Das Johannesevangelium ist bekannt für seine genauen Detailangaben. Das trifft auch für die Erzählung von der Entdeckung des leeren Grabes am Ostermorgen zu. Johannes berichtet interessanterweise sogar von einem Wettlauf zwischen dem Apostel Petrus und einem weiteren Apostel. Letzterer kommt zuerst an das Grab, überlässt Petrus aber dann den Vortritt:
"Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle." (Johannes 20,6+7)
Was passierte mit der Entdeckung des Ostermorgens?
Man fragt sich bei dieser Angabe: Was mögen die Jünger mit den Tüchern im Grab gemacht haben? Haben sie die Tücher dort liegen lassen, zumal ein Textil, das mit einem Toten in Kontakt gekommen war, für Juden als unrein galt. Oder haben die Jünger die Tücher mitgenommen? Unter den unzähligen Reliquien, die in der Kirche verehrt werden, gibt es jedenfalls Tücher, die denen aus dem Bericht vom leeren Grab zugeordnet werden.
Allen voran ist da das Grabtuch von Turin zu nennen, das seit über 300 Jahren im Turiner Dom aufbewahrt wird. Es handelt sich dabei um das mittlerweile meisterforschte Gewebe der Welt. Vor allem weil auf diesem Tuch ein Abdruck zu erkennen ist. Als 1898 das erste Foto des Grabtuchs gemacht wurde, sorgte das dazugehörige Foto-Negativ für Aufsehen. Durch die Umkehrung der Hell-Dunkel-Werte wurde der Abdruck deutlicher. Auf einmal war das Gesicht des Mannes erkennbar. Es gleicht den traditionellen Darstellungen von Jesus Christus, mit Bart und langen Haaren.
Der Mann im Tuch wurde mit Dornenkrone gekreuzigt
Das Negativ machte weitere Details sichtbar: Dieser Mensch ist auf die Art und Weise gekreuzigt worden, wie die Evangelien es über Jesus von Nazareth berichten. Nagelwunden an den Händen und Füßen, eine große Seitenwunde im Bereich des Brustkorbes. Ein Kranz von kleinen Einstichen im Bereich zwischen Stirn und Hinterkopf, die auf eine Dornenkrone hinweisen, dazu unzählige Spuren von Geißelhieben am ganzen Körper.
Auch wenn die Wissenschaft bisher keine schlüssige Erklärung dafür finden konnte, wie der Abdruck entstanden ist: Die Indizien könnten durchaus dafür sprechen, dass es sich beim Grabtuch von Turin um das Leinen handelt, in dem Jesus nach seiner Kreuzigung bestattet wurde. Interessant ist da auch die Feststellung der Forscher, dass keinerlei Spuren einer Verwesung im Tuch gefunden wurden.
Radiocarbontest von 1988 wird angezweifelt
Eine klare Sprache dagegen schien der sogenannte Radiocarbontest zu sprechen. Mithilfe dieser in der Archäologie üblichen Methode wurde im Jahr 1988 das Grabtuch in das 13. bis 14. Jahrhundert datiert und damit als vermeintliche Fälschung aus Europa deklariert. Die Kirche erkannte das Ergebnis damals an, doch Wissenschaftler, die sich mit dem Tuch beschäftigen, zweifeln das Testergebnis bis heute an. Zumal sich mittlerweile auch Pollen von Pflanzenarten aus dem Nahen Osten auf dem Tuch feststellen ließen. Der Historiker und Grabtuchforscher Karlheinz Dietz kehrt die Beweislast darum um:
"Wer eine mittelalterliche Entstehung vertritt, muss beantworten, was es war. Denn dann müsste im Mittelalter ein dem Christusbild der Kirchengeschichte bis ins Detail ähnelnder Mann die Passion Christi erlitten haben. Er wäre dann in einem reinen Leinen bestattet und vor dem Eintritt wieder daraus entfernt worden. Dabei müsste durch eine uns nicht nachvollziehbare Manipulation dieses Bildes enstanden sein. Ich halte dieses Szenario für abwegiger als die Annahme, dass eine uns gut bekannte Kreuzigung aus der Antike auch durch ein Tuch überliefert worden ist."
Man wüsste dann, wie Jesus von Nazareth ausgesehen hat
Dennoch: einen eindeutigen Beweis, ob es wirklich Jesus von Nazareth war, dessen Leichnam in diesem Tuch bestattet wurde und den Abdruck hinterließ, wird es natürlich niemals geben können. Und erst recht wird das Tuch eine mögliche Auferstehung weder beweisen noch widerlegen können, auch wenn Vertreter beider Auffassungen dies in der Vergangenheit gerne anhand des Tuches getan hätten. Doch alleine die Vorstellung, es könnte sich um das authentische Grabtuch Jesu handeln, hätte zumindest für gläubige Christen ergreifende Konsequenzen. Es gäbe einen gut erkennbaren Eindruck davon, wie Jesus von Nazareth tatsächlich ausgesehen hat.