Mittlerweile ist es in der Redaktion von DOMRADIO.DE zu einem Running Gag geworden. Wenn am letzten regulären Arbeitstag der Woche, dem Freitag, um 15 Uhr die drittgrößte Glocke vom Kölner Dom läutet, läutet auch das Telefon und in den Chatgruppen der Mitarbeitenden wird die Frage gestellt: "Warum läuten denn jetzt die Glocken?" – Dabei ist der Grund für diesen regelmäßig jede Woche wiederkehrenden Anlass längst schon erklärt und die Antwort auf diese Frage erfolgt dann weniger ernsthaft, sondern ein Grund dafür wird meist erfunden und aus den tagesaktuellen kirchlichen Ereignissen hergeleitet.
In den drei synoptischen Evangelien – die nach Matthäus, Markus und Lukas – werden die Ereignisse rund um die Kreuzigung Jesu im Hinblick auf die Zeitangaben recht genau wiedergegeben. Um die sechste Stunde bricht eine Finsternis über das ganze Land und um die neunte Stunde dann ruft Jesus am Kreuz seine letzten Worte, bevor er schließlich stirbt. Die neunte Stunde nach römischer Zeitmessung entspricht 15 Uhr am Nachmittag. Aus dieser Berechnung ergibt sich dann auch der Beginn der Karfreitagsliturgie, die zu der Zeit gefeiert wird, in der Jesus der Überlieferung nach am Kreuz gestorben ist.
Läutezyklus der Heiligen Woche
In der römischen Liturgie ist es jedoch seit alters her unüblich, am Karfreitag mit Glocken zu läuten. An einigen Orten treten Holzklappern und sogenannte Karfreitagsratschen an deren Stelle. Diese wiederum gehen auf jene Holzbretter zurück, auf die geschlagen und so zum Gottesdienst gerufen worden war, bevor diese Aufgabe die Glocken übernahmen. In einigen Ländern Osteuropas wird dieses Schlagen bis auf den heutigen Tag noch sehr kunstvoll und rhythmisch praktiziert.
Doch wie jeder Sonntag ein kleines Osterfest ist, so weist auch jeder Freitag sowohl in der kirchlichen Liturgie und in der Lebensweise auf den Karfreitag hin. Während letzteres durch den Verzicht auf Fleischspeisen gewährleistet wird, wartet die Stundenliturgie der Kirche gerade freitags mit Passionstexten auf. Und so wird die Erinnerung an den Karfreitag und an den Tod Jesu am Kreuz mancherorts auch durch das wöchentlich wiederholte Läuten einer Glocke unterstützt. Ergänzt durch das analoge Läuten zur Erinnerung an das Gebet Jesu am Ölberg donnerstagabends und das Einläuten des Sonntags als Ankündigung des Tages der Auferstehung entsteht so ein ganzer Läutezyklus der Heiligen Woche.
Vor allem in Süddeutschland verbreitet
Wo das Gedächtnisläuten am Donnerstag und Freitag seinen Ursprung hat, ist nicht völlig geklärt. Papst Benedikt XIV. hat im Jahr 1740 verordnet, dass die Vorsteher der Kirchen jeden Freitagnachmittag um 15 Uhr die Glocken zu Ehren des sterbenden Heilandes läuten lassen. Höchstwahrscheinlich griff der Pontifex damit auf eine bereits bestehende Tradition zurück und verlieh dieser mit seinem Erlass allgemeine Gültigkeit.
Verbreitet ist dieses Gedächtnisläuten in Süddeutschland und dort vor allem in Bayern; und das nicht nur in katholischen Kirchen. Auch in den protestantisch geprägten Städten und Regionen Frankens erinnern die Glocken evangelischer Kirchen an das Karfreitagsgeschehen. In Schwaben und im Allgäu erfolgt mancherorts das Freitagsläuten bereits um 11 Uhr, dem Zeitpunkt der Verurteilung bzw. Kreuzigung, die im Markusevangelium allerdings bereits zur dritten Stunde stattfindet. Doch je mehr man nach Norden kommt, um so weniger sind diese Läutebräuche anzutreffen. Eine Ausnahme bildet hier das Rheinland im Kölner Raum.
Heiliges Jahr 1933 gab den Anstoß
Als Papst Pius XI. 1933 erstmals ein außerordentliches Heiliges Jahr ausrief und die Wiederkehr des Jahres der Erlösung der Menschheit durch Kreuz und Auferstehung Jesu bedachte, verfügte dieser in seiner Apostolischen Konstitution "Nullo non tempore", all denen einen Ablass zu gewähren, die zum Läuten der Glocken den Engel des Herrn oder einfach fünf Ave Maria beten.
Der Kölner Erzbischof Karl Joseph Kardinal Schulte bezog diese Verfügung auf das von Benedikt XIV. verordnete Sterbeläuten freitags um 15 Uhr und merkte in einem Erlass an, dass diese Übung "leider vielerorts in Vergessenheit geraten" sei. Die Andachtsübung "zum sterbenden Heilande, der sich für uns Gott dem Vater als Sühneopfer darbrachte" wurde auch mit entsprechenden Ablässen versehen.
Beim Glockenzeichen am Freitagnachmittag sollen alle – womöglich kniend – fünf Vaterunser und Ave Maria andächtig beten und in der Meinung des Heiligen Vaters hinzufügen: "Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich!" – Die Pfarrer mögen die Gläubigen auf diese fromme Übung aufmerksam machen und im Heiligen Jahr jeden Freitag um 15 Uhr oder zu einer anderen Stunde "zum Andenken an die Todesstunde des Heilandes" die Glocken läuten lassen. Zum Ende des Heiligen Jahres verfügte der Kölner Erzbischof, dass diese Übung "in Zukunft dauernd beibehalten" werden solle.
Im Erzbistum Köln noch stark verbreitet
Auch wenn nicht mehr jede Kirche dieses Freitagsläuten praktiziert – viele Gotteshäuser sind ja auch erst nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden –, so ist das wöchentliche Sterbeläuten auf dem Gebiet des Erzbistums Köln immer noch stark verbreitet und erfüllt damit auch die adhortative (ermahnende) und signifikative (anzeigende) Funktion des Glockenläutens über das Rufen zum Gottesdienst hinaus. Ähnlich sind auch die Aufforderungen der Bistümer und Landeskirchen, während des ersten Lockdowns allabendlich mit den Glocken zu läuten und so Trost zu spenden, zu sehen. Und zurzeit ist es ein Aufruf zum Frieden in der Ukraine, der allabendlich von den Kirchtürmen zu hören ist.
Gerade in Zeiten, wo die Anzahl der in den Kirchen gefeierten Gottesdienste stetig sinkt, sind solche Läuteanlässe sehr wichtig, um die Botschaft vom Kreuz und von der Auferstehung auch akustisch präsent zu halten und die Menschen zum Gebet einzuladen. Vor diesem Hintergrund könnte jede Pfarrei selbst überlegen, wie sie ihre Glocken sinnvoll nutzt und zum Beispiel Sonntage und Hochfeste am Vorabend einläutet, auch wenn in der jeweiligen Kirche selbst kein Gottesdienst (mehr) stattfindet.