Brautmoden haben in der Pandemie ihre Existenzgrundlage verloren

Wenn der Traum in Weiß zerplatzt

Mit dem perfekten Kleid vor den Traualtar treten – das ist die Sehnsucht vieler Frauen, die ihre Hochzeit planen. Doch Covid-19 hat viele Branchen in den Ruin getrieben, darunter auch den Textilsektor. Besonders trifft das kleine Brautboutiquen.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
"Bin das ich?", lautet bei der Suche nach dem passenden Traumkleid eine oft gestellte Frage.  / © Beatrice Tomasetti (DR)
"Bin das ich?", lautet bei der Suche nach dem passenden Traumkleid eine oft gestellte Frage. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Von schnörkelloser Eleganz bis zum detailreich verzierten Designer-Modell – bei "Audrey Wedding Salon" in der Kölner Bürgerstraße schlägt beim Anblick dicht aneinander gereihter Hochzeitsroben jedes Frauenherz höher. Hier kann man eintauchen in eine Welt von floralen Spitzen, glänzendem Satin und klassischer Seide, von hochgeschlossenen Korsagen und tiefen Rückendekolletees. Kurzum: in ein Paradies betörender Romantik.

Das mag auch an den märchenhaften Beinamen liegen: Die "Prinzessinnenkleider" à la Sissy sind ab der Taille – mit Reifrock – besonders voluminös, die sogenannten Elfenkleider dagegen wie ein leichtes Sommerkleid zu tragen und aus "soft fließendem" Material eher mädchenhaft schlicht. Die "A-Linie" wiederum kommt einer weniger figurbetonten Vorliebe entgegen, und voll im Trend liegt der Bohémian-Style, eine Art Hippie-Kleid mit Vintage-Flair. Auch Accessoires wie Schleier, Schuhe, Schnallen und Schleifen stehen zur Auswahl. Wer in diesem schmucken Laden einkehrt, der lebt seinen Traum vom sprichwörtlich "schönsten Tag im Leben". Unabhängig von Kilos, Alter und Portemonnaie.

Dass der Kauf eines Brautkleides so oder so ein Statement ist, viel mit Emotionen zu tun hat und im Leben einer Frau eine entscheidende Rolle spielt, weiß aus langjähriger Erfahrung Shen Qiu, die Besitzerin der Boutique, nur wenige Schritte vom Rathaus entfernt gelegen. Und damit unweit von der Location, wo die große Reise ins Glück mit der gemeinsamen Unterschrift meist startet – und in Corona-Zeiten leider oft auch endet.

Denn Hunderte heiratswilliger Paare haben im letzten Jahr – wenn überhaupt – nur standesamtlich geheiratet und wegen der vielen Kontaktbeschränkungen und Hygienevorschriften die aufwendige kirchliche Feier mit großer Festgesellschaft verschoben. In dem Glauben, ein Jahr später würde es mit dem Corona-Spuk vorbei und alles so wie früher sein. Der Evangelische Kirchenverband Köln und Region jedenfalls verzeichnet bei den Eheschließungen einen Rückgang von 80 Prozent. Das Erzbistum Köln erhebt seine Statistik erst zum Sommer. Doch vermutlich gibt es dort pandemiebedingt einen vergleichbaren Einbruch beim kirchlichen Ja-Wort.

Online-Verkauf von Brautkleidern keine Option

Shen Qiu hat das Hoffen und Bangen manch einer Braut bis zum allerletzten Moment hautnah mitbekommen. Denn zwischen Tüll und Tränen haben 2020 viele ihren Traum in Weiß zerplatzen sehen und nach der ersten Enttäuschung auf einen neuen Anlauf gesetzt. Nun erlebt die gebürtige Chinesin bereits zum zweiten Mal, dass mit dem beginnenden Frühling wieder ein großes Fragezeichen über mancher Hochzeitsplanung schwebt. Und das hatte weiß Gott vor einem Jahr niemand auf der Agenda. Tatsache ist, dass auch 2021 unbeschwertes Feiern in den beliebtesten Honeymoon-Monaten wieder in den Sternen steht und womöglich die weltweite Pandemie auch die kommende Hochzeitssaison lahmlegt.

Für die studierte Diplom-Kauffrau aus Köln, die zunächst einige Jahre bei einer Kapitalanlagegesellschaft im Risikomanagement gearbeitet hat und sich nach ihrem bewussten Ausstieg aus der Finanzbranche mit der Eröffnung ihres Brautmoden-Geschäftes einen Lebenstraum erfüllt hat, ist Corona der Super-Gau, wie die 40-Jährige erklärt. Viele Monate musste sie ihre Boutique geschlossen halten. Online-Verkauf war keine Option. Denn Beratung und Anprobe, damit auch jede Kundin ihr perfektes Kleid findet, seien ein sehr komplexer, aber auch intimer Vorgang und bedürfe nun mal der persönlichen Betreuung, erklärt sie.

"Dazu gehört, dass die Frauen ein Kleid auch anfassen wollen, sich lange im Spiegel betrachten und auch Rat einholen. Was an einer Puppe gut aussieht, muss noch lange nicht für einen selbst das Richtige sein." Außerdem gehe es obendrein auch um das Gesamtpaket. Und das habe für Bräute oft Eventcharakter, ergänzt Mitarbeiterin Ariane Berthold. "Meist mit der besten Freundin unterm Arm, viel Gekichere und einem Glas Sekt zwischen den einzelnen Anproben".

Einbußen schlagen dramatisch zu Buche

Dass mitunter die ganze Liebesgeschichte, die sich hinter einem solchen Kauf verbirgt, erzählt werde, sei ebenfalls oft Teil dieses besonderen Shoppingerlebnisses. Alles in allem könne eine Brautkleidwahl also schon mal locker ein paar Stunden dauern. Berthold, die sonst als Eventmanagerin im Schokoladenmuseum arbeitet, wochenlang coronabedingt aber ohne Beschäftigung war, betont: "Wer hier sein Brautkleid sucht, soll sich von Anfang an wohlfühlen. Dafür sind wir da. Jeder soll das Modell bei uns finden, das zu ihm passt und seinem Typ schmeichelt."

Die 26-Jährige ist eine von drei Teilzeitkräften, die Shen Qiu beschäftigt und die sie während des Lockdowns weiter bezahlt hat, obwohl der Laden geschlossen bleiben musste. Im Team sorgten sie dafür, dass das Geschäft telefonisch erreichbar war. "Wir machen jetzt schon Termine für die Zeit nach dem Lockdown und hoffen, dass irgendwann der Verkauf dann auch allmählich wieder anläuft." Trotzdem macht sich die Brautmodenbesitzerin keine Illusionen darüber, dass die Öffnung des Einzelhandels ihre finanziellen Probleme schlagartig lösen könnte. Im Gegenteil: Schon jetzt ist absehbar, dass  sich die Brautmoden-Branche von den Folgen der Corona-Pandemie so schnell nicht – wenn überhaupt – erholen wird, weil die Einbußen dramatisch zu Buche schlagen.

Beratung soll jeder Braut bei der Traumkleid-Suche helfen

"Konsequenterweise müsste ich schließen, weil die eigentliche Saison, in der Brautmoden für Frühling und Sommer gekauft werden, im letzten Winter so gut wie nicht stattgefunden hat. Das sind in der Summe bis zu 150 Hochzeitskleider, die normalerweise über die Ladentheke gehen, von denen die meisten aber nun hängen geblieben sind oder gar nicht erst in der passenden Größe bestellt wurden – mangels Kundschaft." Und auch das Frühjahrsgeschäft sei bislang der Pandemie zum Opfer gefallen; aktuelle Bestellungen gebe es daher keine. "Eine ganze Branche liegt brach."

Die meisten Modelle fast aller weltweiten Marken, die in Deutschland verkauft werden, so Qiu, würden in ihrer Heimat auf Bestellung hergestellt, wo Nähen als eine traditionelle Handwerkskunst gelte. "Das ist in China ein höchst anerkannter Beruf und zudem ein eigener Wirtschaftszweig. Und da wir in Köln vor allem die gängigen Größen vorhalten, aber nicht jede Braut auch eine Idealfigur hat, wird jedes Kleid in der benötigten Größe individuell angefertigt und von Asien herübergeschickt."

Fast 400 verschiedene Modelle hängen in Qius Geschäft und Lager: für durchschnittlich 1300 Euro. Aber auch Sonderangebote gibt es und für exquisite Vorlieben selbst das Haute Couture-Kleid in höheren Preisklassen. "Manche Bräute setzen auf einmaligen Chic mit entwaffnender Raffinesse, andere auf Nachhaltigkeit ohne viel Chichi und eine mögliche Wiederverwendbarkeit. Unsere Beratung soll helfen, für jede Braut ihr Traumkleid zu finden", betont die Modeberaterin, die bei ihren Mitarbeiterinnen für ihren "Scanner-Blick" bekannt ist und mit viel Menschenkenntnis und Empathie in ein Kundengespräch geht.

Durch Pandemie Verlust von mindestens zwei Jahren

Dabei ist sie alles andere als eine knallharte Geschäftsfrau. Vielmehr hat sie sich vor Jahren aus purem Idealismus für den beruflichen Wechsel in die Brautmoden-Branche entschieden. "Den ersten Kick habe ich bekommen, als ich zehn Jahre alt war und einem Mädchen in einem unvorstellbar schönen Kleid begegnet bin, wie es sie in meiner Kindheit in China kaum gab. Unter dem kommunistischen System der 1980er Jahre herrschte Materialknappheit, alles war rationiert. Da war ein solches Kleid purer Luxus. Aber die Erinnerung daran hat mich nie mehr losgelassen. Bis heute ist mir daher wichtig, dass sich jede Frau zu ihrem großen Tag ihr Traumkleid leisten können sollte – zur Not eben aus unserem Outlet."

Wenn ihr Mann sie nicht finanziell absichern würde, wäre sie nur schwer durch die Krise gekommen, stellt Shen Qiu fest. Der Textileinzelhandel – zumal im Kleinen – sei schon zu normalen Bedingungen eine Mischkalkulation und im Moment erst recht ein Subventionsgeschäft. "Nach dem Lockdown so zu tun, als kehrten wir zu einer Normalität zurück, macht wirtschaftlich überhaupt keinen Sinn", weiß die Finanzexpertin. Hinzu komme, dass sie neue Modelle immer in der Zeit zwischen April und Juni ordere, die meisten Kleider der Vorsaison aber ja noch nicht abverkauft seien und sich dementsprechend die Lagerbestände vergrößerten, die dann wiederum zu reduzierten Preisen ins Outlet gingen, so Qiu.

"Ich habe extra schon weniger Musterkleider als sonst bestellt. Trotzdem rechnet sich das alles vorn und hinten nicht. Unterm Strich beklage ich einen Verlust von mindestens zwei Jahren, von dem ich noch nicht annähernd weiß, wie ich ihn aufholen soll. Und wie mir geht es zurzeit vielen."

Shen Qiu: Noch will ich nicht aufgeben

Ohnehin sei das Geschäft mit Hochzeitskleidern eher rückläufig. "Den großen Auftritt planen die meisten Paare immer noch für die Kirche oder zunehmend auch bei einer freien Trauung." Aber in Zeiten, in denen die religiöse Bindung merklich nachlasse, reduzierten sich automatisch – auch unabhängig von Corona – die kirchlichen Eheschließungen und damit die Anlässe, zu denen sich "frau" in Schale schmeiße.

Was übrigens typisch deutsch sei. "Manche Frauen fühlen sich in einem aufwendigen Brautkleid regelrecht verkleidet; auch im Mittelpunkt zu stehen, ist noch lange nicht jedermanns Sache“, beobachtet Shen Qiu, die das aus ihrer Kultur anders kennt. "Daher muss eine Beratung sehr sensibel erfolgen. Das Wichtigste ist das Gefühl in einem Kleid. Und das muss stimmen, sonst haben wir keinen guten Job gemacht."

Bei dieser Einschätzung leitet sie die Motivation, anderen Frauen etwas Gutes tun zu wollen. "Ich mache heute das Gegenteil von dem, was ich einmal studiert und gelernt habe. Das war damals eine intuitive Entscheidung. Und noch will ich nicht aufgeben, so schwer es auch ist, sich über Wasser zu halten. Ich möchte weiterhin mit glücklichen Menschen zu tun haben und – wenn möglich – sie noch ein ganzes Stück glücklicher machen."


Ein Brautkleid ist für jede Frau ein hochemotionales Thema. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ein Brautkleid ist für jede Frau ein hochemotionales Thema. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Für jedes Portemonnaie ist im "Audrey Wedding Salon" etwas dabei.  / © Beatrice Tomasetti (DR)
Für jedes Portemonnaie ist im "Audrey Wedding Salon" etwas dabei. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Kleider aus Spitze liegen seit Jahren im Trend. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Kleider aus Spitze liegen seit Jahren im Trend. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Shen Qiu geht bei einer Beratung sensibel und empathisch vor. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Shen Qiu geht bei einer Beratung sensibel und empathisch vor. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Blumenkränze, Gürtel und Schleifen sind begehrte Accessoires.  / © Beatrice Tomasetti (DR)
Blumenkränze, Gürtel und Schleifen sind begehrte Accessoires. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Neben Sonderangeboten gibt es auch hochpreisige Haut-Couture-Modelle bei "Audrey Wedding". / © Beatrice Tomasetti (DR)
Neben Sonderangeboten gibt es auch hochpreisige Haut-Couture-Modelle bei "Audrey Wedding". / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Lagerbestände von Shen Qiu haben sich während des Lockdowns vergrößert. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Lagerbestände von Shen Qiu haben sich während des Lockdowns vergrößert. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Eine glückliche Braut auf der Domplatte. / © Lichtecht Fotografie (privat)
Eine glückliche Braut auf der Domplatte. / © Lichtecht Fotografie ( privat )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema