DOMRADIO.DE: Das jüdische Neujahrsfest startet am Sonntag und dauert dann zwei Tage. Was genau wird an diesen Tagen passieren?
Abraham Lehrer (Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden): Das Neujahrsfest ist nicht vergleichbar mit den Silvesterfeiern, wo wir wirklich rein fröhlich in das neue Jahr hinein feiern.
Für uns Juden ist das Neujahrsfest die Gelegenheit, Rückschau zu halten auf das vergangene Jahr. Was habe ich richtig gemacht, was habe ich falsch gemacht? Und vor allen Dingen geht es darum, die Fehler, die ich begangen habe, zu bereuen und sich vorzunehmen, sie in der Zukunft nicht mehr zu wiederholen. Es ist auch das Fest, an dem über uns Juden zu Gericht gesessen- und entschieden wird, wie es mit dem einzelnen Menschen, dem einzelnen Juden weitergeht.
Wir haben danach zehn Tage der Umkehr. Und das "Gericht-Sitzen" endet dann mit Jom Kippur, mit dem Versöhnungsfest, wo das Urteil quasi über uns gesprochen- und verkündet wird. Im Buch des Lebens wird alles eingetragen. Dann ist dieser Zyklus des Bereuens und des "Versuchens-sich-zu-bessern" beendet.
DOMRADIO.DE: An Rosch Haschana werden ja vor allem besondere Speise-Sitten gepflegt. Was genau wird denn während des Festes gegessen?
Lehrer: Es wird – wie an den meisten Feiertagen im Judentum – ein Mahl zu sich genommen, das gegenüber einer normalen Mahlzeit hervorsticht, einfach weil es ein besonderer Feiertag ist. Es gibt ganz unterschiedliche Ausprägungen.
In vielen Familien wird der sogenannte "gefillte Fisch" gegessen. Das ist Karpfen, der mit einer weiteren Fischsorte gefüllt wird. Es gibt Bräuche, dass man ihn eher salzig, pfeffrig, süß oder ganz neutral zu sich nimmt oder der Fisch gekocht wird. Das hängt regional von den einzelnen Familien ab, woher sie stammen.
DOMRADIO.DE: Da sind viele Bräuche und Traditionen, die im Mittelpunkt stehen. Welche Bedeutung hat denn dieses Fest für die Juden?
Lehrer: Es ist der Beginn der Umkehr, des Nachdenkens über die Dinge, die man in der Vergangenheit falsch gemacht hat. Ein Nachdenken über die Dinge, die ich als Mensch, als Jude versuchen will, in der Zukunft besser zu machen.
DOMRADIO.DE: Es gibt viele Glückwünsche zum jüdischen Neujahrsfest. Der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki sicherte Ihnen dabei seinen Einsatz gegen zunehmenden Antisemitismus zu. Was glauben Sie, welchen Herausforderungen werden Sie sich im kommenden Jahr stellen müssen?
Lehrer: Der immer stärker offen zutage tretende Antisemitismus, das Mobbing von jüdischen Kindern und Schülern auf den Schulhöfen, ist etwas, was uns schon sehr, sehr beschäftigt.
Wir hoffen, dass wir erfolgreich mit den positiven Teilen der Gesellschaft in unserem Land erreichen werden, diese Vorkommnisse wieder einzudämmen und zu unterbinden, und dass sich jüdische Kinder und jüdische Schüler dann auf ihren Schulhöfen wieder sicher und ohne Probleme aufhalten können.
Das Interview führte Julia Reck.