In diesem Jahr hätte in Echternach groß gefeiert werden sollen: 75 Jahre Springprozession nach dem Zweiten Weltkrieg und 10 Jahre Weltkulturerbe. Tausende Teilnehmer zieht die Prozession Jahr für Jahr an Pfingsten in die Stadt an der luxemburgisch-deutschen Grenze: Jugendliche, Erwachsene und Senioren aus ganz Luxemburg und der Eifel springen in Fünferreihen zu Musik durch die Stadt zum Grab des Heiligen Willibrord (658-739) in der Basilika.
Tradition und Widerstand
Rund 10.000 Menschen beteiligten sich zuletzt an der Prozession, davon drei Viertel Springer, dazu Musikgruppen, Betende und Geistliche. Zur polkaartigen Melodie hüpfen die Teilnehmer morgens gegen 9.30 Uhr los: Ein Schritt schräg nach links, ein Schritt schräg nach rechts. Gegen 13.00 Uhr treffen die letzten Gruppen in der Basilika zur Schlussandacht ein.
Mit Corona fällt das nun aus – zum ersten Mal seit 75 Jahren, als die Springprozession unter den Nationalsozialisten zuletzt verboten war. Am 10. Mai 1940, dem Freitag vor Pfingsten, besetzte das NS-Regime Luxemburg und verbot den Brauch.
Unabhängigkeit Luxemburgs und Ehre Willibrords
Trotzdem versammelten sich vier Tage nach der Besetzung Pilger in Echternach zu einer eingeschränkten Springprozession im Abteihof und der Basilika. Darunter Rene Rechtfertig. "Die Leute haben sich nicht an das Verbot gehalten", erinnert er sich. Über die Gründe lasse sich nur spekulieren: Tradition, Nationalgefühl und der Wunsch, "sich nichts von Fremden verbieten lassen zu wollen", mutmaßt Rechtfertig. Er beschreibt die Atmosphäre als Mischung aus Trotz und Angst. Rund um die Basilika habe die Wehrmacht gestanden und alles beobachtet. "Keiner wusste, wie die reagieren würden", meint der heute 93-Jährige.
1940 blieben Strafen aus; anders im Folgejahr: Überall in der Stadt ließ die Wehrmacht Plakate aufhängen, dass jegliche Veranstaltungen und der "abergläubige Hexenspuk" der Prozession verboten seien. Damit hätten die Besatzer das Nationalgefühl der Luxemburger zersetzen wollen, erklärt der Ehrenvorsitzende des Willibrordus-Bauvereins, Pierre Kauthen. Echternach habe in der Wahrnehmung damals ganz Luxemburg repräsentiert. Denn 1939 wurde dort ein großes Fest in Erinnerung an die Unabhängigkeit Luxemburgs und zu Ehren Willibrords mit rund 20.000 Besuchern aus dem ganzen Land gefeiert. Zudem verboten die Besatzer französische Wörter wie "bonjour" oder "merci".
Springer und Musiker verhaftet
Die Kirche kündigte an, dass trotz der untersagten Prozession an Pfingsten zur gewohnten Zeit eine Messe stattfinden solle. Freunde der Springprozession schienen das als Einladung zu begreifen.
Historiker Kauthen beschreibt, ein junger Mann habe in der Kirche auf einer Mundharmonika den traditionellen Prozessionsmarsch gespielt, was andere zum Springen veranlasste. Weitere Musiker hätten Instrumente geholt. Rechtfertigs spätere, inzwischen verstorbene Frau Marie-Louise Storck erlebte die Mini-Prozession im Innern der Basilika mit und versteckte sich, als deutsche Soldaten die Versammlung gewaltsam auflösten. Andere hatten weniger Glück: Sieben Musiker seien erwischt und verhaftet worden, sagt Kauthen.
Nationalgefühl der Luxemburger
Besonders in Erinnerung blieb Rechtfertig die Prozession im Mai 1945 unmittelbar nach Kriegsende. Aus "allen Ecken und Dörfern" seien Menschen nach Echternach gekommen. Viele von ihnen habe er lange nicht gesehenen. "Jeder, der irgendwie konnte, hat mitgemacht – aus Freude über die neugewonnene Freiheit und aus Nationalgefühl", so Rechtfertigs Eindruck. Er selbst ging als Sechsjähriger zum ersten und als über 80-Jähriger zum letzten Mal mit.
Auch Kauthen beschreibt 1945 vor der Kulisse der weitgehend zerstörten Stadt als "eindrucksvollste" Springprozession: "In manchen Straßen durften die Musiker nicht spielen, weil man fürchtete, dass die Gebäude zusammenfallen."
Springprozession heute
Noch heute bringt die Springprozession Menschen der ganzen Region zusammen – in diesem Jahr jedoch nur digital. Die Jubiläums-Feiern sind auf 2021 verschoben. Um keine spontanen Versammlungen zu fördern, soll in Echternach auch kein Gottesdienst stattfinden. Stattdessen erinnern Videos und Audiobeiträge im Internet ebenso wie ein neuer Film und eine Ansprache von Kardinal Jean-Claude Hollerich an das Jubiläum des Brauchtums.