Was man sich von anderen Konfessionen abschauen kann

Ökumene ist mehr als katholisch und evangelisch

Was trennt uns als Christen? Und was verbindet uns? Die Fragen beantwortet Johannes Oeldemann, der gerade zum Präsidenten der "Societas Oecumenica" ernannt wurde. Er sagt, keiner kenne die Wahrheit zu 100 Prozent.

Ökumenischer Gottesdienst / © Harald Oppitz (KNA)
Ökumenischer Gottesdienst / © Harald Oppitz ( KNA )

Himmelklar: Was ist das Ziel des ökumenischen Dialogs? Wir diskutieren ja nicht so lange, bis es wieder eine allumfassende Kirche gibt.

Dr. Johannes Oeldemann (Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik und Präsident der "Societas Oecumenica"): Bei der Ökumene geht es nicht um Fusionsverhandlungen oder darum, eine große Megakirche zu bilden. Das hat es auch eigentlich nie gegeben. Auch in den ersten Jahrhunderten war die Kirche immer vielfältig in ihren Strukturen. Es gab verschiedene Patriarchate in der alten Kirche, die miteinander in Communio – in kirchlicher Gemeinschaft – standen. Das ist oder muss das Ziel sein auch für die moderne ökumenische Bewegung.

Das Wichtigste aus meiner Sicht ist, dass wir gemeinsam Zeugnis für Jesus Christus ablegen können. Das Ziel nach außen hin ist unsere Glaubwürdigkeit. Das ist der wichtigste Auftrag der Ökumene, nicht unsere innerkirchlichen Streitigkeiten, die behindern unsere Glaubwürdigkeit eher. Deswegen wäre es wichtig, dass es uns in einer zunehmend pluralistisch werdenden Welt wieder gelingt, mit einer Stimme zu sprechen, gemeinsam zu verdeutlichen, was Glaube an Jesus Christus in heutiger Zeit heißen kann.

Himmelklar: Für wie realistisch halten Sie, dass wir das noch erleben?

Oeldemann: Momentan kann man natürlich den Eindruck gewinnen, dass vor allen Dingen die strittigen Fragen Oberhand gewinnen. Da sind wir aber, glaube ich, auch als Kirchen in gewisser Weise ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Wir leben als Kirchen ja auch in dieser Welt, selbst wenn wir nicht von dieser Welt sind. Das, was die Gläubigen in ihrem Alltag prägt, spielt natürlich dann auch mit in die kirchliche Situation hinein.

Wenn es beispielsweise innerhalb der orthodoxen Kirche gerade große Streitigkeiten gibt – ich brauche nur auf den Krieg in der Ukraine zu verweisen –, dann ist klar, dass es derzeit schwierig wird, mit einer Stimme zu sprechen. Wenn wir auf die westliche Christenheit schauen, sind es da weniger die klassischen theologischen Fragen, wie die Frage der Rechtfertigung oder auch des Verständnisses von Eucharistie und Abendmahl, wo es große Annäherungen in den vergangenen Jahrzehnten gegeben hat, sondern eher ethische Fragestellungen, wo die Wege sich trennen.

Da verlaufen die Trennlinien auch weniger zwischen den Konfessionen als innerhalb der Konfessionen. Das sehen wir bei uns in der katholischen Kirche. Das sieht man aber auch bei Anglikanern und bei verschiedenen evangelischen Kirchen, dass da die Streitfragen quer durch die Konfessionen verlaufen.

Himmelklar: Mal ganz bodenständig gefragt: Interessiert Gott überhaupt, in welchen Konfessionen wir uns bewegen? Den wird doch nur interessieren, ob wir überhaupt Glauben, Gottesdienst feiern und nach den Werten Jesu Christi leben.

Oeldemann: Es ist richtig, dass natürlich der Gottesdienst, der Lobpreis Gottes das ist, was uns prägen sollte. Aber das hat er schon seit Beginn der Kirche immer in unterschiedlichen Formen getan. Deswegen würde ich aber nicht sagen, es ist völlig egal, wie wir das machen, sondern wir sind natürlich geprägt von unseren Traditionen. Deswegen können wir auch auf die Einheit nicht zugehen und dabei alles hinter uns lassen und sagen: Jetzt vergessen wir mal, was da im 16. Jahrhundert passiert ist. Wir müssen uns schon mit den theologischen Fragen auseinandersetzen und versuchen, da eine Lösung zu finden. Und das ist ja in den letzten Jahrzehnten weitgehend auch schon geschehen.

Etwas anderes ist die Frage des gelebten Glaubens. Da fände ich es wichtig, einen Perspektivwechsel zu vollziehen und zu sagen: Lasst uns doch mal schauen, was wir an authentischem Glauben auch bei den anderen Christinnen und Christen finden und was wir davon lernen können. Auch wir als Katholiken sind nicht perfekt und es gibt vielleicht bestimmte Aspekte der Spiritualität, die wir vernachlässigt haben bei uns in der katholischen Tradition.

Wenn wir auf die reformatorischen Kirchen oder die orthodoxe Kirche schauen, dann können wir etwas wiederentdecken, was bei uns in den vergangenen Jahren verloren gegangen ist. Man spricht da in der Theologie von der „Ökumene der Gaben“, dass man also von den Gaben der anderen auch lernen kann und überlegt: Wie können wir die in unserer Tradition aufgreifen? Ich glaube, das wäre ein zukunftsweisenderer Weg als zu sagen, wir müssen jetzt jedes i-Tüpfelchen abhaken, was uns in der Vergangenheit getrennt hat, auch wenn wir diese Fragen nicht ganz außen vor lassen dürfen.

Himmelklar: Drehen wir die Frage um: Wenn sich zwei Politiker streiten, können sie einen Kompromiss finden. In Glaubensfragen kann es den nicht geben. Muss nicht jeder ökumenische Dialog hinauslaufen auf: Du hast unrecht, weil mein Glaube mir sagt, dass ich recht habe?

Oeldemann: Sie haben recht, dass unser Glaube und unsere Kirchen natürlich keine Parteien sind und es nicht um theologische Kompromisse in Glaubensfragen gehen kann beim ökumenischen Dialog. Was aber, glaube ich, wichtig ist und dabei beachtet werden muss: Meine Glaubensüberzeugung ist ja auch nur ein Versuch, das, was das „Geheimnis unseres Glaubens“ ist, wie wir in jeder Eucharistiefeier bekennen, in Worte zu fassen. Und ich glaube, der wichtigste Schritt in der Ökumene ist, sich bewusst zu machen, dass ich mit meiner Art zu glauben vielleicht auch nur einen Teil dieses Glaubensgeheimnisses erfasse und andere Teile, die bei mir ein wenig in den Hintergrund getreten sind, bei anderen wiederentdecken kann.

Von daher gehört eine gewisse Selbstrelativierung dazu, wenn ich ökumenisch offen sein will. Ich darf meine Art zu glauben und meine Art, bestimmte Dinge zu formulieren oder in der Liturgie zu praktizieren nicht absolut setzen, sondern müsste sie als einen Weg betrachten, um den Lobpreis Jesu Christi zum Ausdruck zu bringen, aber nicht als den einzigen Weg. Ich denke, da hat in der katholischen Kirche das Zweite Vatikanische Konzil wirklich einen Perspektivwechsel vollzogen, indem es von einem exklusiven Verständnis zu einem inklusiven Verständnis von Kirche und Glauben gewechselt hat. Und das ist etwas, was wir noch in unseren Herzen und auch in unseren Köpfen stark machen müssen – diesen Perspektivwechsel.

Himmelklar: Wie blicken eigentlich die anderen Konfessionen auf die Ökumene?

Oeldemann: Das ist unterschiedlich, je nachdem, auf welche Kirchen ich schaue. In den reformatorischen Kirchen, die früher sehr stark die "sola"-Prinzipien („sola scriptura", "sola fide"), also allein die Schrift, allein der Glaube, allein die Gnade usw. starkgemacht haben, gibt es inzwischen auch Diskussionen, die diese Exklusiv-Partikel in einen weiteren Kontext setzen.

Wenn ich auf die orthodoxe Kirche schaue, dann gibt es dort auch entsprechende Ansätze, vor allem bei den orthodoxen Theologen, die inzwischen seit Jahrzehnten in der Diaspora leben, die in Paris, München oder New York unterrichten und die sich auch mit diesen Fragen auseinandersetzen. Das geschieht leider noch weniger in den traditionell orthodoxen Ländern, wo manchmal eher fundamentalistische Strömungen die Oberhand gewinnen zum Leidwesen derjenigen, die auch die Orthodoxie gerne für das ökumenische Gespräch öffnen möchten.

Und wenn wir auf den evangelikal-charismatischen Bereich schauen, da ist es noch mal anders, weil da viel von den jeweiligen Führungspersönlichkeiten abhängt und wie sie sich zu anderen stellen. Da ist es also vielleicht nicht die Institution, die eine Öffnung verhindert oder befördert, sondern eher die Person, die da besonders im Mittelpunkt der Gemeinschaft steht.

Himmelklar: Also wie bei jedem kulturellen Austausch: Je mehr man mit der anderen Seite, mit anderen Standpunkten zu tun hat, umso mehr kann man sich auch selbst hinterfragen. Kann man das so sagen?

Oeldemann: Ja, dem würde ich zustimmen. Es hilft auf jeden Fall, andere Standpunkte wahrzunehmen und sich selbst zu hinterfragen. Das merke ich bei den orthodoxen Stipendiaten, die mit einem Stipendium der Bischofskonferenz für ein Jahr hierher nach Paderborn kommen. Die gehen, wenn sie ein Jahr hier bei uns gelebt haben, mit einer anderen Perspektive zurück in ihre jeweilige Kirche. Das trägt sehr viel dazu bei. Ich würde mir wünschen, dass solche Erfahrungen auch von anderen gemacht werden können, nicht nur von Theologie-Studierenden. Solche Erfahrungen sind auch wichtig auf Gemeindeebene. Da gibt es entsprechende Chancen dadurch, dass wir durch die Migration inzwischen auch viele fremdsprachige Gemeinden bei uns haben, seien es orthodoxe Gemeinden, seien es pfingstlerisch-charismatische Gemeinden aus dem asiatischen und afrikanischen Raum. Das sollte man nicht als Bedrohung unserer traditionellen kulturellen Prägung des Christentums betrachten, sondern als eine Öffnung hin zu einer Welt, in der ich die Vielfalt des Christentums entdecken kann.

Ich erhoffe mir, dass von der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen, die Anfang September in Karlsruhe und damit zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte dieses Kirchenrates in Deutschland stattfinden wird, noch mal ein neuer Impuls ausgehen wird für die Ökumene in Deutschland, dass man Ökumene nicht nur als ein Gespräch zwischen katholisch und evangelisch versteht, sondern wirklich die ganze Vielfalt des weltweiten Christentums mit in den Blick nimmt.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

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