Weiteres Missbrauchsopfer klagt gegen Erzbistum Köln

Steht dem Erzbistum Köln eine Klagewelle ins Haus?

Nachdem das Landgericht einem früheren Messdiener 300.000 Euro zugesprochen hat, klagt ein weiteres Missbrauchsopfer auf mehr als 800.000 Euro Schmerzensgeld. Diesmal fordert die Pflegetochter des ehemaligen Klerikers U. Entschädigung.

Autor/in:
Andreas Otto
Wenn die Kirche einen Strich machen würde, müsste sie 2,5 bis 2,7 Milliarden Euro an Schmerzensgeld aufwenden, sagt der Bonner Anwalt Eberhard Luetjohann. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Wenn die Kirche einen Strich machen würde, müsste sie 2,5 bis 2,7 Milliarden Euro an Schmerzensgeld aufwenden, sagt der Bonner Anwalt Eberhard Luetjohann. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Es handelt sich um die Pflegetochter des inzwischen aus dem Klerikerstand entlassenen Priesters U., die eine Entschädigungszahlung von 830.000 Euro fordert. Das bestätigte ein Sprecher des Landgerichts Köln am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Beim Erzbistum Köln sei die Klageschrift bisher nicht eingegangen, hieß es von dort.

In einem ersten derartigen Prozess hatte das Landgericht Köln Mitte Juni entschieden, dass das Erzbistum Köln dem missbrauchten früheren Messdiener Georg Menne die bislang höchste Schmerzensgeldsumme von 300.000 Euro zahlen soll. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; die Berufungsfrist läuft laut Landgericht Ende des Monats aus. Menne hatte 725.000 Euro plus 80.000 Euro für mögliche künftige Schäden gefordert. Im System der kirchlichen Zahlungen in Anerkennung des Leids erhielt er 25.000 Euro.

Bereits zu zwölf Jahren Haft verurteilt

U. war im vergangenen Jahr in einem viel beachteten Prozess wegen mehrfachen Missbrauchs zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Er habe seine heute 56 Jahre alte Pflegetochter in den späten 70er und frühen 80er Jahren vielfach aufs Schwerste missbraucht, berichten der "Kölner Stadt-Anzeiger" und der WDR. Eine ihr nach eigenen Angaben nicht bewusste Schwangerschaft sei durch einen gynäkologischen Eingriff beendet worden, dessen Ziel U. und der Frauenarzt ihr verheimlicht hätten. Bei der zweiten Schwangerschaft habe sie sich selbst für einen Abbruch entschieden. In Anerkennung ihres Leids habe sie bisher von der Kirche 70.000 Euro bekommen, so der WDR. Neben den 830.000 Euro Schmerzensgeld verlange sie zusätzlich 20.000 Euro für weitere Kosten wie Therapien.

Der Bonner Anwalt Eberhard Luetjohann, der für Menne tätig ist, vertritt auch die Pflegetochter. Im "Stadt-Anzeiger" bekundete er die Erwartung, dass das Erzbistum wie bei Menne auch in diesem Fall auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Sonst wäre "der Marianengraben der Unmoral erreicht". Zudem sagte er der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" (Donnerstag), dass ein Gericht feststellen könne, dass die Kirche rechtsmissbräuchlich gehandelt habe und die Verjährung gar nicht greife. Rechtsmissbrauch liege dann vor, wenn ein Beklagter aktiv Dinge getan habe, um einen Schmerzensgeldanspruch zu vereiteln.

"Und tatsächlich hat die Kirche all die Jahre Akten in ihren Giftschränken verschwinden lassen. Sie haben den Opfern sogar mit der Hölle gedroht", so Luetjohann.

250 Menschen suchten Rat und Unterstützung

Weiter teilte der Anwalt mit, dass er und seine beiden Kollegen Stephan Jäger und Hans-Walter Wegmann mit weiteren Fällen befasst seien - vornehmlich aus dem Erzbistum Köln, aber auch aus den Bistümern Essen und Trier. Bei ihnen hätten sich rund 250 Menschen gemeldet, die wegen Missbrauchs durch Priester juristischen Rat und Unterstützung suchten. Eigentlich wollten sie aber nicht vor Gericht ziehen.

"Es wäre gut, wenn die einzelnen Bischöfe sich noch dieses Jahr mit den Betroffenen und uns an einen Tisch setzen", so Luetjohann. Andernfalls drohte er an: "Dann zwingen wir die Bischöfe eben in die Knie." Dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki warf er vor, dass dieser nach dem Urteil gegen U. überhaupt nicht auf sein Angebot reagiert habe, sich außergerichtlich zu einigen.

Unter Berufung auf amerikanische Fachleute, die ihren Computer für eine Modellrechnung mit Daten über Missbrauchsfälle in Deutschland gefüttert hätten, sagte Luetjohann: "Wenn die Kirche einen Strich machen würde, müsste sie 2,5 bis 2,7 Milliarden Euro an Schmerzensgeld aufwenden." Wenn die Bischöfe aber auf Verjährung pochten, könnte der Verlust laut dieser Modellrechnung auf bis zu 25 Milliarden Euro steigen.

Moralischer Bankrott

"Die Kirchensteuern würden noch mehr einbrechen, es gäbe weniger Spenden und Erbschaften. Immer weniger Firmen und Banken würden mit der Kirche Geschäfte machen wollen", prognostizierte der Anwalt. "Die Kirche kann nicht bankrottgehen, aber sie kann sich moralisch ruinieren."

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, nannte es wichtig, dass Gerichte systematisch die Frage der institutionellen Verantwortung in Fällen sexualisierter Gewalt klärten. Dies stärke über den jeweiligen Einzelfall hinaus Betroffenenrechte insgesamt, sagte sie der KNA. Claus zeigte sich überzeugt, dass auf Basis der zivilrechtlichen Verfahren die freiwilligen Zahlungen der Kirche für Missbrauchsopfer anzupassen seien.

Erzbistum Köln muss 300.000 Euro an Missbrauchsopfer zahlen

Das Erzbistum Köln muss 300.000 Euro Schadensersatz an einen Missbrauchsbetroffenen zahlen. Das entschied das Landgericht Köln.

Der Betroffene hatte 725.000 Euro Schmerzensgeld sowie 80.000 Euro für mögliche künftige Schäden verlangt. Er hatte bereits 25.000 Euro von der Diözese in Anerkennung seines Leids erhalten. Bei einem ersten Verhandlungstermin Anfang Dezember hatte Richter Stephan Singbartl einen Vergleich vorgeschlagen. Es kam jedoch nicht zu einer Einigung. Der Prozess könnte Vorbildcharakter für weitere Schmerzensgeldklagen gegen die katholische Kirche haben.

Richterhammer mit Rosenkranz / © Jiri Hera (shutterstock)
Richterhammer mit Rosenkranz / © Jiri Hera ( shutterstock )
Quelle:
KNA