haben und ihre Sicht niemandem aufdrängen wollen. Niemand wird gedrängt, katholisch zu werden.
DOMRADIO.DE: Was denkt man über den Papst und seinen anstehenden Besuch?
Sukhbaatar: Der apostolische Besuch spielt auf verschiedenen Ebenen eine große Rolle. Unser Präsident Uchnaagiin Chürelsüch hat ihn offiziell eingeladen. Es geht also nicht nur um die religiöse Ebene, sondern auch darum, dass uns ein Staatsoberhaupt einen offiziellen Besuch abstattet. Ein Staatsbesuch zeigt großen Respekt für unser kleines Land mit drei Millionen Einwohnern.
Er ist natürlich auch das Oberhaupt von 1,3 Milliarden Katholiken weltweit. Das wird auch anerkannt. Er ist das geistliche Oberhaupt der größten christlichen Konfession. Dieser Besuch könnte historisch werden, auf politischer, spiritueller und kultureller Ebene.
Papst Franziskus wird katholische Messen bei uns im Land feiern, zu denen nicht nur Katholiken gehen, sondern auch Protestanten und andere Konfessionen oder neue geistliche Bewegungen, die auf dem Christentum basieren. Das wird die verschiedenen Christen in unserem Land näher zusammenführen.
Wichtig ist auch, dass der Papstbesuch ein Licht auf religiöse Bildung wirft. Vor 1990 hatte Religion in unserem Land keinen guten Ruf. "Opium fürs Volk", wie Karl Marx gesagt hat. Als der Besuch des Papstes angekündigt wurde, sind viele bei uns neugierig geworden, haben sich mit seinem Lebenslauf und der Bedeutung der katholischen Kirche auseinandergesetzt.
Die katholische Kirche hat großen Einfluss auf die westliche Zivilisation gehabt, in der Kunst, Gesellschaft oder Wissenschaft. Das wird vielen von uns erst jetzt bewusst.
DOMRADIO.DE: Was denken Sie, welcher Aspekt der Reise wird am wichtigsten sein?
Sukhbaatar: Der Papst hat für seinen Besuch ein interreligiöses Treffen organisiert. Es gibt acht Milliarden Menschen in einer globalisierten Welt. Mongolen leben und arbeiten mit Menschen der verschiedensten kulturellen und religiösen Hintergründe zusammen. Diese Weltsichten müssen wir nicht nur respektieren, sondern auch verstehen lernen. Deshalb spielt es so eine große Rolle, dass der Papst einen Fokus auf interreligiösen Dialog setzt.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.