DOMRADIO.DE: Wer hilft einem, wenn man dem Leben ein Ende setzen will? Um die Antwort auf diese Frage wird in Deutschland gerungen, seitdem das Bundesverfassungsgericht vor zwei Jahren das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt hatte. Der Bundestag soll dazu beispielsweise noch ein Beratungs- und Schutzkonzept entwickeln. Man geht davon aus, dass sich die allermeisten Menschen in größter psychischer Not befinden, wenn sie über einen Suizid nachdenken. Warum ist diese Annahme für das Beratungskonzept wichtig?
Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger (Vikar für Bioethik und Sozialpolitik, Mitglied des Bayerischen Ethikrates und Dompropst im Bistum Augsburg): Es gibt das nationale Suizidpräventionsprogramm der Bundesregierung. Das besteht aus einer professionellen Gruppe, die dieses Thema bearbeitet und feststellt, dass die allermeisten von den annähernd 10.000 pro Jahr in der Bundesrepublik vollendeten Suizide nicht einen freiheitlichen, autonomen Rahmen haben, sondern dass sie aus psychischer und sozialer Not geschehen.
Wenn man nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen frei verantwortlichen Suizid postuliert, ist es dringend notwendig, genau hinzuschauen, was die Menschen bewegt und was sie zu einer solchen Entscheidung treibt und wo eine Autonomie weniger gegeben ist als die Notwendigkeit zur Hilfe und zur Geborgenheit in einer Gesellschaft.
DOMRADIO.DE: Aber kann denn mithilfe einer Art "Sterbe-Reifeprüfung" gewährleistet werden, dass der Sterbewunsch freiwillig, ernst und auch dauerhaft ist?
Losinger: Es gibt tatsächlich von einem bekannten Münchner Journalisten diesen Begriff der "Sterbe-Reifeprüfung". Wir sagen aber, dass das nicht geht. Denn in der ganz konkreten Erfahrung unseres Lebensalltages sind Menschen etwa in Alter, in Krankheit und in Pflege immer auf einer Art schiefen Ebene. Wer hat nicht schon einmal gehört, dass ein älterer Mensch sagt: "Ich will euch doch nicht zur Last fallen"?
Dort, wo man Suizide erlebt, ist es niemals rein privat und freiheitlich. Denn es betrifft oftmals eine ganze Schule, eine Klasse oder den Lokführer. Insofern müssen wir sagen, dass eine Feststellung, dass eine Reife für einen Suizid da ist, eine Utopie ist. Wir machen andere Vorschläge, wenn es um die Begegnung mit diesem Lebensrechtsthema kommt.
DOMRADIO.DE: Wie könnte es denn weitergehen, wenn da jemand abgelehnt wird? Diesen Menschen kann man doch in der Situation nicht alleine lassen.
Losinger: Wir haben eine ganze Reihe von Menschen, bei denen ein solches Evaluierungskonzept eigentlich kaum funktionieren kann. Zum Beispiel betrifft das nicht-einwilligungsfähige Menschen aufgrund von Alter oder psychischen Erkrankungen. Es stellt sich auch die Frage, wie wir etwa mit Kindern umgehen, wenn bei denen dieser Wunsch aufkommt.
Das nationale Suizidpräventionsprogramm sagt, man müsse ganz genau die Herkunft dieses Wunsches sehen. Wir müssen erkennen, dass es eine psychologische und soziale Schieflage ist und dass nicht etwa ein strukturiertes Konzept zur Selbsttötung, sondern soziale Hilfe nötig ist.
Wenn man ganz konkrete Punkte nennen müsste, dann würde ich sagen, dass gerade in Alter, Pflege und Krankheit eine glaubwürdige Palliativversorgung wichtig ist. Und dort, wo Menschen in einem austherapierten Zustand sind, wäre das Hospiz eine glänzende Idee, alternativ zum Suizid sein Leben zu beenden.
DOMRADIO.DE: Wie dringend ist denn ein solcher Gesetzesentwurf? Unsere Verfassung garantiert ja auch den grundrechtlichen Schutz, Suizidhilfe selbst in geschäftsmäßiger Form anzubieten. Müssen wir befürchten, dass der "Markt für Sterbehilfe" auch ohne Beratungskonzept Fahrt aufnimmt?
Losinger: Der Bayerische Ethikrat hat eine Stellungnahme genau zu diesem Punkt gemacht. Er befürchtet, dass sich Institutionen in einer privaten, ökonomischen Lage des Suizids bemächtigen und regt deshalb Regulative an, die der Staat festlegt.
Es gibt allerdings ein Sondervotum dazu, das ich im Übrigen mit unterzeichnet habe. Wir sagen, wenn wir Regulative aufstellen, dann wird sich eine solche Suizidsituation zu einem Normalfall des Aus-dem-Leben-Scheidens entwickeln. Das darf Suizid nicht sein.
Ich bin für die Einbindung jedes einzelnen Menschen in dieser extrem schwierigen Lage in ein gesellschaftliches Umfeld. Ich bin für eine Begleitung und auch für die Zuwendung all der Menschen, die um einen solchen suizidwilligen Menschen herum leben.
Das Interview führte Katharina Geiger.