Theologe und Historiker Moll mahnt zum 75.Geburtstag

Werden Christen zur Minderheit in Westeuropa?

Er ist Historiker und Herausgeber des Martyrologiums "Zeugen für Christus". Am Dienstag wird der Theologe Helmut Moll 75 Jahre alt. An Ruhestand denkt er noch lange nicht und warnt im Interview vor wachsender Christenverfolgung in Westeuropa.

Wachsende Christenverfolgung auch in Westeuropa? / © Katharina Ebel (KNA)
Wachsende Christenverfolgung auch in Westeuropa? / © Katharina Ebel ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wären Sie Finanzbeamter geworden, wären Sie seit zehn Jahren im Ruhestand. Aber das ist für Sie gerade keine Option, oder?

Prälat Prof. Dr. Helmut Moll (Katholischer Theologe, Historiker und Herausgeber des Martyrologiums "Zeugen für Christus" mit Lebensbildern von rund 1.000 deutschen und deutschstämmigen Märtyrern): Mein Bruder ist Finanzbeamter geworden und mit 65 in den Ruhestand getreten. Das deutsche Martyrologium des zwanzigsten Jahrhunderts ist zeitlich nicht begrenzt worden. Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Jesuitenpater Dr. Hans Langendörfer, hat mir schriftlich bestätigt, dass die Arbeit am Martyrologium weitergehen kann.

DOMRADIO.DE: Und das ist für Sie in Ordnung so? Das machen Sie gerne?

Moll: Ich tue es gerne, sogar mit wachsendem Eifer. Ich spüre, dass in der gegenwärtigen Situation der Kirche und der Gesellschaft diese Personen immer wichtiger werden, weil sie Zeugnis gegeben haben und wirklich Vorbilder für heute sind.

DOMRADIO.DE: Sie haben bei Professor Joseph Ratzinger Theologie studiert und gehören zum Ratzinger-Schülerkreis dazu. Der heute emeritierte Papst galt in den 1960er Jahren als fortschrittlich, beispielsweise in Bezug auf die Versöhnung mit der Wissenschaft und die mutige Interpretation von Dogmen. Sie sind ihm dann nach Rom gefolgt und haben von dort den Fall des Eisernen Vorhangs beobachtet. War das für Sie eine Befreiung?

Moll: Wer im Vatikan lebt, für den ist die Weltkirche immer vor Augen. Man schaut natürlich auch - weil man Deutscher ist - nach Deutschland und sieht mit großer Freude, dass der Eiserne Vorhang zerbrochen ist.

Aber wir haben immer gesehen, dass wir solche Ereignisse in einen größeren Zusammenhang stellen. Nämlich in den Zusammenhang, dass Papst Johannes Paul II. schon den Kommunismus in Polen entlarvt hat. Es wurde deutlich, dass der Kommunismus in Osteuropa keine lange Zeit mehr überdauern würde und es früher oder später zu einem Zusammenbruch des Kommunismus kommen würde. Es ist so, dass dieses Ereignis 1989 bei mir schon im Gedächtnis ist, aber ich habe es in einer größeren Perspektive wahrgenommen.

DOMRADIO.DE: Einige Zeit später sind Sie dann von der Deutschen Bischofskonferenz dazu berufen worden, die Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts zusammenzustellen. Seitdem haben Sie sich besonders intensiv mit Märtyrern beschäftigt. Lassen Sie uns kurz den Begriff des Märtyrers erklären. "Martys" heißt Zeugnis geben. Das tun wir ja auch für den christlichen Glauben. Wir sind deswegen aber noch lange keine Märtyrer, oder?

Moll: Im Neuen Testament ist der Begriff "Martys" noch so weit gefasst, dass er alle umfasst, die den christlichen Glauben verkünden, ihn erklären und katechetisch vertiefen. Aber in der letzten Schrift des Neuen Testaments, der Apokalypse, wird schon deutlich, wer der "treue Zeuge" eigentlich ist. Im zweiten Jahrhundert bei Bischof Polykarp von Smyrna ist der Begriff dann schließlich so festgelegt, dass der Begriff "Martys" der "Blutzeuge" ist, also nicht nur der Glaubenszeuge, sondern auch der, der für seine Überzeugung in den blutigen Tod gegangen ist.

DOMRADIO.DE: Wir kennen ja diese fürchterlichen Selbstmordattentate aus der radikal-islamischen Welt. Die sterben freiwillig für ihren Glauben, sind deswegen aber keine Märtyrer, oder?

Moll: Nein! Sie sind keine Märtyrer im christlichen Sinne. Denn der christliche Märtyrer erleidet das Martyrium. Das heißt, er ist bereit, für den christlichen Glauben auch diesen Schritt zu gehen. Der islamistische Selbstmordattentäter ist umgekehrt einer, der sich gewaltsam umbringt und darüber hinaus noch viele unschuldige Menschen zu Tode bringt, sodass hier ein doch völlig anderer Märtyrerbegriff obwaltet.

DOMRADIO.DE: Christenverfolgung ist kein Thema, das nur vor Jahrhunderten stattgefunden hat. Es ist wieder sehr präsent. Immer wieder werden Christen zum Beispiel in Nigeria ermordet, auf den Philippinen oder in Sri Lanka. Haben Sie Sorge, dass die Christenverfolgung auch näher zu uns kommt?

Moll: Wir spüren ja auch in Westeuropa, dass der christliche Glaube in der Öffentlichkeit, in den Medien und in der Politik immer mehr zurückgedrängt wird. Wir spüren, dass der christliche Glaube in Europa nicht mehr selbstverständlich ist.

Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir zu einer Minderheit werden, so wie es Kardinal Kasper gesagt hat, dass wir wieder in eine vorkonstantinische Zeit zurückkehren, wo wir wissen müssen, dass wir eine Minderheit sind, die nicht geduldet, nicht akzeptiert und nicht gewürdigt wird. Es könnte sein, dass die Christenverfolgung auch Westeuropa erfassen könnte.

DOMRADIO.DE: Sie sind der Experte für die Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Wie sieht es aus mit den Märtyrern des 21. Jahrhunderts? Gibt es die auch heute noch?

Moll: Ja. Die Zahl wird täglich größer. Das vatikanische Missionsbüro teilt jede Woche neue Namen von Menschen mit, die entweder in Afrika, Asien oder bisweilen auch in Lateinamerika um ihres christlichen Glaubens willens eines gewaltsamen Todes sterben. Die Zahl ist weiterhin progressiv.

Wir müssen immer mehr damit rechnen, dass Missionare, die in Afrika, Asien und Südamerika tätig sind, am Ende doch gewaltsam umgebracht werden, weil die indigene Bevölkerung es nicht möchte, dass Europäer ihr Land christianisieren wollen.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Prälat Helmut Moll / © Sabine Kleyboldt (KNA)
Prälat Helmut Moll / © Sabine Kleyboldt ( KNA )
Quelle:
DR
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