Welche Konsequenzen zieht Essens Bischof Overbeck?

"Gesamtverantwortung liegt beim Bischof"

Nach Angaben des Ruhrbistums wurden bislang 423 Fälle von sexuellem Missbrauch vor allem durch Priester und Ordensleute gemeldet. Rücktrittsforderungen an Bischof Overbeck werden laut. Was sagt der zu den neuen Ergebnissen?

Bischof Franz-Josef Overbeck / © Andre Zelck (KNA)
Bischof Franz-Josef Overbeck / © Andre Zelck ( KNA )

DOMRADIO.DE: Denken Sie nach der Vorstellung der Studie zur "Wissenschaftlichen Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Essen von 1958 bis heute" anders über das Thema, als Sie es vorher gemacht haben?

Bischof Franz-Josef Overbeck (Bischof von Essen): Mir ist schon bei der Lektüre in der letzten Woche, als ich die Studie zur Verfügung gestellt bekam, deutlich geworden, dass nach der viel zu langen Täter-Orientierung nun im Blick auf sexuelle Gewalt, vor allen Dingen an Minderjährigen, einzig die Opfer, die Betroffenen, in die Mitte gestellt werden.

Da werden wir noch eine Menge lernen müssen, wie wir sie zu begleiten haben, was wir tun können, um ihnen möglicherweise im Sinne von Entschädigung finanziell zu helfen, weil sie nachweislich unfähig sind, nach erlittenem Missbrauch zu arbeiten.

Kirchenrechtler erwartet nach Studie Rücktritt von Overbeck

Der Essener katholische Bischof Franz-Josef Overbeck muss nach Ansicht des Kirchenrechtlers Norbert Lüdecke persönliche Konsequenzen aus einer Missbrauchsstudie ziehen. "Einer muss doch mal sagen, dass er einer der Köpfe in diesem System ist - und selbigen dann hinhalten», sagte der Bonner Theologe der "Neuen Osnabrücker Zeitung" nach Vorstellung der Untersuchung am Dienstag.

Norbert Lüdecke / © Harald Oppitz (KNA)
Norbert Lüdecke / © Harald Oppitz ( KNA )

Es wird noch darum gehen, ihnen therapeutische und andere soziale Hilfen angedeihen zu lassen.

Mir ist an dritter Stelle auch noch mal deutlicher geworden als bisher, dass die sogenannten irritierten Systeme auch diejenigen waren, in denen Missbrauch geschah und in denen die Täter oft weiterhin lange leben konnten, aber auch eben die Betroffenen.

Das Gift dieser Form von Missbrauch und Betroffenheit hat viele sehr lange beschäftigt. Das ist in diesen Tagen noch einmal allen Verantwortlichen unseres Bistums Essen zusammen mit mir deutlich geworden.

Das heißt, wir haben noch einen großen neuen Auftrag, genau da soweit wie möglich begleitend und vielleicht auch etwas heilend tätig zu werden.

DOMRADIO.DE: Interessant an diesem Ansatz ist auch, dass man bis in die Gemeinden hineingeht. Was können Sie vom Bistum tun, dass sich in den Gemeinden etwas verändert?

Overbeck: Das bedeutet, sie mutig zu machen und offen mit uns und mit vielen anderen untereinander zu reden, weil das auch viele Verletzungsgeschichten sind, die untereinander entstanden sind, aber auch viele Verletzungsgeschichten mit der Diözese.

Es bedeutet dann auch, mit viel Verantwortung die Personalarbeit immer wieder zu professionalisieren. Da haben wir schon einen wichtigen Schritt in diesen Wochen und Monaten getan.

Es wird auch noch bedeuten, viele Fragen zu beantworten, die uns die Studie auch gestellt hat: Was heißt das für eure Arbeit mit der Intervention, mit der Prävention, mit der Begleitung der Betroffenen, aber auch für die Priesterbildung und die Priesterausbildung?

Hier ist ein riesiges Feld. Viele dieser Aufgaben können wir nicht als Bistum alleine lösen und auf den Weg bringen. Wir werden es mit den entsprechenden Partnerbistümern oder unseren Bistümern in der Nachbarschaft tun.

Bischof Franz-Josef Overbeck

"Lege ich Wert darauf, dass die Gesamtverantwortung dann beim Bischof liegt und entsprechend auch gehandelt wird - und ich auch selber weiß, was ich zu tun und zu lassen habe."

DOMRADIO.DE: Der Ruf nach personellen Konsequenzen ist groß in der Gesellschaft. Sie haben heute auch gesagt, Sie werden niemanden an die Wand stellen, niemanden persönlich rausziehen, weil das auch gar nicht das Ziel des Ganzen sei. Der soziologische Ansatz sei ein anderer. Aber können Sie denn den Frust in der Gesellschaft bei denen verstehen, wo das Signal ankommt: Im Endeffekt ändert sich doch nichts?

Overbeck: Es ändert sich so viel, das kann man im Bistum Essen Schritt für Schritt in den letzten über 13 Jahren, in denen ich die Verantwortung trage, sehen. Der Beginn meines Amtes als Bischof von Essen war fast zeitgleich mit dem Auftreten der ersten Missbrauchsfälle 2010. Es wird deutlich, dass wir sowohl das gesamte System anschauen und natürlich auch wissen, wer die jeweilige Verantwortung zu tragen hat.

Aber die gehört eben in ein Gesamtes mit anderen. Und darauf lege ich Wert, dass die Gesamtverantwortung dann beim Bischof liegt und entsprechend auch gehandelt wird und ich auch selber weiß, was ich zu tun und zu lassen habe.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Bistum Essen

Das Bistum Essen ist eines der jüngsten und kleinsten unter den 27 römisch-katholischen Bistümern in Deutschland. Auch in Nordrhein-Westfalen ist es mit 1.877 Quadratkilometern und knapp 680.000 Mitgliedern das kleinste Bistum.

Es wurde am 1. Januar 1958 aus Teilen der (Erz-)Bistümer Köln, Münster und Paderborn errichtet; damals zählte die Diözese noch rund 1,5 Millionen Mitglieder.

Blick auf den Essener Dom / © frantic00 (shutterstock)
Quelle:
DR