DOMRADIO.DE: Im Alten Testament ist das Bilderverbot überliefert. Sie vertreten die kühne These, dass es dieses Bilderverbot in strenger Form gar nicht gegeben hat.
Dr. Johann Hinrich Claussen (Autor und Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland): Überliefert sind uns die großen normativen Texte, die großen Gebots- und Verbotstexte. Das ist aber nicht die religiöse Praxis gewesen. Über den praktizierten Glauben wissen wir viel zu wenig. Die Archäologie findet das über ihre Funde heraus, in diesem Fall vor allem die biblische Archäologie und die zeigt, dass es im alten Israel natürlich Gottesbilder gegeben hat.
DOMRADIO.DE: Und was waren das für Bilder?
Claussen: Da gibt es drei Ebenen. Einmal die Kultbilder in den großen Tempeln, vor allen Dingen im Zentraltempel von Jerusalem. Davon ist durch die vielen Kriegszerstörungen nichts erhalten geblieben. Dann gab es regionale Heiligtümer, da hat sich manches erhalten, wie kleine Stierfiguren oder eine Art heiliger Steine.
Und dann gab es noch eine dritte Ebene, für die ich eine besondere Sympathie habe, nämlich Bildwerke, die für die persönliche Frömmigkeit wichtig waren. Zum Beispiel waren das ganz oft Amulette, Siegel oder Figurinen.
DOMRADIO.DE: In Ihrem Buch analysieren Sie das Bilderverbot in den großen theologischen und biblischen Texten als eine Art Korrektiv, um zu verhindern, dass ein einzelnes Gottesbild zu dominant wurde und Gott in einem fixierten Bild gefangen hält.
Claussen: Das ist eine Deutung nicht nur von mir alleine, sondern von vielen Theologen, die heute über das Bilderverbot nachdenken. Da geht es nicht darum, dass damals verboten wurde, Fremdgötter wie Isis oder Osiris anzubeten, sondern es geht darum zu zeigen, dass dieses Bilderverbot aus anderer Perspektive sinnvoll war.
Wir haben, wenn wir uns religiös verstehen, immer auch ein starkes Bedürfnis, uns ein Bild unseres Glaubens und ein Bild Gottes zu machen. Das ist auch wunderschön und hat sein gutes Recht, aber droht immer auch zu erstarren und sozusagen dann aus Gott einen Götzen zu machen.
Da ist dieses Bilderverbot ein wunderbares prophetisches Korrektiv. Denn Gottesbilder müssen immer wieder neu aufgebrochen und geöffnet werden, alte Muster müssen hinterfragt werden, damit neue, angemessenere Gottesbilder geschaffen werden können.
DOMRADIO.DE: Die frühen Christen kannten das Kreuz noch nicht als Symbolbild ihres Glaubens. Da finden wir eher Bilder vom guten Hirten oder den Fisch als Erkennungszeichen der frühen Christen. Warum?
Claussen: Man weiß nicht genau, wie es wirklich damals war, weil wir nur Bruchstücke aller Glaubensbilder erhalten haben. Es gibt schon ganz frühe Darstellungen des Gekreuzigten, die aber für uns sehr befremdlich sind. Da gibt es den berühmten sogenannten "Roger-Pereire-Stein", der in London aufbewahrt wird und aus dem zweiten Jahrhundert aus Syrien stammt. Wahrscheinlich hatte dieser Stein mit dem Gekreuzigten auch eine magische Funktion. Der Gekreuzigte ist hier auf einem kleinen Stein, eine Art Amulett eingeritzt. Es gibt also schon Darstellungen des Kreuzes, aber nur ganz, ganz wenige.
Wo wir wirklich sagen können, hier gibt es eine ausgeführte Form der Passionsgeschichte, hier setzen sich bestimmte Bildmuster durch, hier wissen die Künstler, was sie tun, wenn sie in ihren Bildwerken die Kreuzigung und Auferstehung nacherzählen, das ist dann erst im fünften Jahrhundert für uns zu fassen. Natürlich zeigt sich hier, dass das mit dem Kreuz nicht so einfach ist, sondern dass es eben auch für die frühen Christen ein Skandal und ein Problem war, für das Gründungstrauma der Christen, die Kreuzigung, eine eigen Bildsprache zu finden.
DOMRADIO.DE: Und wie sind sie dann damit umgegangen? Wie wurde dann das Kreuz in der Bildsprache der Christen so bedeutend und dominant? Wie wird also das Folterinstrument, das ja eigentlich für das Gründungstrauma der Christen steht, in eine positive Bildsprache übersetzt?
Claussen: Das so auszustellen ist natürlich eine irre Herausforderung. Daher hat man erst einmal auf unverfänglichere Motive zurückgegriffen. Dann aber hat man Darstellungsformen des Gekreuzigten gefunden, die ihn als Sieger über den Tod darstellen.
Das ist nicht zu vergleichen mit den mittelalterlichen Kreuzesdarstellungen, die unser Mitleid erregen, die jammervoll und schmerzverzerrt sind, sondern da wird ein Christus gezeigt, der mit offenen Augen, aufrecht mit durchgedrückten Rücken am Kreuz nicht hängt, sondern im Grunde davor steht. Da haben die ersten Künstler und Kunsthandwerker das Kreuz umgedeutet - von einem Schandmal zu einem Triumphzeichen, der Gekreuzigte ist der auferstandene Christus.
DOMRADIO.DE: Eigentlich ein rhetorischer Coup. Also dieses Schandmal zu nehmen und zu sagen, wir machen daraus unser Symbolbild des christlichen Glaubens, indem wir einen Sieger über den Tod, einen lebendigen Christus daran hängen, der gar nicht gestorben ist. Besser kann man es doch auch nicht lösen.
Claussen: Genau. Mit ein bisschen dialektischer Kraft und Erfindungsreichtum ist es dann so geschehen.
DOMRADIO.DE: Christliche Bilder sind immer auch magisch aufgeladen. Auch der ganz frühen Kreuzesdarstellung wurden magische Heilungskräfte beigemessen. Aber ist das nicht alles Aberglauben?
Claussen: Ich habe beim Schreiben dieses Buches viel mit Fachleuten gesprochen und vor allen Dingen in diesem Punkt mit einem alten Studienfreund, Rüdiger Schmitt. Er ist biblischer Archäologe in Münster. Er hat mir gesagt, in der Archäologie heute werde nicht mehr, so wie ich das vom Studium noch kannte, zwischen Glaube und Aberglaube unterschieden. Glaube habe immer auch Aberglauben in sich drin.
Denn worum geht es im Glauben in der Antike? Es geht natürlich auch um Trost, um Heilung, um Schutz vor Dämonen und bösen Mächten. Das, was wir vielleicht magisch nennen würden, waren aber ganz elementare Aufgaben der Religion, Schutz zu bieten und religiöse Bilder und religiöse Zeichen wurden dafür eingesetzt.
DOMRADIO.DE: Und die Grenze zwischen Aberglaube und Glaube, wenn wir ehrlich sind, ist ja auch meistens künstlich gezogen, oder?
Claussen: Es gibt in der theologischen Tradition immer so eine Unterscheidung: Man darf Bilder verehren, aber man darf sie nicht anbeten. Begrifflich ist das schön klar. In der Wirklichkeit und Praxis geht da aber manches durcheinander.
DOMRADIO.DE: In der christlichen Kunst gibt es auch viel christlichen Kitsch. In ihrem Buch beschäftigen sie sich unter anderem mit den Bildern der Herz Jesu Frömmigkeit. Mal ganz ehrlich, das ist doch Kitsch in Reinkultur, oder?
Claussen: Das ist mein heimlicher Spaß als Protestant, mir auch katholischen Kitsch anzugucken, bei dem meine katholischen Freunde das Schreien kriegen. Ich finde es aber eigentlich ganz interessant. Auch hat es für mich nichts bedrängendes, ich begegne dem ja ganz neu. Es gibt auch Parallelen zwischen diesem katholischen Kitsch und dem, was man als evangelischen Kitsch bezeichnen kann.
Im 19. Jahrhundert setzt eine Verweiblichung Christi ein, also der weiche Christus, der Barmherzige, nicht der harte Richter tritt in den Vordergrund. Der weibliche Jesus ist dann auf sehr vielen Herz-Jesu-Bildern zu sehen. Man muss wissen, dass es im 19. Jahrhundert ganz klare Geschlechtergrenzen zwischen weiblich und männlich gab.
Da ist Christus schon ein Problem, weil er einerseits ein Mann ist, auf der anderen Seite wurden ihm auch weibliche Eigenschaften zugesprochen, also Barmherzigkeit, Duldsamkeit, Friedfertigkeit. Das zeigt sich dann in den Bildern des 19. Jahrhunderts, egal ob katholisch oder evangelisch. Katholisch in der Herz Jesu Frömmigkeit oder evangelisch zum Beispiel im Friedhofsschmuck. Und das finde ich interessant, wie Konfessionsgrenzen manchmal gar nicht so wichtig sind.
DOMRADIO.DE: Werfen Sie auch einen Blick in die Zukunft? Sie sprechen da von einer Distanz der Kunstschaffenden zu bestimmten religiösen oder gar kirchlichen Bildern. Wie steht es denn um die Zukunft der christlichen Kunst? Wird sie von der Bildfläche verschwinden?
Claussen: Für Untergangsprognosen bin ich nicht zuständig. Ich bin natürlich auch kein Prophet. Ich nehme allerdings wahr, dass auf dem großen, mächtigen Kunstmarkt christliche Kunst keine große Rolle spielt. Wenn man sich allerdings davon ein bisschen freimacht und auf den Weg macht und schaut, was Künstlerinnen und Künstler heute so gestalten, da kann man viele schöne Überraschungen erleben und Menschen finden, die sich ganz ernsthaft mit christlichen Bildzeichen auseinandersetzen.
Die würden jetzt nicht einfach christlich Auftragskunst fertigen. Die arbeiten als säkulare autonome Künstler. Da gibt es ganz tolle Kunst und Kulturarbeit in unseren Kirchen, die solche Personen mit ihren Werken vorstellen. Das Museum Kolumba in Köln muss ich nicht groß erklären, was da los ist.
Also man muss ein bisschen gucken, man muss sich ein bisschen lösen von der Fokussierung auf die berühmten Erfolgsnamen der Gegenwart, die Götter der Zeit. Aber wenn man das tut, wird man vieles finden, was theologisch sehr anregend ist, ohne dass man es jetzt gleich kirchlich vereinnahmen könnte oder sollte.
DOMRADIO.DE: Spätestens seitdem der Künstler Martin Kippenberger 1990 einen Frosch gekreuzigt hat, wird über Kunst auch als Provokation gestritten. Zuletzt wurde heftig über das bunte, queere Abendmahl bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele diskutiert. Wie sehen Sie das auch im Zusammenhang der Geschichte der Gottesbilder?
Claussen: Die Geschichte der christlichen Kunst beginnt, kann man zugespitzt sagen, mit einer Blasphemie, nämlich mit einem Graffito aus Rom, wo einer einen Gekreuzigten mit einem Eselskopf zeigt. Da steht: "Alexamenos betet seinen Gott an". Das ist also eine Verspottung leichtgläubiger Christen, die so einen Esel anbeten. Das ist eine der frühesten Kreuzigungsdarstellungen, die wir überhaupt kennen - eine dezidierte Blasphemie.
Ich glaube, dass die Blasphemie ganz wesentlich zur Geschichte der christlichen Kunst dazugehört, vielleicht ist sie auch ein Ausdruck von Bilderverbot oder Bilderkritik. Das muss die christliche Kunst aushalten, dass sie immer wieder auch verhöhnt, verspottet, durch den Quark gezogen und damit aufgebrochen wird. Nur so kann sie lebendig bleiben. Dass man sich über Kunst, auch christliche Kunst streiten muss, das gehört wesenhaft zu ihr, aber natürlich friedlich. Nicht so wie kürzlich in Linz, wo einer umstrittenen Marienfigur, die Maria als Gebährende zeigt, der Kopf abgesägt wurde. So was können wir natürlich nicht gebrauchen.
DOMRADIO.DE: Die Wahrnehmung der christlichen Kunst ändert sich auch. Wenn man vor 100 Jahren irgendwo auf einem Bild ein Schiff vollgestopft mit Tieren sah, dann wusste jeder sofort, das ist die Arche Noah. Wenn man heute ein mit Tieren vollgestopftes Boot sieht, dann hält man das eher für eine süße Idee von Playmobil, ohne zu wissen, was es damit auf sich hat.
Claussen: Auch unsere Traditionen können uns verlorengehen. Das ist auch ein Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Tradition kann man nur dadurch bewahren, dass man sie weitergibt und dabei auch verändert. Da ist mein Buch ein kleiner Versuch, neugierig zu machen, sich einzulassen auf diese uralte Geschichte der Gottesbilder, in der man ganz tolle Entdeckungen machen kann.
Das Interview führte Johannes Schröer.