Wie Bischof Oster in einer religiösen WG lebt

Gegenentwurf zu "Against all Gods"?

In der ZDF-Dokureihe "Against all Gods" treffen unterschiedliche religiöse Hintergründe in einer Wohngemeinschaft aufeinander. Aber wie gelingt religiöses Zusammenleben in einer echten WG? Der Passauer Bischof Stefan Oster berichtet.

Bischof Stefan Oster / © Maria Irl (KNA)
Bischof Stefan Oster / © Maria Irl ( KNA )

DOMRADIO.DE: Ihre Wohngemeinschaft kann man sich nicht so vorstellen wie eine klassische Studenten-WG, oder? Erklären Sie das mal bitte. 

Bischof Stefan Oster SDB (Bischof von Passau): Nein, wir sind vier Leute. Ich bin jetzt seit zehn Jahren Bischof und lebe das in immer wieder wechselnder Besetzung. Wir sind ja kein Kloster, in das man eintritt, sondern es kommen Leute, die – vielleicht auch nur für gewisse Zeit – Interesse an einem gemeinschaftlichen Leben haben, das vor allem durch gemeinsame Gebetszeiten und durch gemeinsame Mahlzeiten geprägt ist. Das sind unsere wesentlichen Treffpunkte.

Ansonsten geht jeder Mitbewohner und jede Mitbewohnerin seinem oder ihrem normalen beruflichen Leben nach. Wir versuchen aber, das hinzubekommen, dass wir gemeinsame Gebets- und Mahlzeiten haben. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, es gibt abgetrennte Wohnungen, aber es gibt Gemeinschaftsräume? 

Oster: Genau, es gibt Gemeinschaftsräume, vor allem die Küche und ein gemeinsames Wohn- und Esszimmer. Ich habe das Privileg, eine Hauskapelle zu haben. Auch da sind die Mitbewohner eingeladen, sie jederzeit zu nutzen. Ansonsten haben wir Flure und Gänge und ein Gästezimmer, das auch bisweilen von den Mitbewohnern mitverwendet werden kann. 

DOMRADIO.DE: Seit zehn Jahren machen Sie das. Weshalb haben Sie sich dafür entschieden? Man könnte ja eigentlich auch sagen, dass der Bischof sein Bischofshaus ohne wechselnde Mitbewohner braucht.

Bischof Stefan Oster / © Maria Irl (KNA)
Bischof Stefan Oster / © Maria Irl ( KNA )

Oster: Ich bin Salesianer Don Boscos. Ich bin als Ordensmann Bischof geworden und habe immer die Erfahrung gemacht, ich könnte auch alleine leben – aber ich will es nicht. Ich habe mich eine Zeit lang in der Wissenschaft qualifiziert und in dieser Zeit auch mal kurz eine Wohnung alleine gehabt, aber ich habe dann immer sofort die Anbindung an die Ortsgemeinschaft des Ordens gesucht. 

Das heißt, ich bin dann in meine Salesianer-Gemeinschaft rübergegangen, wenn die miteinander gebetet und gegessen haben, weil ich tatsächlich dem vorbeugen wollte, komisch zu werden, also wenn man alleine lebt, zum Beispiel seltsame Gewohnheiten anzunehmen oder gar kauzig zu werden. 

Ich glaube, die Gefahr wäre für alleinlebende Männer wie mich nicht so ganz von der Hand zu weisen. Deswegen habe ich immer versucht, gemeinschaftlich zu leben. Man bleibt auf dem Boden. 

Als ich damals von Benediktbeuern aus – dort war ich als Salesianer und als Hochschullehrer – Bischof in Passau geworden bin, haben sich spontan zwei Menschen bereit erklärt, mit mir nach Passau zu gehen und dort Leben zu teilen. Eine dritte Person ist aus Passau dazugekommen. 

Ich hatte ein paar Monate Zeit am Anfang und zunächst im Priesterseminar gewohnt. Die Wohnung, in die ich dann einziehen sollte, war noch nicht fertig. Da konnten wir dann sondieren und den Zuschnitt der Wohnung des Hauses, in dem ich seither wohne, ein bisschen so organisieren, dass da eine WG möglich wird. Jeder hat zum Beispiel sein eigenes Bad, das ist schon mal ganz gut. 

Bischof Stefan Oster

"Es ist nicht leicht, aber das Wesentliche ist, dass man Interesse am gemeinschaftlichen geistlichen Leben haben muss."

DOMRADIO.DE: Sie sagen, das sind unterschiedliche Leute, die da wohnen. Wie wählen Sie die eigentlich aus? Wie setzt sich das zusammen? 

Oster: Die ersten beiden habe ich ja schon genannt. Das waren Freunde, junge Menschen aus Benediktbeuern, mit denen ich auch geistlich unterwegs war. Es hat sich dann aber auch immer wieder verändert, weil auch Menschen ihre Lebensbiografie verändern. Ich kenne natürlich inzwischen auch in Passau einige Leute – auch junge Menschen, die dafür offen sind. 

Es ist nicht leicht, aber das Wesentliche ist, dass man Interesse am gemeinschaftlichen geistlichen Leben haben muss. Das ist eine Voraussetzung, und man müsste das eigene berufliche Leben so organisieren können, dass unser geistliches Leben möglich ist, dass man da also einigermaßen konstant teilnehmen kann. 

Dann machen wir vorher ein Gespräch und dann sagen meine Mitbewohner und ich der Person, wie das bei uns abläuft – und dann klappt es oder es klappt nicht. Ich hatte auch mal jemanden da, der nach einem dreiviertel Jahr wieder gegangen ist. Das war ein junger Mann, der für sein Jura-Examen lernen wollte und einen geregelten Tagesablauf gut gefunden hatte. 

Dann war ihm, glaube ich, das Maß an geistlichem Leben oder die Verbindlichkeit vielleicht am Ende doch zu viel. Dann ist er wieder ausgezogen, aber das passiert eben – wie im richtigen Leben.

Bischof Stefan Oster

"Die Disziplin für ein substanzielles geistliches Leben zu haben, ist mit Gemeinschaft viel leichter als ohne."

DOMRADIO.DE: Das Geistliche haben Sie schon angesprochen. Das heißt, es geht nicht nur darum, dass man sich die Aufgaben teilt und klärt, wer den Müll runterbringt und wer abwäscht, sondern dieser Aspekt, Spiritualität in Gemeinschaft zu leben, ist dabei vor allem wichtig? 

Oster: Das ist das Zentrale, das ist das Wichtigste. Die anderen Aufgaben haben wir auch geklärt. Ich habe zum Beispiel einen eigenen Haushalt und da kommt eine Haushaltshilfe von außen, die reinigt, Wäsche macht und solche Dinge. Da will ich nicht, dass das meine Mitbewohner machen. Für die WG wird aber zum Beispiel gekocht. Wir haben natürlich dann auch Müll- oder Putzdienst und solche Sachen, aber der Schwerpunkt ist tatsächlich die geistliche Dimension. 

Irgendjemand hat mal formuliert: Der Bischof ist der erste Beter des Bistums. Das nehme ich sehr ernst, dass ich gewissermaßen mein Leben, aber vor allem die Anliegen, die Menschen, die Gläubigen, die Kirche und alles, was damit zusammenhängt, vor Gott bringe. 

Am Vormittag, wenn ich keine Messe außerhalb der WG habe, feiern wir die Messe, beten eine halbe Stunde eucharistische Anbetung, beten die Laudes gemeinsam und ich bete dann auch noch die sogenannte Lesehore im Stundengebet. 

An einem normalen Vormittag bin ich erst mal mit der Gemeinschaft über eine Stunde, ich selber dann insgesamt eineinhalb Stunden, in der Kapelle. Das muss man irgendwie gewohnt sein oder gelernt haben oder wollen. 

Wenn ich an einem normalen Abend nach Hause komme, zum Beispiel nach einem Bürotag, und keinen Abendtermin habe, dann beten wir die Vesper und sitzen auch noch mal eine ganze Zeit vor dem Allerheiligsten. Das ist intensiv, aber wenn Sie mich fragen, was mich in meinem Dienst trägt, dann sind es diese geistlichen Zeiten. Die lebt man – und das ist auch der wichtige Aspekt von Gemeinschaft – mit einer bestimmten Disziplin viel leichter, wenn die anderen auch da sind. 

Wenn ich mal, das kommt ja vor, in meiner WG alleine bin, dann denke ich mir: Okay, jetzt könnte ich meine Gebetszeiten mal ein bisschen nach hinten schieben. Und dann schiebe und schiebe ich sie und dann fällt mir alles ein, was noch alles wahnsinnig wichtig ist. Und irgendwann fällt sie vielleicht ganz runter oder wird deutlich abgekürzt. Sowas passiert nicht, wenn die anderen da sind. 

Ich will damit sagen, die Disziplin für ein substanzielles geistliches Leben zu haben, ist mit Gemeinschaft viel leichter als ohne. Deswegen glaube ich auch, dass viele Hauptamtliche an dem Thema auch echt zu kämpfen haben oder vielleicht auch scheitern. 

Bischof Stefan Oster

"Wie können wir unseren Priestern helfen, in heutigen Umständen trotzdem ein erfülltes, zölibatäres Leben zu leben? Da ist sicherlich die Gemeinschaftserfahrung ein Königsweg."

DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, Sie wollen dem vorbeugen, komisch zu werden. Das war ja auch Teil der Diskussion beim Synodalen Weg, dass einer der Problemfaktoren beim Thema Klerikalismus ist, dass Menschen, die sich für einen geistlichen Weg und für eine Berufung zum Beispiel als Priester entscheiden, den Kontakt zu "normalen" Leuten verlieren. Denken Sie, dass bei Neupriestern nach ihrer Zeit im Priesterseminar auch geguckt werden sollte, dass die weiterhin in einer Wohngemeinschaft oder in Kontakt mit anderen Menschen bleiben? 

Oster: Diese Frage bereitet mir seit Jahren Kopfzerbrechen. Die Bedingungen, um heute ein zölibatär lebender Priester zu sein, haben sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert. Ich sage einfach mal ein paar Faktoren. 

Früher, in der Zeit, als ich erwachsen geworden bin, in den 1980er-Jahren, da hatte ein normaler Pfarrer eine oder vielleicht zwei Pfarreien gehabt. Er hat in der Regel in einem Haushalt gelebt, wo auch eine Haushälterin dabei war, möglicherweise auch ein Kaplan. Das heißt, da war schon irgendwie Gemeinschaft gegeben. Dann ist die Einbettung in das soziale Umfeld in einer Pfarrei viel leichter als in einem Pfarrverband mit fünf oder sechs Pfarreien. 

Die Frage nach der Lebensform: Damals war es noch deutlicher ein Ärgernis, wenn ein Pfarrer heimlich eine partnerschaftliche Beziehung hatte. Heute finden die Menschen durchschnittlich in unserer Gesellschaft alle Lebensformen okay. Nur die vom Pfarrer schauen sie seltsam an. Damals ist es ein Ärgernis gewesen. Heute denkt vielleicht manch einer, Gott sei Dank, hat er eine Freundin – oder so was. Solche Dinge haben sich verändert. 

Bischof Stefan Oster im Gebet / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Stefan Oster im Gebet / © Harald Oppitz ( KNA )

Hinzu kommt die gesamte Versuchungswelt, die durch die digitale Revolution in unsere Häuser kommt. Ich frage mich deshalb sehr stark: Wie können wir unseren Priestern helfen, in heutigen Umständen trotzdem ein erfülltes, zölibatäres Leben zu leben? Da ist sicherlich die Gemeinschaftserfahrung ein Königsweg. 

Freilich: Wenn ein junger Priester vielleicht aus einer Seminarerfahrung kommt, die eher eng war, dann ist er oft zunächst mal froh, wenn er sein eigenes Ding machen kann. Aber wenn man dann ein paar Jahre sein eigenes Ding gemacht hat, dann ist es schon wieder eine Herausforderung, Zusammenleben einzuüben. Jemand, der dann 20 Jahre selber für sich gelebt hat, ist nicht mehr so leicht für Gemeinschaft "resozialisierbar", weil man halt seinen eigenen Stiefel gewohnt ist. 

Ich merke das jetzt auch an mir selbst. Nach ein paar Jahren wechselt wieder die Gemeinschaft, dann kommt wieder ein neuer Mitbewohner. Da muss man sich neu darauf einstellen. Da merke ich, dass ich nicht mehr ganz so flexibel bin, wie ich mal war. 

Die Strukturen ändern sich und wenn man sich dann in der Gemeinschaft nicht versteht, dann hat man am Abend noch zwei zusätzliche Termine. Wenn ich also an einem Tag nach zehn Terminen nach Hause komme, dann habe ich noch mal den Termin Gebetszeit. Das ist dann nicht so selbstverständlich. Und dann habe ich noch den Termin gemeinsames Abendessen. 

Wenn das anstrengend ist, dann sollte man es eher bleiben lassen. Das heißt, es ist auch eine Kunst, es so hinzubekommen, dass man sich untereinander gut versteht, einigermaßen geistlich gemeinsam unterwegs ist und dann dankbar ist: Okay, ich kann jetzt heimkommen und einfach nur mit den Mitbewohnern beten und zu Abend essen – es ist nicht anstrengend, sondern tragend. 

Gemeinschaftsleben ist also zu fördern und zu begrüßen, aber es ist nicht einfach, das so gut hinzubekommen, dass es auch etwas Tragendes hat. Einer der heiligen Jesuiten (Johannes Berchmans) hat einmal gesagt "vita communis, maxima poenitentia", also das Gemeinschaftsleben ist die größte Buße von allen. Und tatsächlich gibt es einen Aspekt daran. Es ist daher nicht so leicht, es den Priestern vorzuschlagen und dass es dann auch so umsetzbar ist, dass es gelingt.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Bistum Passau

Dom Sankt Stephan in Passau / © Günter Vahlkampf (KNA)
Dom Sankt Stephan in Passau / © Günter Vahlkampf ( KNA )

Die Diözese Passau wurde 739 von Bonifatius gegründet und war einst mit mehr als 42.000 Quadratkilometern das größte Bistum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Es erstreckte sich donauabwärts bis Wien. Im Lauf der Geschichte verlor die Diözese sechs Siebtel ihres Gebiets an neu gegründete Bistümer wie Linz, Sankt Pölten und Wien. Mit der Säkularisation 1803 endete die weltliche Herrschaft der Passauer Bischöfe.

Quelle:
DR